Marco Tschirpke singt Peter Hacks' "Ob dein Feind stirbt".
Thiele: "Der Mann war ein Genie!"
"Ob dein Feind stirbt oder du, in beiden Fällen hast du Ruh!"
Thiele: "Es war offensichtlich dieses Erkennen dieses überragenden Talents, das bei mir dazu geführt hat zu sagen: Egal eigentlich, was er sagt, du willst dich mit dem, was er vorlegt, auseinandersetzen! Es ist es wert, verstanden zu werden und notfalls eben auch kritisiert und abgelehnt zu werden. Aber auf diesem Niveau argumentiert und schreibt sonst keiner!"
Nämlich ist trotz unsrer Dummheit
Unser Schicksal meist gelind,
Weil fast alle andern Leute
Noch erheblich dümmer sind.
[Aus "Argos 6", S. 175]
Dichtete ein wenig hochmütig, aber schon von seinem Stellenwert überzeugt, der 21-jährige Peter Hacks. Den Zeitgenossen war dies zu keck; die Gedichte fanden keinen Verleger und sind erst jetzt in André Thieles Verlag VAT als Beitrag zum Peter-Hacks-Journal "Argos" erschienen. Das setzt eindeutig auf Intellektuelle als Leser, deren Berufswahl Hacks freilich schon 1951 verspottete:
Nutzlos, Pudel zu entkernen,
Willst du nicht ein Handwerk lernen,
Wo man dich nicht hindert, sondern lobt und ehrt?
Alle Weisheit ist verstaatlicht.
Schalte ab dein Separatlicht,
Oder sonst verzichte, dass man dich ernährt.
[Aus "Argos 6", S. 199]
Thiele: "Also Hacks kam letztendlich aus dem Boulevardschreiben! Er hat in den 40er- und 50er-Jahren ... seine allerersten Arbeiten waren Schlager, waren Gedichte, die letztendlich seinem Anspruch, Klassiker zu sein, keinesfalls gerecht wurden! Aber die von Anfang an auch enorm erfolgreich waren! 1948 hat Lale Anderson ein Lied von ihm eingesungen, und hat damit durchaus bemerkenswerten Erfolg gehabt. Als er 1955 in die DDR ging, war er auf dem besten Wege, in Westdeutschland ein wirklicher Erfolgsautor zu werden."
Das wurde er trotz zeitweiliger Querelen mit der SED-Kulturpolitik dann in beiden deutschen Staaten – Querelen übrigens, die seine kommunistischen Überzeugungen nie erschütterten. Im Westen dagegen nahm man Peter Hacks, den elegantesten Bühnenautor deutscher Zunge im 20. Jahrhundert und scharfzüngigen Gedankenspieler eher als bürgerlichen Autor wahr, wiewohl er dieses Milieu verachtete:
Das bürgerliche Denken ist eine Umwelt, welche keiner weiteren Verschmutzung bedarf, um für die Künste unbewohnbar zu sein.
[aus: "Die Maßgaben der Kunst", S. 262]
Auf jeden Fall war Hacks ein Literat fern der üblichen Markplätze, auf denen man als junger Mensch Autoren für sich entdeckt. Wie kam der Hesse André Thiele, Jahrgang 1968, in Berührung mit den Werken des Ostberliner Klassikbewunderers?
Thiele: "Also wir lebten in Oberjosbach bei Niedernhausen, und ich bin in Idstein zur Schule gegangen. Im Grunde genommen, das war wirkliche Provinz, und es gab dort ein großes Blatt, mit dem wir uns beschäftigten. Das war das Journal 'Konkret' aus Hamburg. Das wurde intensivst gelesen und jubelnd am Bahnhof begrüßt, wenn es dann monatlich wieder da war. Und 'Konkret' hat 1986 einen Text von Hacks gebracht. Das war der erste Text, den ich überhaupt von Hacks gelesen habe. Und ich hatte das, was für Hacksfans, für Hacksleute eigentlich typisch ist, ich hatte so eine Art Hacks-Erweckungserlebnis! Ich wusste in dem Moment: 'Von dem möchte ich alles lesen, was es gibt!' Und von da ab habe ich mich kontinuierlich eigentlich mit Hacks beschäftigt."
So intensiv, dass Thiele Jahre später Peter Hacks bei Recherchen und Nebenarbeiten zur Hand ging – ein ungewöhnlicher Freizeitjob für einen studierten Juristen. Nach Hacks Tode beschloss er, das reiche Werk publizistisch zu erschließen. Seit 2007 erscheint halbjährlich das Periodikum "Argos", doch blieb es nicht bei der ausschließlichen Beschäftigung mit Hacks-Schriften. Der hochgebildete Marxist hatte nämlich zeitlebens immer wieder Fundstücke ausgegraben, an denen die Philologie achtlos vorübergegangen war. Exakt ein solcher Fund brachte den künftigen Verleger mit dem Dichter zusammen:
Thiele: "Auslöser Kontakt zu Hacks aufzunehmen war das Buch 'Ascher' zu dem jüdischen Gelehrten Saul Ascher, 1767-1822. Und in diesem Essay schreibt Hacks, Saul Ascher, der hauptsächlich politischer Theoretiker war, habe auch ein Drama verfasst! Und das würde er gerne lesen. Aber er könne es nicht bekommen. Es gäbe es einfach nicht. Und ich habe zu dem Zeitpunkt schon privat literaturwissenschaftliche Recherchen betrieben, habe dann gesagt: 'Naja, kucken wir mal, ob wir's bekommen!' Ich hab es dann bekommen und ihm geschickt. Und das war dann der Ausgangspunkt eben dieser Arbeitsfreundschaft, die sich dann entwickelte."
Saul Ascher, dieser vergessene jüdische Autor des 18. Jahrhunderts, hat nun im "Verlag André Thiele" eine neue Heimat gefunden. Geplant ist eine zehnbändige Werkausgabe, deren erster Band "Flugschriften" gerade erschien. Ein gewagtes Unternehmen, da kaum jemand den Autor mit den von seiner Zeit abweichlerischen Positionen kennt:
Thiele: "Durch den Holocaust, durch den Nationalsozialismus, sind uns Juden hauptsächlich als Warner und als Mahner geläufig. Hier in dem Ascher haben wir auch jemanden, der ganz früh erkannt hat, worauf es mit dem Nationalismus hinausläuft. Aber wir haben auch jemanden, der sehr selbstbewusst Politik gemacht hat. Der gefordert hat, dass Juden sich mit ihrer Religion und ihrem Leben in Deutschland auseinandersetzen, dass sie sich nicht flüchten in irgendwelche theologischen oder Assimilationsprojekte, sondern dass sie selbstbewusst als eigenständiger Teil der deutschen Kultur auftreten und hier auch Politik machen. Seine berühmteste Schrift war die 'Germanomanie', in der er sich beschäftigte mit dem erstarkenden Nationalismus innerhalb der politischen Romantik. Er war ein Verteidiger des politischen Systems, das unter Napoleon vertreten wurde, später dann auch des Bonapartismus insgesamt, eben in der preußischen Ausführung."
Hier nun laufen zwei – oberflächlich betrachtet – widersprüchliche Stränge zusammen: Wieso begeisterte sich der Kommunist Hacks für einen preußischen Bonapartisten? Aus eben jenem Grund, der einem die Verehrung des Dichters, der schon als 21-Jähriger so schöne Umschreibungen für Börsianer wie "Dividandies" erfand, durchaus erschweren kann: dessen Vorliebe für klare, autoritäre Machtverhältnisse.
Thiele: "Das Politische muss uns klar sein: Dass er spätestens nach 1990 immer mehr extravagante Positionen einnahm und auch gar nicht mehr versuchte, wirklich Politik zu machen. Sondern eigentlich nur noch Polittheater darstellte – das muss jedem klar sein, der sich mit Hacks auseinandersetzt!"
Marco Tschirpke singt Peter Hacks "Die Partei":
"Von zwei Millionen blieben / kaum eine Hand voll Grat! Es hat sie aufgerieben / Gorbatschows Verrat. / Sie haben keine Traute / Ihr Busen ist verwirrt. / Und wer je auf sie baute / Hat sich verdammt geirrt!"
Thiele: "Nun, also Hacks nahm die Position eines Stalinisten ein! Zunächst einmal muss man sagen: Was ist ein Stalinist? Ein Stalinist ist jemand, der erstens absolut konsequent die Politik der marxistisch-leninistischen Partei vertritt. Zweitens darüber hinaus Kompromisse mit dem Zeitgeschehen ablehnt und drittens eben die Entwicklung der Sowjetunion vor allen Dingen in den späten 30ern und den frühen 50er-Jahren idealisiert. Und ganz genau das hat Hacks getan."
Marco Tschirpke singt Peter Hacks "Jetztzeit":
"Seit der großen Schreckenswende / Sieht des Dichters ernstes Haupt / Sich durch neue Zeitumstände / Aller Hoffnung jäh beraubt / Und er harrt in Wartestellung / Auf des Horizonts Erhellung / Und er denkt in seinem Sinn / Wo nichts drin ist – ist nichts drin!"
Auch dort, wo er in hoffnungslosen Agitprop verfällt, zeigt sich Hacks noch stilistisch aufregend, wie diese Vertonungen Marco Tschirpkes demonstrieren, als CD ebenfalls bei André Thiele erschienen. Jenes "klassische, an Rationalität, Klarheit und Humanismus orientierte Denken und Schaffen", das Hacks für sich stets reklamierte und das nun als Motto über dem Verlag prangt, entlarvt – richtig angewandt! – eben auch den Dichter als Denker mit Fehlschlüssen:
Thiele: Den Kommunismus zu verengen auf eine rückwärtsgewandte und die 30er-Jahre idealisierende Position, ist lächerlich! Das funktioniert nicht, und das merkt man eben auch bei Hacks ganz stark. Da passiert genau das, dass es im Grunde genommen einfach nur noch als Ironie wahrgenommen wird, und genau das ist dann ja letztendlich auch passiert.
Rationalität und Klarheit prägen indes ein weiteres Projekt des "Verlags André Thiele":
Thiele: "Es fehlt im Grunde genommen eine theoretische Auseinandersetzung mit der Kochkunst. Warum – die zentrale Frage – warum schmecken uns die Dinge, die uns schmecken? Was ist das, was eigentlich Geschmack konstituiert?"
Antworten darauf soll die Reihe "Essen und Denken" geben, die mit einem Essay des einstigen Surrealisten Joseph Delteil eröffnet wird. Dessen cuisine brûte plädierte fürs schlichte Kochen mit einfachen Zutaten. Was 1965 noch provokativ klang, ist heute wieder en vogue ... und wenn die Reihe "Essen und Denken" Gourmets und intellektuelle Genussmenschen an einem Tisch versammelt, dann nimmt im Geiste auch Peter Hacks Platz. Denn anregende Dialoge und Sottisen gehören zur Tischkultur.
Verlag André Thiele
Zitierte Werke:
"Der Himmel ist voller Dampf" – Marco Tschirpke singt Peter Hacks
Verlag André Thiele, Mainz 2008
ISBN 976-3-940884-04-6
"Argos" Mitteilungen zu Leben, Werk und Nachwelt des Dichters Peter Hacks
Heft Nr. 6 / Juni 2010
Verlag André Thiele, Mainz
Hacks, Peter: "Die Maßgaben der Kunst"
Claassen Verlag, Düsseldorf 1977 (S. 262)
Thiele: "Der Mann war ein Genie!"
"Ob dein Feind stirbt oder du, in beiden Fällen hast du Ruh!"
Thiele: "Es war offensichtlich dieses Erkennen dieses überragenden Talents, das bei mir dazu geführt hat zu sagen: Egal eigentlich, was er sagt, du willst dich mit dem, was er vorlegt, auseinandersetzen! Es ist es wert, verstanden zu werden und notfalls eben auch kritisiert und abgelehnt zu werden. Aber auf diesem Niveau argumentiert und schreibt sonst keiner!"
Nämlich ist trotz unsrer Dummheit
Unser Schicksal meist gelind,
Weil fast alle andern Leute
Noch erheblich dümmer sind.
[Aus "Argos 6", S. 175]
Dichtete ein wenig hochmütig, aber schon von seinem Stellenwert überzeugt, der 21-jährige Peter Hacks. Den Zeitgenossen war dies zu keck; die Gedichte fanden keinen Verleger und sind erst jetzt in André Thieles Verlag VAT als Beitrag zum Peter-Hacks-Journal "Argos" erschienen. Das setzt eindeutig auf Intellektuelle als Leser, deren Berufswahl Hacks freilich schon 1951 verspottete:
Nutzlos, Pudel zu entkernen,
Willst du nicht ein Handwerk lernen,
Wo man dich nicht hindert, sondern lobt und ehrt?
Alle Weisheit ist verstaatlicht.
Schalte ab dein Separatlicht,
Oder sonst verzichte, dass man dich ernährt.
[Aus "Argos 6", S. 199]
Thiele: "Also Hacks kam letztendlich aus dem Boulevardschreiben! Er hat in den 40er- und 50er-Jahren ... seine allerersten Arbeiten waren Schlager, waren Gedichte, die letztendlich seinem Anspruch, Klassiker zu sein, keinesfalls gerecht wurden! Aber die von Anfang an auch enorm erfolgreich waren! 1948 hat Lale Anderson ein Lied von ihm eingesungen, und hat damit durchaus bemerkenswerten Erfolg gehabt. Als er 1955 in die DDR ging, war er auf dem besten Wege, in Westdeutschland ein wirklicher Erfolgsautor zu werden."
Das wurde er trotz zeitweiliger Querelen mit der SED-Kulturpolitik dann in beiden deutschen Staaten – Querelen übrigens, die seine kommunistischen Überzeugungen nie erschütterten. Im Westen dagegen nahm man Peter Hacks, den elegantesten Bühnenautor deutscher Zunge im 20. Jahrhundert und scharfzüngigen Gedankenspieler eher als bürgerlichen Autor wahr, wiewohl er dieses Milieu verachtete:
Das bürgerliche Denken ist eine Umwelt, welche keiner weiteren Verschmutzung bedarf, um für die Künste unbewohnbar zu sein.
[aus: "Die Maßgaben der Kunst", S. 262]
Auf jeden Fall war Hacks ein Literat fern der üblichen Markplätze, auf denen man als junger Mensch Autoren für sich entdeckt. Wie kam der Hesse André Thiele, Jahrgang 1968, in Berührung mit den Werken des Ostberliner Klassikbewunderers?
Thiele: "Also wir lebten in Oberjosbach bei Niedernhausen, und ich bin in Idstein zur Schule gegangen. Im Grunde genommen, das war wirkliche Provinz, und es gab dort ein großes Blatt, mit dem wir uns beschäftigten. Das war das Journal 'Konkret' aus Hamburg. Das wurde intensivst gelesen und jubelnd am Bahnhof begrüßt, wenn es dann monatlich wieder da war. Und 'Konkret' hat 1986 einen Text von Hacks gebracht. Das war der erste Text, den ich überhaupt von Hacks gelesen habe. Und ich hatte das, was für Hacksfans, für Hacksleute eigentlich typisch ist, ich hatte so eine Art Hacks-Erweckungserlebnis! Ich wusste in dem Moment: 'Von dem möchte ich alles lesen, was es gibt!' Und von da ab habe ich mich kontinuierlich eigentlich mit Hacks beschäftigt."
So intensiv, dass Thiele Jahre später Peter Hacks bei Recherchen und Nebenarbeiten zur Hand ging – ein ungewöhnlicher Freizeitjob für einen studierten Juristen. Nach Hacks Tode beschloss er, das reiche Werk publizistisch zu erschließen. Seit 2007 erscheint halbjährlich das Periodikum "Argos", doch blieb es nicht bei der ausschließlichen Beschäftigung mit Hacks-Schriften. Der hochgebildete Marxist hatte nämlich zeitlebens immer wieder Fundstücke ausgegraben, an denen die Philologie achtlos vorübergegangen war. Exakt ein solcher Fund brachte den künftigen Verleger mit dem Dichter zusammen:
Thiele: "Auslöser Kontakt zu Hacks aufzunehmen war das Buch 'Ascher' zu dem jüdischen Gelehrten Saul Ascher, 1767-1822. Und in diesem Essay schreibt Hacks, Saul Ascher, der hauptsächlich politischer Theoretiker war, habe auch ein Drama verfasst! Und das würde er gerne lesen. Aber er könne es nicht bekommen. Es gäbe es einfach nicht. Und ich habe zu dem Zeitpunkt schon privat literaturwissenschaftliche Recherchen betrieben, habe dann gesagt: 'Naja, kucken wir mal, ob wir's bekommen!' Ich hab es dann bekommen und ihm geschickt. Und das war dann der Ausgangspunkt eben dieser Arbeitsfreundschaft, die sich dann entwickelte."
Saul Ascher, dieser vergessene jüdische Autor des 18. Jahrhunderts, hat nun im "Verlag André Thiele" eine neue Heimat gefunden. Geplant ist eine zehnbändige Werkausgabe, deren erster Band "Flugschriften" gerade erschien. Ein gewagtes Unternehmen, da kaum jemand den Autor mit den von seiner Zeit abweichlerischen Positionen kennt:
Thiele: "Durch den Holocaust, durch den Nationalsozialismus, sind uns Juden hauptsächlich als Warner und als Mahner geläufig. Hier in dem Ascher haben wir auch jemanden, der ganz früh erkannt hat, worauf es mit dem Nationalismus hinausläuft. Aber wir haben auch jemanden, der sehr selbstbewusst Politik gemacht hat. Der gefordert hat, dass Juden sich mit ihrer Religion und ihrem Leben in Deutschland auseinandersetzen, dass sie sich nicht flüchten in irgendwelche theologischen oder Assimilationsprojekte, sondern dass sie selbstbewusst als eigenständiger Teil der deutschen Kultur auftreten und hier auch Politik machen. Seine berühmteste Schrift war die 'Germanomanie', in der er sich beschäftigte mit dem erstarkenden Nationalismus innerhalb der politischen Romantik. Er war ein Verteidiger des politischen Systems, das unter Napoleon vertreten wurde, später dann auch des Bonapartismus insgesamt, eben in der preußischen Ausführung."
Hier nun laufen zwei – oberflächlich betrachtet – widersprüchliche Stränge zusammen: Wieso begeisterte sich der Kommunist Hacks für einen preußischen Bonapartisten? Aus eben jenem Grund, der einem die Verehrung des Dichters, der schon als 21-Jähriger so schöne Umschreibungen für Börsianer wie "Dividandies" erfand, durchaus erschweren kann: dessen Vorliebe für klare, autoritäre Machtverhältnisse.
Thiele: "Das Politische muss uns klar sein: Dass er spätestens nach 1990 immer mehr extravagante Positionen einnahm und auch gar nicht mehr versuchte, wirklich Politik zu machen. Sondern eigentlich nur noch Polittheater darstellte – das muss jedem klar sein, der sich mit Hacks auseinandersetzt!"
Marco Tschirpke singt Peter Hacks "Die Partei":
"Von zwei Millionen blieben / kaum eine Hand voll Grat! Es hat sie aufgerieben / Gorbatschows Verrat. / Sie haben keine Traute / Ihr Busen ist verwirrt. / Und wer je auf sie baute / Hat sich verdammt geirrt!"
Thiele: "Nun, also Hacks nahm die Position eines Stalinisten ein! Zunächst einmal muss man sagen: Was ist ein Stalinist? Ein Stalinist ist jemand, der erstens absolut konsequent die Politik der marxistisch-leninistischen Partei vertritt. Zweitens darüber hinaus Kompromisse mit dem Zeitgeschehen ablehnt und drittens eben die Entwicklung der Sowjetunion vor allen Dingen in den späten 30ern und den frühen 50er-Jahren idealisiert. Und ganz genau das hat Hacks getan."
Marco Tschirpke singt Peter Hacks "Jetztzeit":
"Seit der großen Schreckenswende / Sieht des Dichters ernstes Haupt / Sich durch neue Zeitumstände / Aller Hoffnung jäh beraubt / Und er harrt in Wartestellung / Auf des Horizonts Erhellung / Und er denkt in seinem Sinn / Wo nichts drin ist – ist nichts drin!"
Auch dort, wo er in hoffnungslosen Agitprop verfällt, zeigt sich Hacks noch stilistisch aufregend, wie diese Vertonungen Marco Tschirpkes demonstrieren, als CD ebenfalls bei André Thiele erschienen. Jenes "klassische, an Rationalität, Klarheit und Humanismus orientierte Denken und Schaffen", das Hacks für sich stets reklamierte und das nun als Motto über dem Verlag prangt, entlarvt – richtig angewandt! – eben auch den Dichter als Denker mit Fehlschlüssen:
Thiele: Den Kommunismus zu verengen auf eine rückwärtsgewandte und die 30er-Jahre idealisierende Position, ist lächerlich! Das funktioniert nicht, und das merkt man eben auch bei Hacks ganz stark. Da passiert genau das, dass es im Grunde genommen einfach nur noch als Ironie wahrgenommen wird, und genau das ist dann ja letztendlich auch passiert.
Rationalität und Klarheit prägen indes ein weiteres Projekt des "Verlags André Thiele":
Thiele: "Es fehlt im Grunde genommen eine theoretische Auseinandersetzung mit der Kochkunst. Warum – die zentrale Frage – warum schmecken uns die Dinge, die uns schmecken? Was ist das, was eigentlich Geschmack konstituiert?"
Antworten darauf soll die Reihe "Essen und Denken" geben, die mit einem Essay des einstigen Surrealisten Joseph Delteil eröffnet wird. Dessen cuisine brûte plädierte fürs schlichte Kochen mit einfachen Zutaten. Was 1965 noch provokativ klang, ist heute wieder en vogue ... und wenn die Reihe "Essen und Denken" Gourmets und intellektuelle Genussmenschen an einem Tisch versammelt, dann nimmt im Geiste auch Peter Hacks Platz. Denn anregende Dialoge und Sottisen gehören zur Tischkultur.
Verlag André Thiele
Zitierte Werke:
"Der Himmel ist voller Dampf" – Marco Tschirpke singt Peter Hacks
Verlag André Thiele, Mainz 2008
ISBN 976-3-940884-04-6
"Argos" Mitteilungen zu Leben, Werk und Nachwelt des Dichters Peter Hacks
Heft Nr. 6 / Juni 2010
Verlag André Thiele, Mainz
Hacks, Peter: "Die Maßgaben der Kunst"
Claassen Verlag, Düsseldorf 1977 (S. 262)