
Benjamin Hammer: Eine Nachtsitzung von sechseinhalb Stunden, viele Themen und relativ wenige Beschlüsse. Über den vielleicht letzten Koalitionsgipfel der Großen Koalition wollen wir sprechen, und das machen wir mit Uwe Andersen, Politikwissenschaftler und Professor an der Ruhr-Universität in Bochum. Guten Abend, Herr Andersen.
Uwe Andersen: Ich grüße Sie, Herr Hammer.
Hammer: Union und SPD beim Koalitionsgipfel. Gibt es aus Ihrer Sicht einen Sieger?
Andersen: Die Frage ist natürlich, welche Erwartungen hat man an ein solches Treffen. Es war das letzte, jetzt rein vom Zeitablauf, wo noch wirklich wichtige Entscheidungen fallen konnten. 25 Tagesordnungspunkte, knapp die Hälfte abgeräumt mit Beschlüssen und Kompromissen, die andere Hälfte nicht. Ich meine, das ist das, was man eigentlich erwarten konnte, ich hatte sogar noch etwas weniger erwartet, wenn man den beginnenden Wahlkampf einbezieht.
Hammer: Sprechen wir darüber. Worum ging es bei diesem Treffen eigentlich? Will die Bundesregierung noch handeln, oder geht es in Wahrheit bereits darum, sich für den Wahlkampf und im Wahlkampf voneinander abzugrenzen?
Andersen: Es geht um beides, denke ich. Das ist eine sehr empfindliche Balanceakt-Geschichte, weil die Bürger eigentlich erwarten, dass die Koalition die Zeit, für die sie ins Amt gekommen ist, auch nutzt, um Entscheidungen zu treffen, und arbeitet und nicht jetzt schon auf den Wahlkampfmodus umschaltet. Allerdings sind die Parteien natürlich schon auf den Wahlkampf fixiert und fragen sich, was nützt uns beziehungsweise was schadet uns, wenn wir jetzt noch Kompromisse eingehen. Das heißt, die Kompromissbereitschaft ist direkt bezogen auf die Themen, die die betreffenden Koalitionsparteien auch in den Wahlkampf bringen wollen.
"SPD wird sicherlich mit Großthema soziale Gerechtigkeit in den Wahlkampf gehen"
Hammer: Sie als Politikwissenschaftler, eine Bundesregierung sechs Monate vor der Wahl, ist diese Regierung handlungsfähig?
Andersen: Ja, sie ist handlungsfähig in wichtigen Fragen. Das hat sie noch mal unter Beweis gestellt. Aber gleichzeitig sind auch deutlich geworden die Grenzen der Kompromissbereitschaft, und ich bin sicher, dass man leichter einen Kompromiss noch gefunden hätte bei weiteren Themen, bei dem Recht auf Rückkehr in Vollzeitarbeit, wenn nicht der Wahltermin schon am Horizont ist. Dann hätte man sich wahrscheinlich darauf geeinigt. So kalkuliert man schon, nützt uns das eventuell, dass wir uns nicht einigen konnten, im Wahlkampf. Die SPD wird sicherlich mit dem Großthema soziale Gerechtigkeit in den Wahlkampf gehen und Herr Schulz hat das ja schon deutlich gemacht.
Hammer: Also alles wohl kalkuliert bei der SPD, Themen vorzuschlagen, bei denen man weiß, dass die mit der Union nicht zu machen sind, und danach die Empörung darüber, dass Gerechtigkeit mit der Union nicht zu machen sei?
Andersen: Ja nun, das gehört zum politischen Spiel, denke ich. Sicherlich hat die SPD Vorstellungen, die sie nicht in toto umsetzen kann mit der Union, und das sind nun Themen, beispielsweise die Frage Rückkehrrecht oder auch die Frage Begrenzung der Managergehälter, das kann ja die Politik nicht entscheiden, aber sie kann über die steuerliche Absetzungsmöglichkeit entscheiden. Das sind Themen, bei denen die SPD sicher sein kann, dass sie die Zustimmung auch der Grünen und der Linken hat. Es spielen sicherlich auch schon Überlegungen eine Rolle, in welche Richtung könnte denn eine Koalition gehen. Und die Union umgekehrt muss natürlich auch höllisch aufpassen, dass sie nicht bestimmte Wählergruppen vergrätzt, also etwa bei dem Rückkehrrecht. Wenn sie da der SPD gefolgt wäre, schon bei Unternehmen mit 15 Beschäftigten, dann hätte sie sicherlich etliche Wähler auch an die FDP verloren.
Hammer: Sie sprechen Rot-Rot-Grün an. Dieses Bündnis liegt wieder im Bereich des Möglichen. Auf der anderen Seite scheinen viele Wähler gar nicht so viel Lust auf so ein Bündnis zu haben. Warum sperren sich Union und SPD eigentlich so sehr gegen die Fortführung einer Großen Koalition?
Andersen: Als Politikwissenschaftler muss ich natürlich auch sagen, eine Große Koalition war für mich immer ein Notnagel aus einer Situation heraus, wo eigentlich andere Optionen gar nicht möglich waren. Wünschenswert ist es eigentlich nicht, dass wir eine dauerhafte Große Koalition haben, weil eine große Partei auch in der Opposition eigentlich eine Opposition stärkt und die Politik sozusagen lebendiger macht.
Hammer: Ich würde gerne noch auf eine Person zu sprechen kommen: auf Martin Schulz - SPD-Chef und Kanzlerkandidat. Der war gestern dabei, hatte aber lange Zeit gesagt, ich komme nicht zum Koalitionsgipfel, ich schaffe das zeitlich nicht. Viele sagen, er wollte nicht. Was sagt uns das über Martin Schulz und seine Taktik?
Andersen: Na ja. Es ist nachvollziehbar, denke ich, dass der neue Hoffnungsträger der SPD sich möglichst von der Großen Koalition fernhält, um ein neues Projekt zu initiieren. Aber nun ist er SPD-Parteivorsitzender und es wäre aus meiner Sicht nun ein gravierender Fehler gewesen, auch weil das nicht in der Bevölkerung akzeptiert worden wäre, wenn er nicht zu der Koalitionsrunde gestoßen wäre. Insofern hat er gerade noch die Kurve gekriegt. Das halte ich auch für vernünftig. Die Große Koalition, die arbeitet noch ein halbes Jahr, und als Parteivorsitzender der SPD ist er nun in einer Schlüsselposition. Da kann er nicht sagen, die Große Koalition geht mich nichts an.
Andersen: Denke, dass Ergebnisse der Bundestagswahl bis zum letzten Moment weitgehend offen bleiben
Hammer: Schauen wir auf die kommenden Monate. Die SPD beschwört weiterhin den Schulz-Effekt. Die Union verweist auf den Wahlsieg im Saarland trotz Schulz. Wer hat im Wahlkampf im Moment den besseren Lauf?
Andersen: Na ja, man muss schon zugeben, dass Schulz zweifellos so etwas wie ein mobilisierendes Element insbesondere bei der eigenen Partei gewesen ist. Ob das nun wirklich auch für die Wählerschaft gilt, das ist die ganz offene Frage, und wir haben inzwischen ein sehr flexibles Wählerverhalten. Es gibt immer noch die Gruppen, die nur Union wählen und nur SPD wählen, komme was da wolle. Aber diese Gruppen sind stark geschrumpft und insofern ist das Wählerverhalten sehr viel flexibler und schwerer kalkulierbar geworden, und ich denke, dass auch die Ergebnisse der Bundestagswahl bis zum letzten Moment weitgehend offen bleiben.
Hammer: Etwas Bewegung, aber auch Stillstand in der Großen Koalition, die sich längst im Wahlkampfmodus befindet. Vor der Sendung habe ich mit Uwe Andersen gesprochen, emeritierter Professor für Politikwissenschaften an der Ruhr-Universität in Bochum.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.





