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Erdbebengefährdungs-Atlas
Eine Frage des Untergrunds

Starke Beben sind in Deutschland selten - doch es gibt sie durchaus. Zu den schwersten gehört das Erdbeben bei Düren aus dem Jahr 1756. Durch verschiedene Methoden kann man heute die Stärke längst vergangener Erdbeben abschätzen und errechnen, welche Erdbebengefährdung sich daraus für heute ergibt.

Von Dagmar Röhrlich | 13.10.2017
    Ein Seismograph der Erdbebenwarte Bensberg in Bergisch-Gladbach
    Erdbeben können überall in Deutschland auftreten, selbst in Regionen, in denen es seit Jahrhunderten nicht gebebt hat (dpa / lnw )
    Das jüngste stärkere Erdbeben in Mitteleuropa liegt 25 Jahre zurück: In der Nacht vom 13. April 1992 bebte die Erde bei Roermond mit einer Magnitude von 5,9. In den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen gab es zum Teil erhebliche Gebäudeschäden. Dutzende Menschen wurden verletzt, meist durch herabfallende Dachziegel.
    "Historisch betrachtet ist vor allem im Unteren und Oberen Rheingraben mit Erdbeben zu rechnen, bei Albstadt und im Osten des Landes. Doch Erdbeben können überall in Deutschland auftreten, selbst in Regionen, in denen es seit Jahrhunderten nicht gebebt hat. Damit also bei einem Beben die Häuser nicht zusammenbrechen, muss überall die seismische Gefährdung bekannt sein. Wir erstellen deshalb Karten, die den Ingenieuren zeigen, auf welche Erschütterungen sie ein Gebäude auslegen müssen", erläutert Fabrice Cotton vom Geoforschungszentrum Potsdam.
    Zusammenstellung der Daten oft zu ungenau
    Erdbeben entstehen, wenn sich an tektonischen Verwerfungen so hohe Spannungen aufgebaut haben, dass sie reißen. Das kann Jahrtausende dauern. Um die Gefährdung für ein Gebiet zu berechnen, reichen also die Messdaten, die seit Einführung der seismischen Stationen 1899 zur Verfügung stehen, bei weitem nicht aus. Geowissenschaftler fahnden deshalb im Gelände nach Zeugnissen dafür, dass es an einer Störung ein Erdbeben gegeben hat:
    "Da können Schichten brechen und gegeneinander verschoben werden, da können Sedimente gestört werden, die dann durcheinander gewirbelt werden. Da muss man riesige Gräben graben oder muss natürliche Aufschlüsse suchen, wo zum Beispiel diese Sedimente durch Flüsse angeschnitten sind. Und wenn sie da so ein steiles Ufer haben, können sie oft auch solche Veränderung im Sediment erkennen."

    Thomas Spies von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Neben solchen "paläoseismischen" Daten fließen auch historische Aufzeichnungen über Erdbeben in die Analysen ein. Das Problem: Derzeit werden die zeitgenössischen Beschreibungen und Originalunterlagen nur selten genutzt. Vielmehr werden Zusammenstellungen eingesetzt, die vor 100 oder sogar 200 Jahren angefertigt worden sind. Die sind jedoch oft ungenau und subjektiv. In die Archive selbst zu gehen und die alten Informationen computergerecht aufzubereiten, ist zeit- und arbeitsaufwendig. Bislang hat nur Baden-Württemberg damit begonnen.
    "Eine der Schwierigkeiten bei der Erstellung einer Gefährdungskarte ist außerdem die Bewertung, wann sich an einer Störung ein starkes Erdbeben wiederholen kann. Nehmen wir das stärkste bekannte Erdbeben hier, das Baselbeben aus dem Jahr 1356. Wir debattieren heiß, wann sich im Untergrund wieder genügend Spannungen aufgebaut haben, dass so etwas erneut passieren kann. Um hier weiterzukommen, setzen wir in diesem Teil Deutschlands GPS-Daten ein, um die Verformung zu bewerten."
    Der Untergrund soll in die Gefährdungskarte aufgenommen werden
    Alle acht bis zehn Jahre wird die Gefährdungskarte neu herausgegeben, so Fabrice Cotton. Die jüngste Karte stammt 2016: Bei ihr gehen die Forscher davon aus, dass in Deutschland stärkere Beben möglich sind als angenommen:
    "Unser Modell berücksichtigt nun Erdbeben, die viel stärker sind als die, die wir in den vergangenen 500 Jahren gesehen haben. Wir glauben, dass in Deutschland auch Beben der Stärke 7 möglich sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Beben eintritt, ist sehr gering. Für die Vorschriften normaler Gebäude hat das deshalb keine Folgen, wohl aber für die von speziellen Bauwerken wie beispielsweise Kernkraftwerken oder Dämmen."
    Außerdem soll die derzeitige Gefährdungskarte im kommenden Jahr um eine zweite ergänzt werden, die den Untergrund einbezieht. Denn wenn es um die Schäden geht, die ein Beben verursachen kann, spielt es eine große Rolle, ob ein Gebäude auf Fels steht oder auf Sand. Die Erkenntnisse aus dieser Karte sind unter anderem für Stadtplaner wichtig. Wo Köln beispielsweise auf weichen Rheinschottern steht, ist der Bau von Hochhäusern unter dem Aspekt des seismischen Risikos nicht unbedingt anzuraten.