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Erhebender Realismus

"Der Hof der Pachteinnahmen" ist der schlicht anmutende Titel eines Politkunstwerks, das nun in Frankfurt zu sehen ist. Darin wurde der Zeit der Unterdrückung während der chinesischen Feudalherrschaft ein Denkmal gesetzt. "Kitschig", aber "erhebend" befindet Christiane Vielhaber, die die Ausstellung besucht hat.

    Beatrix Novy: Als die Achtundsechziger-Bewegung sich damals in der Welt nach revolutionären Vorbildern umsah, da holte sie auch die quietschbunte Politkunst aus China ins Repertoire, also dralle Kinder, die eine Riesenrübe aus dem Erdreich holen oder Volksmassen mit Mao-Bibeln wedelnd und so weiter. Die spezielle Ikonografie des chinesischen Agitprop glauben wir zu kennen, weil sie in die Massenkultur integriert worden ist. Jetzt ist die Frage: Ist es das, was jetzt in Frankfurt in der Schirn zu sehen ist? Christiane Vielhaber, sie kommen daher, Sie wissen, was da an Sensationellem gerade aus China angekommen ist.

    Christiane Vielhaber: Ja, genau das, was Sie beschrieben haben, ist es nicht. Es ist ganz großes Theater, es ist ganz großes Kino, es ist ganz viel Pathos und ganz viel Kitsch, aber dann auch so ein bisschen – also, was bei mir dann stattgefunden hat – auch so das Erkennen von mittelalterlichen Ergriffenheitsszenarien, dass da jemand weggeschleppt wird wie bei uns in der Gotik so eine Kreuzesabnahme. Es sind Erinnerungen an französische Skulptur, an Maillol, an Rodin, aber natürlich nicht in irgendeiner Weise abstrakt, sondern alles sehr realistisch. Es ist ergreifend, was passiert, es sind über 100 Figuren, wobei man jetzt bei diesen Figuren zum Beispiel auch einen Hund dazuzählen muss oder dazwischen sind dann auch Realien gemischt in diese sieben Szenen, wie zum Beispiel ein Tisch oder eine Maschine, die die Spreu vom Weizen trennt und so was. Aber dieser ganze Aufmarsch hat etwas sehr Dramatisches, sehr Theatralisches. Man kann nicht umhin, auch an Brecht zu denken, weil es um feudale Strukturen geht, um Unterdrücker und um Unterdrückte, und diese sieben Szenen, die so aufgebaut sind, haben eine große und eine lange Geschichte und der Schluss ist eigentlich immer mehr dazugefunden. Sie merken das rein von der Größe, am Anfang sind diese chinesischen Figuren, die gehen mir so gerade mal bis zur Schulter und sind alle klein und zierlich. Man weiß aber, dass die nach realen Vorbildern von diesen Dörfern genommen sind. Und am Schluss haben Sie wirklich so den sozialistischen Realismus, diese Helden, da fehlt eigentlich nur noch die rote Fahne in der Hand, und die sind viel größer und haben auch ganz andere Gesichtszüge.

    Novy: Der Titel dieser Gruppe ist ja "Der Hof der Pachteinnahmen", und Sie haben eben schon gesagt, Theater, sieben Szenen, also, es wird etwas erzählt. Was wird erzählt?

    Vielhaber: Ja, es gab diesen Menschen Liu Wencai wirklich, der einen großen …

    Novy: Also den Feudalherren.

    Vielhaber: Ja, einen großen Hofbesitzer. Man weiß inzwischen, dass er gar nicht so ein Widerling war, wie er jetzt dargestellt wurde. Er ist 1949 eines natürlichen Todes gestorben, also damals noch nicht vertrieben oder vielleicht einen Kopf kürzer gemacht und enteignet, das kam erst danach. Und dann kam eigentlich mit der Kulturrevolution die Idee von Mao, beziehungsweise eher von Maos Frau, die sich ja in kulturellen Dingen sehr engagierte. Und wollte überall da, wo Menschen vom Kommunismus unterdrückt waren, Gedenkstätten errichten. Und nun hatte man auf diesem Hof eine Gedenkstätte errichtet, zunächst mal hatte das da so ein Lehrer gemacht mit kleinen Gipsfigürchen, das war es aber nicht. Dann hat man versucht, mit Stroh so Figuren, wo man die Hände aus Wachs gemacht hatte, … Das hat die Leute auch nicht rangezogen. Dann hat man ein Künstlerkollektiv oder, sagen wir mal, ein Studentenkollektiv beauftragt, diese Geschichte nachzuerzählen. Und was dann passiert, das ist wirklich unglaublich. Man hat sich auf klassisches Lehm zurückgezogen, hat diesen Figuren aber schwarze, gläserne Augen gegeben, die gucken Sie wirklich an, und dieses Schwarz schillert auch so, dass Sie manchmal das Gefühl haben, die weinen fast. Aber die Bösen haben eben auch diese schwarzen Augen. Und zum Beispiel war Harald Szeemann jemand, der für seine "Documenta" 1972, für die fünfte "Documenta", er hatte davon gehört und wollte die hierher holen. Das war aus politischen und finanziellen Gründen nicht möglich. Inzwischen hat man ganz viele dieser Figuren in China kopiert, …

    Novy: … weil sie so populär gewesen sind.

    Vielhaber: Ja, die mussten ja auch zum Beispiel nach Vietnam oder so, in die Bruderländer geschickt werden, Tausende Millionen von Besuchern haben die gesehen und waren wirklich ergriffen.

    Novy: … und wollten sie auch sehen, sind nicht hingeschickt worden?

    Vielhaber: Ja. Und jetzt ist es erst so, Frau Novy, erst in den 70er-Jahren hat man aus diesen Figuren, Figuren aus verkupfertem Fiberglas gemacht, damit die überhaupt reisen können. Und die haben jetzt so eine Patina – dass da Fiberglas drunter ist, das merken Sie nicht, nur an manchen Stellen, wo das ein bisschen angekratzt ist, aber eine haben eine stärkere, grüne Patina, sie wirken wirklich … was man damals eben nicht wollte, dass man dieses dekadente Material wie Bronze da benutzt hat, … Jetzt wirken sie aber wirklich wie diese Bronzefiguren.

    Novy: 100 Skulpturen aus der Mao-Zeit, da könnte man sich ja vorstellen, dass man das heute eigentlich ein bisschen fremd und weit weg empfindet – und das ist aber nicht so?

    Vielhaber: Nein, überhaupt nicht. Zwischendurch fühlte ich mich auch an Käthe Kollwitz erinnert, denn so eine Mutter, wenn sich so Kinder an die Mutter klammern und wenn Sie denn erfahren, die Kinder werden weggezogen oder eine Brutalität, die man vielleicht aus Guantanamo-Fotos kennt, … Also, es ist zwar Kitsch und es ist Pathos, aber in dem Realismus ist es wirklich ergreifend und ich habe so eine Menge von Skulpturen überhaupt noch nicht gesehen, die wirklich wie auf einer Bühne inszeniert sind und die sich über 70 Meter lang ziehen und dann ganz am Ende, wo sich dann das Volk erhebt – das hat dann auch was Erhebendes.

    Novy: Also Kunst, die ins Museum gehört, in diesem Fall in die Frankfurter Schirn, dort jetzt zu sehen. Vielen Dank, Christiane Vielhaber!