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Erich Loest "war ein sehr großer Praktiker des Schreibens"

Erich Loest habe seine Leser geliebt, sagt Manfred Jäger, Publizist und Bekannter des verstorbenen Autors. Er sei ein traditioneller Erzähler gewesen und habe seine Heimat geöffnet für Weltprobleme.

Manfred Jäger im Gespräch mit Kathrin Hondl | 13.09.2013
    Kathrin Hondl: Zuerst erinnern auch wir an Erich Loest, den Schriftsteller, der wie wohl kaum kein anderer die deutsch-deutsche Geschichte Literatur hat werden lassen. "Er ist das Volk" – so überschrieb sehr treffend die Berliner Zeitung vor ein paar Jahren eine Würdigung zum 80. Geburtstag von Erich Loest. Ein Chronist des 20. Jahrhunderts in Deutschland war er und einer der bedeutendsten Autoren Ostdeutschlands. Mit 87 Jahren ist Erich Loest jetzt gestorben, nachdem er sich aus einem Krankenhaus-Fenster gestürzt hatte - in Leipzig, der Stadt, die ihm wohl das war, was man Heimat nennt.

    Am Telefon ist jetzt der Publizist und Literaturkritiker Manfred Jäger. Er ist nicht nur spezialisiert auf Literatur aus der und über die DDR, sondern er kannte gerade Erich Loest auch persönlich sehr gut. Und, Herr Jäger, in den vielen Nachrufen auf Erich Loest ist jetzt immer von "dem Chronisten der deutsch-deutschen Geschichte" die Rede, von einer beispielhaften deutschen Biografie, sodass man fast den Eindruck bekommt, das persönliche Leben verschwindet irgendwie ein bisschen hinter dieser großen Geschichte. Sie nun haben Erich Loest auch persönlich gut gekannt. Was für ein Mensch war er? Wie haben Sie ihn erlebt?

    Manfred Jäger: Erich Loest war ein sehr zugänglicher Mensch, ein sehr selbstbewusster Mensch und einer, der seine Leser liebte. Und da muss man sagen: Er war ein sehr großer Praktiker des Schreibens. Er hatte sehr viel nachzuholen, er hatte das Gefühl, man hat ihm sozusagen 20 Jahre geraubt, siebeneinhalb davon im Zuchthaus und danach musste er ja unter Pseudonym Kriminalromane schreiben, er durfte sozusagen nicht das schreiben, was er wollte, lange Jahre. Und dann hatte er eine Art von Schreibbedürfnis, vielleicht sogar eine Art von Schreibzwang. Er wollte sich mit den theoretischen Problemen des Schreibens eigentlich nicht beschäftigen.

    Hondl: Gibt es denn in dieser Fülle von Publikationen, von Texten, gibt es da einen Text, ein Buch, von dem Sie jetzt sagen würden, das war sein wichtigstes, sein literarisches Hauptwerk?

    Jäger: Für mich sind eigentlich zwei Bücher die wichtigsten, und von denen wieder ist es die Autobiografie. Dieses Buch, "Durch die Erde ein Riss", das er zu DDR-Zeiten begonnen hat, 1972 - in langen Phasen hat er immer wieder daran geschrieben; das war eigentlich nicht seine Eigenart, weil er eigentlich ein Schnellschreiber war -, aber hier diese Autobiografie, die sieben Jahre seiner Haft beschreibt, das ist sicher das wichtigste Buch, und zwar deswegen, weil er der Verführung entging, ein Rachebuch zu schreiben. Er hat den Alltag in Bautzen beschrieben aus der Distanz eines Menschen, der auch nicht "ich" sagt, sondern sich "L" nennt, damit er sehen kann, dass diese Haft aus ihm nicht einen anderen Menschen macht.

    Hondl: So sehr, Herr Jäger, die Themen der Literatur von Erich Loest mit der Gegenwart, dem Leben, mit der jüngeren Geschichte zu tun hatten, sprachlich schien er ja doch eher in der Tradition des 19. Jahrhunderts verhaftet zu sein als den Sprachexperimenten des 20. Jahrhunderts zugeneigt. Oder wie würden Sie die Sprache, den Stil von Erich Loest beschreiben?

    Jäger: Er war sicher ein traditioneller Erzähler. Das wollte er auch sein. Er war kein Sprachexperimentator. Aber er hat sich selber innerhalb dieses Bereichs sehr elegant bewegt. Auch die satirischen Stilmittel hat er sehr gut angewandt und er hat auch natürlich als ein Meister des Dialogs erreicht, dass Leser sich mit der Figur, die er vorführte, identifizieren konnten. Er war also kein Experimentator, aber er hat das, glaube ich, auch nicht als Begrenzung gesehen, sondern als das Bekenntnis zu seinen Fähigkeiten und seinen Eigenarten.

    Hondl: Inwiefern, meinen Sie, hat er Einfluss gehabt auf die ihm nachfolgende Schriftstellergeneration? Gibt es, um es mal platt zu sagen, Erben von Erich Loest?

    Jäger: Das glaube ich eigentlich nicht. Man könnte natürlich sagen, dass die Flut von Unterhaltungsliteratur, wenn sie gut ist, in einem bestimmten Zusammenhang mit Erich Loest steht. Aber die Art, wie er sich bemüht hat, Geschichte darzustellen, auch im Völkerschlachtdenkmal und so weiter, quer durch die Zeiten, das ist eigentlich etwas, was nur er geschafft hat und wo auch, glaube ich, der Lokalzusammenhang, also die Orientierung auf seine sächsische Heimat, die ja auch in dem Karl-May-Roman zum Beispiel sichtbar wird, ihn abhebt, ohne dass man ihm nachsagen könnte, er sei ein Heimatschriftsteller im engeren Sinne gewesen. Er hat also die Heimat geöffnet für Weltprobleme, und das auf eine Weise, die gleichzeitig ein großes Publikum gewinnen konnte.

    Hondl: Vielen Dank - der Literaturkritiker Manfred Jäger war das über Erich Loest, der gestern mit 87 Jahren in Leipzig gestorben ist.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.