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Erhalt oder Abriss?
Die Diskussion um den Berliner Mäusebunker

Für die einen ist er ein hässliches, asbestbelastetes Monstrum, das man sofort abreißen sollte. Für die anderen schillerndes Beispiel für den Architekturstil des Brutalismus im Gewand eines Schlachtschiffs, das unter Denkmalschutz gestellt werden sollte. Der Abriss des Mäusebunkers ist umstritten.

Von Tobias Wenzel | 29.07.2020
Paradebeispiel für den Brutalismus: der "Mäusebunker" in Berlin.
Liebenswert oder hässlich? Der Mäusebunker in Berlin, ein Paradebeispiel für den Brutalismus (picture alliance / Britta Pedersen / dpa-Zentralbild)
Ein Monstrum! Denkt, wer zum ersten Mal den Mäusebunker im Südwesten Berlins sieht. Das Gebäude im Stile des Brutalismus beschönigt nichts: In diesem Sichtbetonbau nach einem Entwurf von Gerd und Magdalena Hänska macht die Charité Tierversuche. Das abgeschottete Innere, die Form einer gekappten Pyramide und das kanonenrohrartige Belüftungssystem – der Mäusebunker wirkt wie ein martialisches Raumschiff. Der Architekturhistoriker Felix Torkar erklärt das so:
"Die Planung war Ende der 60er Jahre. Der Mensch ist gerade auf den Mond geflogen. Es ist eine unheimliche Science-Fiction-Ära. Und da kommt das Schiffsmotiv der klassischen Moderne mit der Science-Fiction-Architektur der 60er und 70er Jahre zusammen und lässt diesen Sternzerstörer entstehen."
Umstrittener Zustand des Mäusebunkers
Torkar hat mit dem Architekten Gunnar Klack eine Online-Petition zur Rettung des Mäusebunkers lanciert. Der von der Charité geplante Abriss des Gebäudes wäre für die beiden eine Schande, denn:
"Dieser gesamte Beton ist für ein vierzig Jahre altes Gebäude einfach in einem Top-Zustand."
Clemens Escher von der CDU sieht denselben Mäusebunker, blickt aber ganz anders darauf:
"Vor uns steht ein Vollsanierungsfall."
Er macht sich für den Abriss stark, kann den Hype um das Gebäude nicht verstehen. Obwohl oder gerade weil er in unmittelbarer Nachbarschaft aufgewachsen ist. "Ein Gebäude sollte auch nicht besonders hässlich sein."
Der Architekt Ludwig Heimbach sagt: "Die Debatte 'schön – hässlich' ist doch sehr undifferenziert. Also den Kölner Dom als schön zu bezeichnen, das halte ich für zweifelhaft, dass das wirklich jemand tut." Und den wolle ja auch niemand abreißen lassen, argumentiert Heimbach. Er plant gerade eine Ausstellung zum Mäusebunker und ist überzeugt: Sein Abriss wäre eine enorme Energieverschwendung. In Rohbau und Fassade, hat Heimbach errechnet, stecken etwa so viel Energie wie in tausend VW Golf.
"Natürlich hat dieses Gebäude etwas Unheimlich-Schauderhaftes. Aber das ist das Einzigartige daran, weil wir als Architekten sonst fast immer zu einer positiven Utopie verdammt sind. Und das ist eher ein dystopisches Gebäude."
Kunst-Bunker oder vergammelnde Betonruine?
Heimbach hat in seiner Berliner Plattenbauwohnung Rohbeton freigelegt. Ein Sichtbetonliebhaber. Wie der Galerist Johann König. Der hat in Berlin eine baufällige brutalistische Kirche zu einer Galerie umbauen lassen und möchte nun auch den Mäusebunker neu nutzen: als Kreativzentrum, in dem Mensch und Tier friedlich koexistieren.
"Wir wollen uns da auch wieder an der Kunst orientieren. Ich denke an das Haus für Menschen und Schweine von Rosemarie Trockel und Carsten Höller, das auf der Documenta gezeigt wurde, wo quasi so eine Begegnungsstätte geschaffen wurde zwischen Menschen und Schwein."
Ganz anders Axel Radlach Pries, Dekan der Charité. Er will den Abriss des Mäusebunkers und dort einen Neubau für die Biomedizin. Eine Umnutzung würde mehr als hundert Millionen Euro kosten, schätzt er. Sobald in diesem asbestbelasteten Hochsicherheitsbau der Strom abgestellt werde, mutiere er zu einer gefährlichen Dauerruine, die eingezäunt und bewacht werden müsse:
"Und dann wird dieses Gebäude innerhalb dieses Zaunes vergammeln und im Grunde aussehen wie die Ruine von Tschernobyl."
Brutalismus als Architektur würdigen
Christoph Rauhut, Landeskonservator von Berlin, würde den Mäusebunker gerne sofort unter Denkmalschutz stellen. Er sagt: "Gute Architektur löst Emotionen aus." Das Problem: Der Abriss ist schon offiziell genehmigt. Statt eines Rechtsstreits sucht Rauhut eine friedliche Lösung, Hand in Hand mit der Charité, während Aktivisten für den Erhalt des Mäusebunkers mobil machen: "Ich schätze alle so ein, dass sie sich nicht dort anketten."
Das ist bei Gunnar Klack und Felix Torkar wirklich nicht zu erwarten, so zärtlich, wie sie mit den Händen über den Beton des Mäusebunkers streichen:
"Ein Gebäude, das aus Fertigteilen zusammengesetzt ist, wo die einzelnen Betonfertigteile dann wieder in einer brettergeschalten Schalung gegossen sind, das habe ich in der Form auch noch nicht gesehen."
Der Mäusebunker kann also auch als liebenswertes Monstrum gesehen werden.