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Erfahrungen mit Antisemitismus, Opportunismus und Verrat

Wenn heute von Rumänien die Rede ist, fallen den meisten Menschen nur noch die Untaten des Ceausescu-Regimes ein. Dass das Land in den 30er Jahren aber mit den faschistischen Achsenmächten Deutschland und Italien paktierte, findet selten Erwähnung.

Von Angela Gutzeit |
    Als vor einiger Zeit der exilierte Schriftsteller Norman Manea, Mircea Eliade, einen Säulenheiligen der rumänischen Literatur als Parteigänger der Faschisten bloß stellte, wurde Manea in Rumänien als Nestbeschmutzer diffamiert. Wie sehr rumänische Intellektuelle in den Jahren des Faschismus mit den Wölfen heulten, bekam auch der rumänisch-jüdische Romanautor und Kulturjournalist Mihail Sebastian zu spüren. Über seine Erfahrungen mit Antisemitismus, Opportunismus und Verrat hat er zwischen 1935 und 44 einem höchst aufschlussreichen Tagebuch anvertraut. Angela Gutzeit hat es für uns gelesen:

    Mihail Sebastian war einer der Besten seines Landes und doch war seine Schriftstellerexistenz eine einzige Katastrophe: Das Manuskript seines ersten veröffentlichten Romans "Der Unfall" ging verloren. Er musste es noch einmal schreiben. Und dann kam der nächste, der schlimmste Schlag:

    Sein ihm wichtigstes Werk, der Roman "Seit Zweitausend Jahren", die Geschichte einer vergeblichen jüdischen Identitätsfindung, löste 1934 den größten Skandal in der neueren rumänischen Literaturgeschichte aus. Nicht der Roman allein war die Ursache, sondern die Verbindung mit dem Vorwort. Sein Mentor, Vorbild und Freund, der Philosoph und Journalist Nae Ionescu, hatte die Bitte Sebastians um ein paar einleitende Worte ausgenutzt, um seiner zum Antisemitismus gewandelten Gesinnung auf hinterhältige Weise freien Lauf zu lassen.

    Sebastian ließ die brisante Kombination tatsächlich drucken - mehr aus zutiefst verletztem Stolz als aus Kalkül - und geriet zwischen alle Fronten. Die beispiellosen Angriffe von rechts und links sowie von Antisemiten wie Juden gleichermaßen konterte Sebastian mit einer glänzenden Polemik: "Wie ich zum Hooligan wurde", eine Abrechnung mit dem desaströsen geistigen und moralischen Verfall der rumänischen Intelligenz in den 30er und 40er Jahren. Diese Schrift beeindruckt heute zwar die Nachwelt. Ihm selbst jedoch nutzte sie zu Lebzeiten nicht mehr.
    Seine vom Faschismus infizierten Freunde wie Mircea Eliade, Emil Cioran, Camil Petrescu, Constantin Nioca, alles Schriftstellerkollegen und Mitglieder von "Criterion", einer Gruppe einst fortschrittlicher Erneuerer Rumäniens - sie ließen den Juden Mihail Sebastian fallen. Kaum einer setzte sich für ihn ein, als seine Theaterstücke nicht mehr gespielt wurden, der Schriftstellerverband ihn aus der Liste strich, das Geld zum Leben nicht mehr reichte.

    "Am Schluss waren wir nur noch drei oder vier, die widerstanden", meinte der 1942 emigrierte Freund und Schriftsteller Eugen Ionescu rückblickend viele Jahre später. Den Prozess der damals um sich greifenden "ideologischen Ansteckung" hatte Ionescu in seiner 1969 erschienenen weltberühmten Parabel "Die Nashörner" literarisch verarbeitet. Aber das aufschlussreichste und ergreifendste Werk über das in den Faschismus abgleitende Rumänien und die rapide Erosion seines intellektuellen und kulturellen Potentials - das hat Mihail Sebastian mit seinen Tagebüchern vorgelegt.

    Neun Jahre lang - mit einigen Unterbrechungen - und auch in nahezu aussichtslosen Lebenslagen hat er mit seinen Aufzeichnungen eine Art Mentalitätsgeschichte in Fallbeispielen verfasst, spannend zu lesen wie ein Roman. Gleichermaßen ein Journal intime wie auch ein politisches Zeitprotokoll der besonderen Art - angereichert mit Portraitskizzen, anekdotischen Episoden, Selbst- und Fremdbeobachtungen der elegischen wie auch der ironischen Art.

    "Voller Entsetzten, aber nicht verzweifelt" ist ein sehr treffender Titel für Mihail Sebastians Tagebücher. Ein Beispiel: Im Dezember 1937 - die antisemitische, rechtsextreme "Eiserne Garde" hatte sich gerade in Rumänien bei den Wahlen für die Abgeordnetenkammer durchgesetzt, die Juden wurden zunehmend aus dem öffentlichen und beruflichen Leben ausgegrenzt - da notierte Sebastian:
    "Unter normalen Lebensumständen wäre das, was mir in den letzten drei bis vier Jahren passiert ist, zwar nicht erfreulich, aber doch keineswegs katastrophal. Selbstverständlich wäre es schwerwiegend, aber gerade deswegen von Nutzen.
    Eine Anstellung zu verlieren - beim Cuvântul; einen Menschen, dem gegenüber ich mich verpflichtet fühlte - Nae Ionescu; eine Reihe von Freunden - Ghita Racoveanu, Haig, Marietta, Lilly, Nina und schließlich den ersten und letzten Freund, Mircea, - alles absolut alles zu verlieren, das kann mit 30 Jahren kein Desaster sein, sondern eine Erfahrung, die reif macht."
    Sebastians literarisches wie auch ganz persönliches oberstes Prinzip ist die schonungslose Authentizität, die rückhaltlose Ich-Ausforschung, die Pflicht, Rechenschaft abzulegen über sich und seine Zeit. Dabei gestattete er sich keine Ausflüchte, keine Pausen und keine Wehleidigkeiten. Doch ist in diesen Aufzeichnungen zunehmend von Erschöpfung, Enttäuschungen und Todesmüdigkeit die Rede. Zustände, die er durch den Prozess des Niederschreibens bannen und immer wieder ins Positive wenden wollte. Das betraf auch seine Haltung gegenüber den Freunden. Man muss sich das einmal vorstellen: Rund um ihn herum bejubelte fast die gesamte Intelligenz Bukarests 1940 den Beitritt Rumäniens unter der Führung des Diktators Ion Antonescu zum Bündnis der Achsenmächte Deutschland und Italien. Sie taten das im Beisein ihres jüdischen Kollegen und zuckten mit den Schultern, als man Sebastian das Telefon abstellte, ihm das Radio, die Wintersachen und die Wohnung weggenommen wurden. Aber Sebastian notierte nach dem Gespräch mit einer Bekannten mit einer schwer nachvollziehbaren Nachsicht:

    "Ich nickte immer zustimmend zu allem, was sie sagte, eben wie in einem Sanatorium, wo man den Patienten auch nicht widersprechen darf."
    In dem Roman "Seit zweitausend Jahren" erkennt der Protagonist, dass sein Leiden als Jude ein wohl ewiges, ihm zugehöriges Element sei. Fatalistische Duldsamkeit schwingt da mit, die auch in Sebastians Tagebuchnotizen durchschimmert. Doch wird diese Haltung immer wieder aufgewogen durch die kluge Analyse der Zeitumstände, die ihm, dem mittellosen Juden eben, nur den Platz in der Hölle zubilligten - wohlwissend, es gab da noch schlimmere Plätze.

    "Ich lebe in der Hölle, gewiss, doch ich muss in dieser Hölle eine abgeschiedene Ecke für mich selbst finden. Soweit das möglich ist. Wenn ich nur an der Straße Sfîntul Ion Nou vorbeikomme, wo Juden, die aus ihren Wohnungen abgeholt wurden, bis zu ihrer Deportation eingesperrt sind, erreißt es mir das Herz. Ich bringe es nicht über mich, zum Sammellager hinüber zu sehen, schäme mich aber auch wegzuschauen."
    Und so arbeitete er gegen die Depressionen an, die Schreibhemmungen, die Geldnot, die Zumutungen des immer ungemütlicher werdenden Plätzchens in der Hölle. Bis Ende der 30er Jahre lenkten ihn noch die geliebte Musik und die oft wenig glücklichen Liebschaften ab. In den 40ern aber begann ein Wettlauf mit der Zeit: In geradezu atemloser Abfolge notierte Sebastian soweit wie möglich täglich den Frontverlauf im Zweiten Weltkrieg. Dazu protokollierte er sein Pensum an Übersetzungsarbeit, Theaterstücken und Lektüre französischer Klassiker. Außerdem ist von Geldzuwendungen die Rede, wie auch von den täglichen Deportationen und der Zwangsarbeit in Bukarest.

    "Wird einmal eine Zeit kommen, in der man offen über diese finsteren Tage wird sprechen können? Ich glaube schon, bin sogar überzeugt davon. Ich würde dann gern dabei sein. "
    Mihail Sebastian war dabei, aber nur kurze Zeit. Am 29. August 1944 wurde Bukarest von der Roten Armee besetzt. Am 29. Mai 1945 wurde er von einem Lastwagen überfahren. Mihail Sebastian war auf dem Weg zu seiner Antrittsvorlesung als Literaturprofessor. So kam der Tod der Erfahrung zuvor. Er hatte es geahnt: Die Freiheit des Redens und des Denkens würde nur kurz währen. Seine Tagebücher durften in Rumänien erst 1996 erscheinen.

    Angela Gutzeit war das über: Mihail Sebastian: "Voller Entsetzen, aber nicht verzweifelt". Tagebücher 1935-44 aus dem Claassen Verlag; Hrsg. von Edward Kanterian, der es auch gemeinsam mit Roland Erb, unter Mitarbeit von Laris Schippel übersetzt hat; 864 Seiten hat das Buch für 26 Euro. Mit dieser Empfehlung geht die Sendung Politische Literatur für heute zuende. Nach den Nachrichten können Sie hier Frank Kämpfer mit dem Musikjournal hören. Unter anderem darin ein Beitrag über den Boom der Kinderoper an deutschen Theatern.