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Ereignis oder Normalität?

Novy: Der Bundespräsident und Israels Staatspräsident werden morgen zur Eröffnung der neuen Synagoge in Wuppertal erwartet. Im Vorfeld, man will es nicht glauben, musste die Polizei eine von Rechtsextremen angekündigte Demonstration verbieten. Für den Festakt gilt sowieso Sicherheitsstufe eins. Ist das Normalität oder Ereignis? Diese Frage hatte sich eigentlich schon beantwortet, als ich gestern Paul Spiegel, den Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland nach der Bedeutung dieser Synagogeneröffnung fragte.

    Spiegel: Etwas ganz Normales ist es nicht. Es ist schon meiner Meinung nach ein Wunder, dass heute in Deutschland in verstärktem Maße neue Synagogen gebaut werden. In Wuppertal ist es ein ganz besonderes Ereignis, aus zweifacher Hinsicht. Erstens steht diese Synagoge auf dem Grundstück einer christlichen Kirche. Die Kirche hat einen Teil ihres Grundstückes abgegeben und hat gesagt, sie wolle die unmittelbare Nähe zum jüdischen Gotteshaus. Das ist, glaube ich, in Deutschland nach 1945 noch nie der Fall gewesen. Das andere ist, dass nicht nur der Bundespräsident an einer solchen Veranstaltung teilnimmt, sondern auch der israelische Staatspräsident. Dass der israelische Staatspräsident, also der höchste Repräsentant des Staates Israel, in Deutschland an einer Einweihung der Synagoge teilnimmt, ist von außerordentlicher symbolischer Kraft. Dies bedeutet einmal, dass er akzeptiert und durch seine Anwesenheit dokumentiert, dass es in Deutschland wieder ein starkes, aufkeimendes jüdisches Leben gibt. Außerdem heißt das, dass er im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der bei seinem Besuch in Deutschland alle Juden in Deutschland aufgefordert hat, nach Israel zu kommen, nunmehr die Existenz einer starken oder immer stärker werdenden Gemeinschaft akzeptiert und sich mit ihr durch seine Anwesenheit auch solidarisiert. Das sind schon Aussagen von außerordentlicher Symbolkraft.

    Novy: Welche Außenwirkung kann man sich sonst noch von so einer Synagoge nach außen erhoffen? Wie viele Juden leben in Wuppertal, wer wird sie benutzen und was kann man sich vorstellen, was da passiert, was ein bisschen zur Verständigung und vor allen Dingen auch zur Kenntnisnahme eines jüdischen Lebens erforderlich wäre?

    Spiegel: Zunächst einmal ist eine Synagoge dazu da, Platz zu bieten, damit sich dort Juden zum Gebet versammeln können. Es gibt dort auch einen großen Gemeindesaal, um dort Veranstaltungen durchzuführen. Die Synagoge ist auch ein Ort der Versammlung. Sie bietet aber auch die Möglichkeit, interkonfessionelle Treffen stattfinden zu lassen. Das hängt aber nicht nur alleine von den Juden, von den Mitgliedern der Gemeinde in Wuppertal ab, sondern auch von den nichtjüdischen Menschen in Wuppertal. Es ist die Frage, ob sie auch den Wunsch haben, hier Juden näher kennen zu lernen. Vielleicht sind einige jüdische Gemeinden noch sehr zurückhaltend, denn man muss wissen, dass sich erst in den letzten Jahren die Gemeinden vergrößert haben. Dies geschah hauptsächlich durch den Zuzug von jüdischen Menschen aus Osteuropa, die zum Teil noch damit beschäftigt sind, die deutsche Sprache zu lernen. Deswegen bitte ich auch um etwas Geduld, dass dieses interkonfessionelle Begegnen noch nicht so stattfinden kann. Gerade Wuppertal ist wirklich ein Zeichen der Entwicklung und der Zunahme des Judentums in Deutschland. Ende der 80er Jahre hatte die jüdische Gemeinde in Wuppertal gerade einmal 40 Mitglieder. Wir haben damals in Düsseldorf überlegt, ob wir nicht die Wuppertaler Gemeinde auflösen und die Mitglieder in Düsseldorf aufnehmen. Heute hat diese Gemeinde mehr Mitglieder als damals Düsseldorf hatte. Sie hat heute mehr als 2000 Mitglieder. Deswegen war es auch unabdingbar, dass sie eine größere Synagoge hat, die den Interessen und den Bedürfnissen dieser Menschen auch entgegen kommt.

    Novy: Das Wachsen der jüdischen Gemeinde durch den Zuzug aus Osteuropa ist ja auch ein Zusammenprall von Kulturen. Es kommen da Tradition und Moderne zusammen. Welche Konsequenzen hat das für die Arbeit dort?

    Spiegel: Die Interessen, aber auch die Mentalitäten müssen zueinander finden. Alt und Neu muss zusammenfließen. Wir sind auf einem guten Wege dabei. Speziell in Nordrhein-Westfalen haben wir einen Staatsvertrag mit der Landesregierung, der eine finanzielle Garantie für die jüdischen Gemeinden bildete.

    Novy: Ein solcher Staatsvertrag ist ja auch auf Bundesebene angedacht. Wie weit sind Sie da?

    Spiegel: Wir stehen da in Verhandlungen. Wir sind auf einem Weg, wo ich hoffe und fast davon überzeugt bin, dass Ende Januar eine Unterzeichnung mit der Bundesregierung vorgenommen werden kann.

    Novy: Vielleicht könnten Sie mir kurz sagen, was in diesem Staatsvertrag alles enthalten ist.

    Spiegel: Er enthält einmal die Erklärung der Bundesregierung, dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland ein Teil dieser Gemeinschaft ist, dass die jüdische Gemeinschaft zu dieser Gesellschaft gehört und dass die Bundesregierung sich verpflichtet, die Arbeit des Spitzengremiums finanziell zu untermauern. Sie soll Ihnen bei der großen Aufgabe helfen, durch Ausbildung von Rabbinern, von Lehrern, von Verwaltungsangestellten. Denn wir brauchen Rabbiner. Wir haben 83 jüdische Gemeinden und knapp 30 Rabbiner. Sie können sich also ausrechnen, welche Aufgaben auf uns zukommen.

    Novy: Noch ein Wort zum Ereignis von heute. Wie gefällt Ihnen die Synagoge?

    Spiegel: Ich bin unglaublich beeindruckt von der Wärme, die diese Synagoge ausstrahlt. Gott sei dank, ist es nicht so, dass dort ein Architekt seine künstlerische Vorstellung zu platzieren versucht hat. Sondern diese Synagoge ist so konzipiert, dass sich die jüdischen Menschen zum Gebet dort finden können. Alle Voraussetzungen sind erfüllt, die an eine Synagoge gestellt werden. Ich muss dem Bauherrn der jüdischen Gemeinde Wuppertal mein großes Kompliment machen. Ich habe lange keine Synagoge gesehen, die diese Wärme ausstrahlt.

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