Samstag, 11. Mai 2024

Umstrittener Besuch
Erdogan bei Scholz und Steinmeier - "mit Nachdruck" deutsche Position zum Nahost-Konflikt betont

Bundeskanzler Scholz hat bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem türkischen Präsidenten Erdogan Differenzen über Israel und die Hamas angesprochen. Das Existenzrecht Israels sei für Deutschland unumstößlich, sagte Scholz in Berlin. Die Bundesregierung verurteile den Terrorangriff der Hamas.

17.11.2023
    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) empfängt Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, zu einem Gespräch und Abendessen im Bundeskanzleramt.
    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) empfängt Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, zu einem Gespräch und Abendessen im Bundeskanzleramt. (Michael Kappeler / dpa )
    Scholz kritisierte den türkischen Präsidenten nicht direkt, der Tage zuvor die Hamas als "Befreiungsorganisation" bezeichnet hatte. Der Kanzler betonte, die Bundesregierung sei sowohl gegen jeden Antisemitismus in Deutschland als auch gegen die Ausgrenzung der fünf Millionen Muslime im Land. Zugleich verwies er darauf, dass Deutschland einer der größten Unterstützer für humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen sei.

    Steinmeier: Überfall der Hamas auf Israel Terrorangriff

    Erdogan war zuvor mit Bundespräsident Steinmeier zusammengetroffen. Dieser betonte nach Angaben einer Sprecherin die deutsche Position zum Nahost-Konflikt, wonach der Überfall der Hamas auf Israel als Terrorangriff und die Hamas selbst als Terrororganisation eingestuft wird. Zudem habe Steinmeier das Existenzrecht Israels sowie sein Recht auf Selbstverteidigung herausgehoben.
    Weiter hieß es, Erdogan und Steinmeier hätten gemeinsam betont, dass es eine "dauerhaft friedliche Zukunft in der Region" nur "auf dem Weg hin zur Zweistaatenlösung" geben könne. Beide Präsidenten seien zudem übereingekommen, dass alle Anstrengungen darauf gerichtet sein müssen, zur Befreiung der israelischen Geiseln beizutragen und die regionale Ausweitung des Konflikts zu verhindern.

    Erster Deutschland-Besuch Erdogans seit 2020

    Es ist der erste Besuch des türkischen Präsidenten in Deutschland seit seiner Teilnahme an der internationalen Libyen-Konferenz im Januar 2020. Thema der Gespräche sollte nach Angaben der Bundesregierung neben dem Krieg zwischen Israel und der Hamas auch das Migrationsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei sein.
    Der türkische Staatschef hatte zuletzt Israels Vorgehen im Gazastreifen kritisiert und das Land als "Terrorstaat" bezeichnet. Erdogan bekräftigte in Berlin seine Kritik am israelischen Vorgehen im Gazastreifen. Tausende Kinder, Frauen und alte Menschen seien getötet worden. Er kritisierte insbesondere Angriffen auf Kliniken und Gebetshäuser. Erdogan warb erneut für eine humanitäre Waffenpause im Gazastreifen.

    Erdogans Besuch von Kritik begleitet

    Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, Toprak, warf der Bundesregierung einen "zutiefst bedenklichen Zweckpragmatismus" vor. Der CDU-Politiker sagte im Deutschlandfunk, Deutschland dürfe keinen Antisemiten hofieren.
    Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Schuster, erwartete von der Bundesregierung klare Worte: Bundeskanzler Scholz und Bundespräsident Steinmeier müssten ganz eindeutig widersprechen, sollte Erdogan sich bei seinem Deutschlandbesuch ähnlich äußern, sagte Schuster dem SWR.

    Höchste Sicherheitsstufe wegen Erdogan-Besuch

    Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Sofuoglu, distanzierte sich von Erdogans Aussagen. Er sagte im BR-Hörfunk, die Hamas sei eine Terrororganisation, die als solche wahrgenommen und bekämpft werden müsse. Erdogans Parolen hülfen den Menschen nicht, weder im Gazastreifen noch in Israel. Dennoch sei es wichtig, im Gespräch zu bleiben und auch in schwierigen Zeiten und abweichenden Meinungen auf Diplomatie zu setzen.
    In Berlin gilt die höchste Sicherheitsstufe. Rund 2.800 Polizisten, umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen und Absperrungen begleiteten den Besuch des türkischen Präsidenten. Die Polizei erhöhte die Zahl ihrer Einsatzkräfte durch Unterstützung aus anderen Bundesländern noch mal deutlich gegenüber der zuvor genannten Zahl von 1.500, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet.

    Weiterführende Informationen

    Dlf-Podcast "Der Tag": Erdogan-Besuch: Kein Ponyhof im Kanzleramt
    Über die Entwicklungen im Nahen Osten halten wir Sie auch in einem Nachrichtenblog auf dem Laufenden.
    Diese Nachricht wurde am 17.11.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.