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Erdogans Empörung

Mit scharfen Worten hat Recep Tayyip Erdogan, Ministerpräsident der Türkei, die Brutalität der ägyptischen Sicherheitskräfte gegeißelt. Für die Aktivisten im Istanbuler Gezi-Park klingen sie wie blanker Hohn angesichts des repressiven Vorgehens gegen Demonstrationen im eigenen Land.

Von Christian Buttkereit | 16.08.2013
    Es war laut am Mittwochabend im noblen Istanbuler Bosporus-Vorort Bebek. Einige hundert Menschen hatten sich versammelt, einige mit ägyptischen Fahnen, andere mit Bildern des gestürzten Präsidenten Mursi. Viele Frauen trugen Kopftuch, Männer Stirnbänder mit Koransuren. Dieses Mal sind es die Konservativen, die in Istanbul demonstrieren. Vor dem ägyptischen Generalkonsulat skandieren sie Sprechchöre gegen die ägyptische Armeeführung und die blutige Räumung der Protestcamps. Allah soll Beistand leisten - "Gott ist groß".

    Viele Türken haben die Entwicklung in Ägypten mit Sorge verfolgt. Das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte mit mehr als 400 Toten hat ihre schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet. Die Ereignisse sind Gesprächsthema Nummer eins am nächsten Morgen auf den Straßen, aber auch im Parlament. Ministerpräsident Tayyip Erdogan sprach von einem Massaker in Ägypten:

    "Was sich dieser Tage in Ägypten abspielt, weckt ja fast Sehnsucht nach den Zeiten, in denen in diesem Land autoritäre, repressive Machthaber regierten. Ich appelliere an die Staaten des Westens: Wer diesen Massakern wort- und tatenlos zusieht, macht sich mitschuldig."

    Erdogan forderte den UN-Sicherheitsrat auf, eine Sitzung zur Situation in Ägypten einzuberufen. Die Türkei gehörte zu den größten Unterstützern des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi. Während dessen Amtszeit hatten sich die Beziehungen zwischen Kairo und Ankara intensiviert. Die ägyptischen Muslimbrüder stehen Erdogans religiös-konservativer Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung, AKP, nahe. So war Mursi im Oktober bejubelter Gast auf dem Parteitag der AKP. Die Türkei, so wurde damals gerne doziert, könne Vorbild für Ägypten sein - islamisch geprägt und demokratisch zugleich.

    Diese Vision hatte sich mit dem Sturz Mursis Anfang Juli bis auf Weiteres erledigt. Erdogan hatte damals die Absetzung Mursis verurteilt und bemängelt, dass westliche Staaten nicht von einem Militärputsch in Ägypten sprechen. Beschlich ihn etwa die Angst, dass sie die Verhältnisse umkehren und die Machtübernahme der Militärs ein Vorbild für die Türkei sein könnte?

    Vier Militärputsche seit 1960 in der Türkei
    Immer wieder wurden Parallelen gezogen vom Kairoer Tahir Platz zum Istanbuler Gezi-Park. Manche sprachen damals von Alarmstimmung bei der AKP. Schließlich wurden seit 1960 in der Türkei vier demokratisch gewählte Regierungen durch einen Putsch der Armee aus dem Amt gejagt. War es Zufall, dass Erdogan gerade zu diesem Zeitpunkt ein Gesetz auf den Weg brachte, dass die Befugnisse des Militärs im Inland einschränken soll?

    Mursi und Erdogan wurden demokratisch gewählt – nicht aber das Militär, betont der Vize Fraktionschef der AKP, Ahmet Aydin ,und sieht die Schuld für die Eskalation in Ägypten beim Westen:

    "Die Demonstranten haben keine Waffen, keine Molotow-Cocktails. Sie verwüsten nicht, sie randalieren nicht. Sie protestieren gegen die Entmachtung einer demokratisch gewählten Regierung durch ein militärisches Regime. Die militärische Junta in Ägypten unterdrückt oppositionelle Stimmen und begeht regelrechte Massaker. Und leider misst der Westen auch hier wieder mit doppeltem Maß. Wer Demokratie will, aber nur für sich selbst will, der ist kein echter Demokrat."

    Die Worte, mit denen die türkische Regierung jetzt die Brutalität der ägyptische Sicherheitskräfte geißelt, klingen für die Istanbuler Gezi-Park-Aktiven und deren Anhänger wie blanker Hohn. War es nicht die türkische Regierung, die das brutale Vorgehen der Polizei während der Gezi-Park-Demonstrationen angeordnet hatte? So vehement wie Regierungschef Erdogan sich Kritik aus dem Ausland an der staatlichen Reaktion auf die Proteste verbat, so sehr weist er den Vorwurf zurück, die Türkei mische sich in die inneren Angelegenheiten Ägyptens ein:

    "Warum habt ihr die Türkei dann um Hilfe gebeten, als es um Syrien ging? Ist Syrien denn nicht auch ein arabisches Land? Auch Ägypten ist unser Nachbar. Wir haben nicht nur viele Partnerschaften, sondern auch historische Verbindungen zu diesem Land. Selbstverständlich also, dass wir bezüglich Ägyptens auch ein paar Worte zu sagen haben."

    Weder die Übergangsregierung des Mohammend El Baradei noch die Militärregierung akzeptierte Erdogan. Vor seiner Partei sagte Erdogan: "Unser Präsident ist Mursi." Sinngemäß äußerte sich heute Außenminister Ahmet Davutoglu:

    "Wer behauptet, Mohammed Mursi habe seine Legitimität verloren, der muss sich fragen, wo jetzt das Militär in Ägypten seine Legitimation hernimmt. In Ägypten muss es so schnell wie möglich einen Übergang in eine neue Phase geben, in der alle Fraktionen mitreden und mitentscheiden dürfen. Andernfalls sind wir voller Sorge für die Zukunft dieses Landes."

    Zumindest mit der Sorge um das Land auf der anderen Seite des östlichen Mittelmeeres dürfte der Außenminister allen Türken aus der Seele gesprochen haben.
    Die Istanbuler Polizei setzte Wasserwerfer gegen Demonstranten ein.
    Die Istanbuler Polizei setzte Wasserwerfer gegen Demonstranten rund um den Gezi-Park ein. (picture alliance / dpa / EPA / Sedat Suna)