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Erfolgreich auf getrennten Wegen

Vor 15 Jahren kam es zur einzigen friedlichen Trennung eines Staates in der jüngeren europäischen Geschichte: Tschechen und Slowaken entschieden sich für die Eigenständigkeit. Trotzdem sind sich die ehemaligen Bruderländer noch heute herzlich verbunden - wenngleich sie politisch völlig unterschiedliche Wege beschritten. Kilian Kirchgeßner über zwei Länder, die den Übergang in die Marktwirtschaft auf ihre jeweils eigene Art bewältigt haben.

    Sie stehen nicht still, die Maschinen in den großen Fabrikhallen, die in den vergangenen Jahren aus dem Boden gestampft worden sind. Tschechien und die Slowakei, zwei Länder in Wirtschaftswunder-Stimmung. Um mehr als neun Prozent wächst seit Jahren schon das Bruttosozialprodukt der Slowakei, das benachbarte Tschechien nähert sich mit seiner Wirtschaftsleistung rasch dem EU-Durchschnitt. Derzeit sieht alles nach einem Happy End aus für die beiden Staaten, die sich vor 15 Jahren voneinander getrennt haben. Politisch allerdings sind die Länder denkbar unterschiedlich: Die tschechische Regierung ist wegen ihrer neoliberalen Reformpläne gewählt worden - und in der Slowakei stehen Linkspopulisten an der Spitze des Staates. Die Voraussetzungen für das weitere Wirtschaftswachstum sind in beiden Ländern dennoch vergleichbar gut, urteilt der Prager Politologe Jiri Pehe.

    " Hier gibt es qualifizierte Mitarbeiter, das Lohnniveau ist niedrig und dank der EU finden Unternehmer saubere Bedingungen für ihre Geschäfte vor. Außerdem haben wir Deutschland und Österreich als starke Nachbarn - bei dieser Kombination hängt von der konkreten Politik der Regierung gar nicht so viel ab. "

    Für politische Beobachter ist deshalb vor allem eine Frage interessant: Weshalb haben die Wähler in den beiden langjährigen Bruderstaaten so unterschiedliche Präferenzen? Die Gründe sind in der Zeit gleich nach der Trennung der Tschechoslowakei vor genau 15 Jahren zu suchen. Die Ausgangsvoraussetzungen für die weitere Entwicklung seien nicht ganz gleich gewesen, sagt die Soziologin Zora Butorova vom renommierten Institut für öffentliche Fragen in Bratislava.

    " Schon im Jahr 1990, als die ökonomischen Reformen anfingen, waren die Auswirkungen auf die Slowakei viel stärker. Hier befand sich eines der Zentren der sowjetischen Rüstungsindustrie, und mit dem Fall des Eisernen Vorhangs waren die Betriebe plötzlich überflüssig. Die Arbeitslosigkeit stieg rapide, viel schneller als in Tschechien; das war unter anderem eine Folge des Niedergangs der militärischen Betriebe. "

    Nach der Trennung der Tschechoslowakei regierte in Bratislava ein Mann, der den verunsicherten Slowaken Orientierung versprach. Vladimir Meciar, ein Linkspopulist, der mit einer Mischung aus rückwärtsgewandter Rhetorik und autokratischem Führungsstil regierte. Als er 1998 abgewählt wurde, hatte das Land sechs Jahre Rückstand gegenüber den Nachbarn in Tschechien, wo die wichtigsten Reformen schon längst verabschiedet waren. Es ist der Beginn einer antizyklischen Entwicklung der Politik: die Tschechen waren 1998 der Neuerungen müde - und die Slowaken sehnten sich danach, endlich den wirtschaftlichen Anschluss zu schaffen. In Prag gewannen also die Sozialisten 1998 die Wahlen; in Bratislava eine konservative Koalition, die innerhalb von acht Jahren die Steuer-, Gesundheits- und Sozialsysteme umkrempelte.

    Wahlkampf in Tschechien vor einem Jahr. Das Pendel schlägt wieder zurück: Der damalige Oppositionskandidat Mirek Topolanek, der später die Wahlen gewinnen wird, verspricht den jubelnden Menschen eine Reformpolitik nach slowakischem Modell.

    " In der Slowakei sind die Ergebnisse der Reformen eindeutig, sagt Tschechiens Oppositions-Kandidat Mirek Topolanek, der anschließend auch gewählt wird: Die Einnahmen des Staates sind gestiegen, die Steuerlast der arbeitenden Bevölkerung ist gesunken und die Lebensqualität gerade der Menschen aus den niedrigen Einkommensschichten ist gestiegen. "

    Fünfhundert Kilometer von Prag entfernt in der slowakischen Hauptstadt Bratisalva gilt die in Tschechien gepriesene Reformpolitik allerdings als Auslaufmodell. Der Linkspopulist Robert Fico gewinnt die slowakische Wahl mit dem Versprechen, genau den Kurs einzuschlagen, dessen die Tschechen überdrüssig sind.

    " Wir von den Sozialdemokraten tun alles dafür, dass die Deformation unseres Staates, zu der es unter der Regierung von Mikulas Dzurinda gekommen ist, wieder korrigiert wird. Wir wollen Regelungen nach gutem europäischem Standard und eben nicht diesen neoliberalen Blödsinn der Regierung. "

    15 Jahre nach der Trennung der Tschechoslowakei sieht es nicht so aus, als würden die beiden ehemaligen Bruderländer politisch bald auf einen gemeinsamen Kurs einschwenken. Ein Grund zur Beunruhigung sei das aber nicht, meint der Prager Politologe Jiri Pehe - die Pendelbewegung zwischen den politischen Extremen sei typisch für die postsozialistischen Staaten.

    " Bei uns fehlt die Mittelschicht mit ihren klaren politischen Präferenzen, wie es sie in den westlichen Demokratien gibt. Das stabilisiert das System, jeder wählt die Partei, mit der er sich inhaltlich verbunden fühlt. Hier ist der feste Wählerkern der Parteien noch sehr klein. "