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Erbliches Erblinden
Licht am Ende des Tunnels

Choroideremie ist eine Erbkrankheit, bei der die Betroffenen im Laufe ihres Lebens langsam erblinden. Das Sehvermögen fällt erst in den Randzonen aus, eine Art Tunnelblick entsteht, bis schließlich auch dieser wegfällt. Die Krankheit galt lange als unheilbar. In Großbritannien wurden Choroideremie-Patienten jetzt zum ersten Mal mit einer Gentherapie behandelt.

Von Marieke Degen | 14.03.2014
    Choroideremie ist eine Männerkrankheit. Der Gendefekt, der die Krankheit auslöst, liegt auf dem X-Chromosom – und weil Männer nur eines davon in ihrem Erbgut haben, können sie den Defekt nicht ausgleichen. Der Gendefekt führt dazu, dass die Zellen in der Netzhaut im Laufe der Zeit absterben. Robert MacLaren, Professor für Augenheilkunde an der Universität Oxford:
    "Schon im Kindesalter werden die Betroffenen nachtblind. Ab einem Alter von etwa zehn Jahren verlieren sie langsam aber stetig das periphere Sehen; es ist irgendwann so, als würden sie durch einen dunklen Tunnel blicken. Alles ist schwarz, nur in der Mitte können sie noch ein bisschen sehen. Mit etwa 30 oder 40 beginnt auch der Teil in der Mitte zu degenerieren, und mit 50 haben die meisten ihr Augenlicht vollständig verloren."
    Genau das wollen Robert MacLaren und sein Team verhindern. Sie wollen den letzten Rest an Sehfähigkeit, die so genannte zentrale Netzhautinsel erhalten – mit einer Gentherapie. Die Ärzte haben das bei sechs Patienten getestet:
    "Sie befanden sich in verschiedenen Stadien der Krankheit. Bei zweien war die Degeneration schon weit fortgeschritten, sie waren dabei, ihr letztes bisschen Sehen in der Mitte zu verlieren. Bei diesen beiden hat sich die Sehfähigkeit durch die Gentherapie sogar verbessert. Die vier anderen hatten zwar noch keine Probleme in der Mitte, aber sie konnten nach der Behandlung nachts wieder besser sehen."
    Bei der Therapie wird das fehlerhafte Gen in den Sehzellen durch eine gesunde Version ersetzt. Die Forscher machen das mit Hilfe von so genannten adeno-assoziierten Viren: die nehmen das gesunde Gen praktisch Huckepack und schleusen es in die Sehzellen ein. Allerdings: vorher muss man die Viren noch in die richtige Stelle im Auge injizieren – im Fall von Choroideremie unter die Netzhaut. Dafür mussten die Ärzte ein Stückchen Netzhaut künstlich ablösen. Ein riskanter Eingriff.
    McLaren: "Die Operation am Auge ist sehr komplex, und sie erhöht langfristig das Risiko eines grauen Stars, einer Linsentrübung. Das muss man bedenken. Aber die Gentherapie selbst hat bislang keine ernsthaften Nebenwirkungen ausgelöst."
    "Also man muss in der Tat der Gruppe gratulieren. Die Ergebnisse sind überraschend gut",
    meint Hendrik Scholl, Professor für Augenheilkunde an der Johns Hopkins Universität in Baltimore. Allerdings: Ob die Patienten den letzten Rest an Sehfähigkeit tatsächlich behalten, das kann im Moment noch keiner sagen. Die Krankheit schreite sehr langsam voran, deshalb müsse man die Patienten sehr lange nachbeobachten.
    "Insofern kann man nach sechs Monaten jetzt noch nicht wirklich beurteilen, ob das jetzt letztliche Ziel der Intervention, diese zentrale Netzhautinsel über Jahre und Jahrzehnte zu erhalten, tatsächlich auch funktioniert."
    Grundsätzlich gilt: Betroffene mit Choroideremie können mit einer Gentherapie nicht vollständig geheilt werden. Sie werden niemals ganz normal sehen können.
    Hendrik Scholl: "Diejenigen Sehzellen, die im Laufe der Degeneration, also des Absterbens wirklich verloren gegangen sind, die können mit dieser Art von Therapie gar nicht zurückgeholt werden. Es geht nur um diejenigen Zellen, die überlebt haben. Und das ist dann doch eine Limitation dieser Art von Therapie, denn der größte Anteil des Gesichtsfeldes, der größte Anteil des Sehens bis eben auf diese zentrale Insel ist bei all diesen Patienten, die behandelt worden sind, letztlich schon verloren gewesen und wird auch mit dieser Therapie nicht zurückgebracht. Natürlich ist es ein enormer Fortschritt, wenn es gelingen würde, diesen zentralen Netzhautinsel auf Dauer zu erhalten."
    Es wäre zwar auch denkbar, die Betroffenen schon im Kindesalter zu behandeln, bevor die Krankheit ausbricht. Aber erstens sei noch nicht klar, wie lange der Effekt tatsächlich anhält, sagt Hendrik Scholl. Und zweitens ist die Operation sehr riskant – möglicherweise zu riskant für Kinder, die eigentlich noch gut sehen können. Robert MacLaren und sein Team planen jetzt erst einmal weitere, größere Studien.
    "Wir stehen ganz am Anfang. Bis daraus eine echte Therapie wird, haben wir noch einen langen Weg vor uns."