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Eric Zemmour
"Französisches Schicksal"

Wenn der französische Journalist und Essayist Eric Zemmour zur Feder greift, geht es düster zu. Das war schon so bei seinem Bucherfolg "Le suicide français", französischer Selbstmord. Apokalyptisch ist auch sein neues Buch. Es geht darin um nationale Identität und Nostalgie.

Von Jochen Trum | 12.11.2018
    Portraitfoto des französischen Autors und Journalists Eric Zemmour.
    Der französische Autor und Journalist Eric Zemmour (AFP / Joël Saget)
    Zwischen den Buchdeckeln öffnet sich so etwas wie ein Labor des reaktionären Denkens. Eric Zemmour kondensiert aus dem historischen Stoff von 1.500 Jahren ein toxisches Substrat. In seiner Giftküche entsteht, was sich derzeit gut verkaufen lässt: eine idealisierte Vergangenheit, vor der die Gegenwart kümmerlich erscheint.
    Über das Schicksal Frankreichs ist demnach im Grunde schon entschieden. Abstieg, Niedergang, Untergang. Schuldig sind bei Zemmour die Linken, die Verfechter von Liberalität, Pluralismus und Globalisierung. Die Eliten in Gesellschaft und Wirtschaft, die Advokaten des Rechtsstaats, die Befürworter einer europäischen Integration mit ihrem - für Zemmour - völlig falschen Bild der Geschichte.
    Der Autor im französischen Rundfunk: "Das ist doch immer das Gleiche. Nochmal: Unsere Politik und unsere Staatschefs verbringen ihre Zeit damit, zu sagen, dass die Vergangenheit schlecht war. Aber was machen sie? Was machen sie? Sie sehen nichts vorher, sie antizipieren nichts, sie bereiten nichts vor für die künftigen Kämpfe. Das ist aber ihre Verantwortung. Nicht auf den Leuten der Vergangenheit herumzuhauen."
    Ein Streifzug durch die Vergangenheit
    Geschichte ist immer die Erzählung von Geschichte. Doch wer darf sie für sich in Anspruch nehmen? Der historischen Wissenschaft jedenfalls will Zemmour sie nicht überlassen: "Die Aufgabe der Dekonstruktion von Generationen von Intellektuellen, Soziologen, Ideologen und Historikern hat ihre Arbeit getan: Unsere Geschichte Frankreichs wird nunmehr als ein Katalog von Erfindungen von furchtbaren weißen Männern gesehen [...]. Die Nationen existieren nicht, die Grenzen existieren nicht, sagt man uns, das sind künstliche und falsche Gebilde; die großen Männer existieren auch nicht, das sind nur Usurpatoren, die die Massen tyrannisieren."
    In 44 Kapiteln streift Zemmour durch Frankreichs reiche Vergangenheit. Von Chlodwig bis de Gaulle. In Kurzform klingt das so: Chlodwig, der Gründungsmythos, hat durch seine Taufe das monarchische, römische, katholische Frankreich begründet - heute wolle man nichts mehr von ihm wissen.
    Karl VII. hat Frankreichs Armee groß und stark gemacht, Frankreich wurde mit dem Schwert gemacht, wie de Gaulle sagte - heute sei das Land ein Vasall von NATO und den USA. Talleyrand, den die Historiker für einen geschickten Diplomaten auf dem äußerst schwierigen Parkett des Wiener Kongresses halten - er habe Napoleon und Frankreich verraten, im Namen eines übergeordneten europäischen Interesses. Madame de Stael, die berühmte Autorin des Klassikers "Über Deutschland" - eine geschwätzige Salondame, die mit ihrer einflussreichen Schwäche für Deutschland Frankreich schwer geschadet habe.
    "Frankreich hat die Attribute einer Macht: Staat, Territorium, Armee. Deutschland ist nur eine geographische Entität, zersplittert in unzählige Fürstentümer und Operettenstaaten. Frankreich ist ein Eroberer, Deutschland, das sind offene Städte. Frankreich ist eine Nation von Haudegen, [...] Deutschland ist eine gelehrte Nation, die Kultur und Kunst verehrt."
    Wer verteidigt den Willen des Volkes?
    Die Stofffülle ist beachtlich, umso bedauerlicher, dass der Verlag bei den vielen Namen und historischen Daten auf ein Register verzichten zu können glaubt. Zumal der Autor immer wieder springt. Ein zentrales Thema bei Zemmour ist die Kritik an den herrschenden Eliten, nach Überzeugung der politischen Wissenschaft eines der Merkmale populistischen Denkens schlechthin.
    "Die zentralisierte Organisation Frankreichs, die extreme Konzentration seiner Intelligenz in einigen Straßen von Paris, schneiden die französischen Eliten systematisch vom Volk ab und lassen sie in dem Glauben, es ginge auch ohne es, was Verdrossenheit, Revolte, Rebellion und Hass hervorruft."
    Zu den Eliten zählen vor allem auch Juristen, Richter, der Rechtsstaat. Zemmour expliziert dieses Thema in einem Kapitel, das sich mit dem Justizminister unter Ludwig XV. befasst. Hier macht der Autor das, was im Lager der reaktionären, bisweilen auch populistischen Strategen dieser Tage en vogue ist. Wer eigentlich ist das Volk? Verteidigen Juristen und oberste Gerichte tatsächlich den Volkswillen oder sind sie Instrumente einer herrschenden Elite?
    Der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller hat darauf hingewiesen, dass die Gerichte in Europa auch als Bollwerke gegen die totalitären Erfahrung des 20. Jahrhunderts installiert wurden. Und dass sich ihre demokratische Legitimation, oder besser: ihre Repräsentativität durchaus bezweifeln lässt. Genau das lesen wir bei Zemmour.
    "Wie die Parlamente des ancien régime beanspruchen unsere Richter zugleich eine politische und rechtliche Rolle. Im Namen der Menschenrechte verbieten sie der politischen Macht, die citoyens zu beschützen. Im Namen der Freiheit gestatten sie den großen Unternehmen, ihre Hauptquartiere in die Steuerparadiese Niederlande oder Irland zu verlegen. Das Recht im ständigen Dienst der Privilegierten."
    Rechtsstaat, "Etat de droit", der Begriff gehe mitnichten auf Montesquieu zurück. Es sei ein deutscher Import, was in Zemmours Welt so etwas wie Höchststrafe bedeutet.
    Frankreich und der Islam
    Das führt uns zu Victor Hugo. Der Schriftsteller, Ikone der französischen Literatur, zog mit Vehemenz gegen die Todesstrafe zu Felde. Statt ihn für seinen Humanismus zu preisen, wirft ihm Zemmour vor, die Wege für ein viel zu nachsichtiges Strafrecht geebnet zu haben. Der Täter als Opfer der gesellschaftlichen Umstände. Gefühl – in der Politik habe das nichts verloren.
    "Hugo - in der Politik hat er sich komplett geirrt. Er ist die Inkarnationen dessen, was ich mit Gefühl in der Politik meine. Hugo liebt den Attentäter. Das ist ein Teil seiner Naivität. Er hat uns diese Opferperspektive beschert."
    Und dann erst: Voltaire. Der Aufklärer ist für Zemmour geradezu diabolisch, und er vergleicht ihn gar mit dem hyperventilierenden Louis de Funès.
    "Voltaire war lustig, aber böse. Talentiert, aber arrogant. Überlegener Geist, der seine Freiheit gebraucht, um all die hinwegzufegen, die nicht seinem Niveau entsprechen. Sein souveränes Talent hat für alle Zeit den französischen Geist zerfressen [...] Voltaire ist der Vater all dieser künftigen Intellektuellen. Ihr Meister. Ihr unübertroffenes Modell. Der Vater ganzer Generationen von Zerstörern, De-Konstrukteuren, Nihilisten."
    De Gaulle und Algerien bilden das letzte Kapitel. Zemmour, selbst Jude algerischer Herkunft, versteht, dass Frankreich Algerien am Ende in die Unabhängigkeit entließ, aber der Krieg sei eine nationale Schande. Auch, weil der gordische Knoten Islam nicht durchschlagen wurde.
    Frankreich und der Islam – ein fortwährender Kampf über Jahrhunderte, von den Kreuzzügen bis heute. Zemmour scheut sich nicht, hier den möglichen nächsten Bürgerkrieg zu diagnostizieren.
    Bei ihm schwingt insgesamt viel mit von Carl Schmitts Begriff des Politischen als Kampf. Und auch Antonio Gramscis kulturelle Hegemonie - Klassiker aus der Denkwerkstatt der neuen Rechten. Macht, Autorität, Staat, Nation, das ist seine Welt. Er macht sich zum Sprachrohr einer in Frankreich nach wie vor mächtigen Bewegung. Wie der US-Ideengeschichtler Mark Lilla so treffend formuliert hat, haben die Reaktionären unserer Zeit entdeckt, dass die Nostalgie ein mächtiger politischer Antrieb sein kann. Mächtiger als die Hoffnung. Hoffnung kann enttäuscht werden, Nostalgie ist unwiderlegbar.
    Eric Zemmour: "Destin français. Quand l´Histoire se venge",
    Albin Michel Verlag, 576 Seiten, 26,66 Euro.