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Erfüllte Leere

Beuys, Cage, Giacometti, Judd, Klee, Newman, Rückriem, Twombly - nur einige Namen, die jetzt im Kunstmuseum Wolfsburg in der Ausstellung "Die erfüllte Leere" mit traditionellem Kunsthandwerk aus Japan konfrontiert werden. Das ist nicht so sehr einem ostwärts gewandten Spleen eines Museumsmachers geschuldet. Die Ausstellung folgt der Idee, dass Kurator Markus Brüderlin für einen "Dialog der Kulturen" in der Kunst steht.

Von Carsten Probst | 19.09.2007
    In der Moderne noch einen ungebrochen positiven Impuls für die Kultur zu sehen, ist in den letzten Jahrzehnten eine eher selten gewordene These von Ausstellungen mit Gegenwartskunst. Insofern gebührt Markus Brüderlin Respekt, wenn er als Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg einen anderen Weg einschlägt. Der gebürtige Schweizer zählt bekanntermaßen zu den Gegnern der Postmoderne und ihres Hangs zu Popkultur und aufgeschminkten Stilzitaten. Früh ging es Brüderlin etwa um die Rettung der klassischen Moderne vor dem als Entwertung empfundenen Zugriff des kommerziellen Design - so auch in seiner damals vielbesprochenen Ausstellung "Ornament und Abstraktion" im Jahr 2001 in Basel: Anhand zahlreicher Gegenüberstellungen von moderner Kunst mit Schmuck- oder Gebrauchsgegenständen teilweise außereuropäischer Kulturen versuchte er damals nachzuweisen, dass unser eher abwertend gemeinter Begriff des Ornaments auf einer Entfremdung von Kunst- und Gebrauchswert liegt, die in anderen Gesellschaften mitunter noch eine Einheit bilden. Brüderlin sieht abstrakte Kunst natürlich nicht als Ornament, sondern erklärt sie umgekehrt aus diesem.

    An diese Grundthese knüpft Brüderlins aktuelle Ausstellung "Japan und der Westen" in Wolfsburg direkt an. Wieder wird die Gestaltung von Gebrauchsgegenständen als geistige Ausdrucksform aufgerufen und damit dem klassisch modernen Kunstverständnis nahegerückt. Seht her, so will die Wolfsburger Ausstellung sagen, es gibt Muster auf japanischen Teeschalen des 18. Jahrhunderts, die abstrakten Gemälden von Paul Klee ähneln. Und schaut Euch die skulpturalen Qualitäten hölzerner Kesselhaken aus der Edo-Zeit an. Und erinnert Euch daran, wie der moderne Architekt Bruno Taut 1934 im berühmten Katsura-Palast von Kyoto aus dem 17. Jahrhundert stand und dessen "modernistische" Klarheit der Räume bewunderte. Viele derartige Beispiele sind hier aufgeführt, und für die Moderne lassen sich ja auch in der Tat etliche Beziehungen zwischen Japan und Europa nachweisen, etwa über das Bauhaus. die mittlerweile in verschiedenen Ausstellungen gewürdigt wurden..

    Brüderlin geht es aber nicht allein um die historische Betrachtung, er möchte die Linie weiterziehen bis in die Gegenwart. Demonstrativ hat er eine einst als Skulpturengarten geplante Außenfläche des Wolfsburger Kunstmuseums zu einem dauerhaften japanischen Garten umgestalten lassen, in dem die Besucher innere Einkehr halten sollen vom beschleunigten Alltag der Postmoderne und der Globalisierung. Das Museum als Andachtsstätte soll, Zitat, eine Aura der Leere schaffen und die Spiritualität des Materials auch in westlicher Kunst, insbesondere des Minimalismus entdecken helfen, die bislang vielleicht aufgrund ihrer abstrakten Formen dem Publikum als unzugänglich galt. Die Deutung der minimal art eines Donald Judd oder Carl Andre aus dem Geist von Zen-Buddhismus und Teezeremonie wurde so kühn bislang wahrscheinlich noch nie von einem großen Museum behauptet. Originell ist diese Sichtweise durchaus, weil sie formale Ähnlichkeiten als Verwandtschaft deutet, die sich allerdings nur behaupten und nie beweisen lässt. Der Begriff der Leere im Zen wurde zwar durchaus von Gropius, John Cage oder Julius Bissier adaptiert, aber eben auch kulturell umgeformt. Freilich kann man es ein Wunder nennen, dass bestimmte Formen anscheinend zeit- und kulturübergreifende Bedeutungen besitzen. Im derzeitigen documenta-Sprech kann man natürlich auch von einer Migration der Formen reden - muss sich andererseits auch vor vorschnellen Vereinnahmungen hüten.

    Brüderlins Thesen-Ausstellung und sein Umbau des Kunstmuseums zum meditativen Ruheraum bildet dabei in diesen Tagen einen seltsamen, wenn auch natürlich unfreiwilligen Zusammenhang mit den Aussagen des Kölner Kardinals Meissner um die verlorene Verbindung von Kunst und Kultus. Man könnte dem Geistlichen nun zumindest auch einen Besuch in Wolfsburg empfehlen. Hier wird gerade wieder einmal versucht, beides zusammenzubringen.