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Erfindungsreichtum in Den Haag

Daniel Düsentrieb hat es gut, dass er in Entenhausen lebt, und nicht in der realen Welt. Beim Europäischen Patentamt in Den Haag gehen jedes Jahr mehr als 200.000 Erfindungen ein, doch nur ein Drittel davon ist wirklich neu und wird patentiert. Kerstin Schweighöfer hat sich den Alltag der Prüfern in der Zentrale in Den Haag angesehen.

    Daniela Dinescu trifft bei ihrem Chef zu einer Besprechung ein. Die 37jährige Rumänin ist Ingenieurin für Feinmechanik. Seit fünf Jahren arbeitet sie am Europäischen Patentamt in Den Haag. Ihr Fachgebiet: kosmetische Applikatoren, sprich: Bürsten für Wimperntusche, Haartrockner, Lippenstift-Pinsel, Epiliergeräte.

    Als so genannter Prüfer untersucht sie, ob Erfindungen auf diesem Gebiet wirklich neu sind und patentiert werden dürfen. Eine der letzten Erfindungen hat es ihr besonders angetan: Mascara-Bürsten aus Plastik: Mit denen lasse sich die Wimperntusche viel besser auftragen. Bei manchen Erfindungen frage man sich, warum nicht jemand viel früher auf die Idee gekommen sei:

    " Yes, and sometimes the things are so simple, but you can not find something that has been done before. "

    Durchschnittlich wird jeder Mensch jeden Tag mit 500 Patenten konfrontiert, insbesondere im Badezimmer wimmelt es davon, weiß Direktor Jean-Paul Deutsch - vor allem bei Rasierklingen:
    " Für ein so kleines Rasiermesser kann man 10 oder 20 Patente drauf haben, also, alles wird dann geschützt, alles! "

    Insgesamt gehen jedes Jahr mehr als 200.000 Erfindungen ein, doch nur ein Drittel davon ist wirklich neu und wird patentiert:

    " Neuheit, das ist wie eine Schwangerschaft, etwas ist neu, oder es ist nicht neu. Man kann nicht halb schwanger sein, es kann nicht halb neu sein! "

    Unser romantisches Erfinderbild allerdings ist revidierungsbedürftig. Zwar gibt es immer noch genügend Daniel Düsentriebe oder Professor Bienleins. Die erfinden praktische Austernöffner oder rutschfeste Spaghettigabeln. Doch dann müssen sie sich einen Weg durch den Paragraphendschungel bahnen. Und bereit sein, gut 11.000 Euro zu investieren. Soviel kostet es, ein Patent anzumelden. Jean-Paul Deutsch rät deshalb allen, sich einen Patentanwalt zu nehmen:

    "Ja, meistens haben wir nur zu tun mit Patentanwälten, entweder private Firmen, die nur als Anwalt tätig sind, oder dann Anwälte, die in der Firma sitzen, in Patentabteilungen. Das sind unsere Gesprächspartner für mehr als 90 Prozent."
    Wer glaubt, eine Erfindung gemacht zu haben, sollte umgehend die Öffentlichkeit suchen. Dann kann niemand mehr seine Idee klauen. Wer hingegen schweigt, kann nicht mehr beweisen, dass es ursprünglich seine Idee war: Viele Firmen machen eine Erfindung deshalb sofort bekannt, um sich zu schützen.

    Der Konkurrenz bleibt dann nicht anderes mehr übrig, als mit einer Variante auf den Markt zu kommen. Plumpes Kopieren kann teuer werden: Kodak etwa musste dem Konkurrenten Polaroid Millionen zahlen, weil es die selbstentwickelnde Polaroidkamera einfach imitiert hatte.

    Das Abkaufen von Patenten ist deshalb eine populäre Strategie. Insbesondere kleine Erfinder müssen damit rechnen, dass sich große Firmen bei ihnen melden - um das Patent dann in der Schublade verschwinden zu lassen:

    "Manchmal wird ein Patent gekauft, nur um seine eigene Produktion zu schützen, damit ich mein Produkt weiter verkaufen kann, weil wenn der andere anfängt zu verkaufen, dann fällt meines weg, weil das andere ist besser oder schöner."

    Bei jeder zehnten Anmeldung erhebt die Konkurrenz Einspruch: Die Erfindung sei nicht neu. Die drei Hauptproduzenten von Melkmaschinen in Europa etwa melden prinzipiell Zweifel an, sobald sich einer der drei eine neue Maschine patentieren lassen will. Der muss darauf dann Monate oder sogar Jahre länger warten.

    Insbesondere bei Deutschen sei diese Methode sehr beliebt, Franzosen hingegen ziehen es vor, sich untereinander einig zu werden. Das gelte auch für Kosmetikgiganten wie l'Oréal, weiß Prüferin Daniela Dinescu.

    Am meisten freut sie sich immer auf den Moment, wenn sie ein Produkt, mit dem sie sich intensiv auseinandergesetzt hat, im Laden wieder sieht.

    ""I have a very big satisfaction when I see a product in a shop.” "

    In der Regel dauert das Jahre. Doch dieser Moment sei immer am schönsten - und auch am befriedigendsten.