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Erich Schaake: Condoleezza Rice. Die Frau an der Spitze der Macht.

Von "Falken" und "Märtyrern" ist heute Abend die Rede - in Neuerscheinungen aus den USA und der arabischen Welt: Wir schlagen den Bogen von der aktuellen US-Außenpolitik bis mitten hinein in die islamischen Gesellschaften und ihre Diskussion über Reform und Demokratisierung. Dafür haben wir folgende Titel ausgewählt: Die bislang einzige deutschsprachige Biographie über Condoleezza Rice. Dann das neue Buch des einstigen US-Regierungsberaters Richard Clarke. Es ist ein Versuch, Alternativen zur Politik George Bushs aufzuzeigen. Im Gespräch mit dem Autor und Islamwissenschaftler Stefan Weidner geht es dann um den Reformprozess in den islamischen Gesellschaften. Ein Thema, dem sich auch FAZ-Redakteur Wolfgang Günter Lerch in seiner Analyse über den "Islam in der Moderne" widmet. Und zum Schluss stellen wir Ihnen noch zwei Sammelbände zur Geschichte und aktuellen Bedeutung des Selbstmordattentats vor. Das alles bis 20 Uhr - hier im Deutschlandfunk.

Von Rolf Clement | 07.02.2005
    "Sie erklärt mir Außenpolitik so, dass ich sie verstehe." Das hat George Bush einmal – ganz ohne Selbstironie - über seine Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice gesagt. Da erscheint es nur logisch, dass er die Frau mit dem Beinamen "Stählerne Magnolie" zu seiner neuen Außenministerin gemacht hat. Die ehemalige Stanford-Professorin und Konzertpianistin steht für einen unilateralen Kurs der US-Außenpolitik, sie befürwortet die Strategie der so genannten Präventivschläge, sie betet mit dem Präsidenten, sie treibt Sport mit ihm. Sie steht, anders als ihr Vorgänger Colin Powell – ganz und gar für George Bush und sein politisches Programm. Oder ist es umgekehrt? "Condoleezza Rice – Die Frau an der Spitze der Macht". Unter diesem Titel hat der Journalist Erich Schaake die erste deutschsprachige Biographie vorgelegt, die jetzt in einer aktualisierten zweiten Auflage erschienen ist. Rolf Clement hat sie gelesen:

    Zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert werden zahllose Menschen als Sklaven aus Schwarzafrika in die USA verbracht. Dazu gehören auch die Vorfahren von Condoleezza Rice. Nachdem die Sklaverei in den USA abgeschafft ist, lebt die Familie Rice in Alabama. Condi Rice wächst in Birmingham, einer der Hochburgen des Rassismus in den USA, auf.

    Condoleezza erlebt dort, wie weiße Rassisten Farbige töten, ohne dass sich die Polizei ernsthaft um Aufklärung dieser Verbrechen kümmert. In dieser Zeit beobachtet sie das Leben und Wirken Martin Luther Kings.

    Es ist ein Traum, der tief verwurzelt ist im amerikanischen Traum. Ich habe einen Traum, dass eines Tages diese Nation sich erheben wird und der wahren Bedeutung ihres Credos gemäß leben wird: Wir halten diese Wahrheit für selbstverständlich: dass alle Menschen gleich erschaffen sind.

    Ihr Vater gibt ihr dies auch als persönliches Credo mit auf den Lebensweg: Nicht Hautfarbe oder Geschlecht seien entscheidend, sondern allein die persönliche Leistung. Condi Rice ist 14 Jahre alt, als King ermordet wird. Sie hat mittlerweile mit ihrer Familie die Rassenhölle Alabama verlassen und lebt in Colorado, der Region des Goldrausches, wo die USA das Land der unbegrenzten Möglichkeiten sind. Dort wird, sichtbares Zeichen der Veränderung, Condoleezza Rice in einer Klasse mit weißen Kindern unterrichtet. Obwohl ihre Eltern sie zur Starpianistin aufbauen wollen, entscheidet sie sich dagegen: Ein weiblicher Mozart sei sie nicht. Sie will Sowjetexpertin werden. Neuer Dreh- und Angelpunkt in ihrem Leben wird der Hochschullehrer Joseph Korbel und sein Seminar über internationale Beziehungen.
    Der Autor Erich Schaake baut in seine Biographie immer wieder Einblicke in die Leben derer ein, die Rice besonders geprägt haben. Ihre Vorfahren, Martin Luther King und nun ihr Lehrer Korbel werden kurz portraitiert, später auch jene Menschen in Washington, mit denen sie eng zusammenarbeitet. Bei Korbel lernt sie dessen Tochter Madeleine kennen, die später den Publizisten John Albright heiraten wird. Madeleine Albright prägt diesen Lebensabschnitt.

    Beide waren stark auf ihre Väter fixiert und richteten sich an deren Karrieren aus. Beide verband die gemeinsame Kindheitserfahrung von traumatischer Angst, Unterdrückung und Lebensbedrohung. Beide waren Flüchtlinge: Die eine entkam dem Holocaust, die andere den weißen Rassisten. Außerdem litten sie unter der rassistischen Unterstellung, einem "minderwertigen Menschenschlag" anzugehören: Albright als Jüdin und Rice als Schwarze.

    Albright ist später die erste Frau als Außenministerin, ihr Nachfolger Colin Powell ist der erste Schwarze im Amt, nun kommt sie, die erste schwarze Frau als Ministerin - für Condi Rice eine folgerichtige Entwicklung. Von Albright lernt und übernimmt sie deren Credo:
    Amerika habe die Pflicht, Diktatoren auszuschalten. "Viele aus meiner Generation sind im Geist von Vietnam aufgewachsen. Mich hat der Geist von München geprägt." Damit spielte sie auf die Münchner Konferenz von 1938 an, bei der Hitler durch die Nachgiebigkeit in seinem Kriegswillen bestärkt wurde.

    Im Studium wird Rice zur Spitzenkraft: Sie macht ihr Examen mit Bestnoten in kürzester Zeit. Sie geht zunächst nicht auf eine Eliteschule, aber das ändert sich schnell. Sie wechselt nach dem Studium nach Kalifornien, an die Stanford-Universität.
    Musik Beach Boys

    Das Lebensgefühl im Kalifornien der beginnenden 80er Jahre ist der nächste Einfluss, dem Rice sich aussetzt. In Stanford beschäftigt sie sich mit Rüstungskontrolle und Abrüstung. Mit 33 Jahren ist sie außerordentliche Professorin. Die Reaktion des Präsidenten Jimmy Carter auf den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan hält sie für schwach, für wenig überzeugend. Sie wechselt so empört von den Demokraten zu den Republikanern.
    In Stanford begegnet sie dem späteren Sicherheitsberater des Präsidenten Bush senior, Brent Scowcroft. Er ist von ihr so beeindruckt, dass er sie zunächst ins Verteidigungsministerium, später ins Weiße Haus holt. Rice hat sich zu einer profunden Kennerin der sowjetischen Politik entwickelt. So wird sie in der Zeit des Zusammenbruchs der Blockkonfrontation in Europa zu einer der engsten Beraterinnen des Präsidenten Bush senior. Sie konzipiert die US-Position in den Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen. In dieser Zeit freundet sie sich mit der Familie Bush an. Diese Freundschaft überdauert auch die acht Jahre, die zwischen der Präsidentschaft von Vater und Sohn liegen. Condi Rice verbringt diese acht Jahre in Stanford und in der Industrie. In Stanford wird sie zur jüngsten Vizepräsidentin der Universität. Sie muss sich als Sparkommissarin beweisen. Mit Hilfe der Bush-Familie kommt sie zum Ölkonzern Chevron, wo ihre Kenntnisse über die Sowjetunion gefragt sind - es geht um die Konzeption von Pipelines. Als George Bush, der Jüngere, sie anruft, um in seinem Team die Außenpolitik zu vertreten, sagt sie sofort zu, allerdings mit klaren Vorstellungen:

    Sie fordert ein starkes Amerika. Nur ein starkes Amerika sei der beste Schutz für Menschenrechte und demokratische Freiheiten. Deshalb müsse Amerika sich wieder darauf besinnen, seine nationalen Interessen zu verfolgen und dadurch, wie im Kalten Krieg, wirklichen Frieden voranzubringen.

    Nach dem Wahlsieg wird sie Nationale Sicherheitsberaterin. Die Freundschaft zur Familie des Vaters wird auf die des Sohns übertragen.

    Ein starkes Motiv, das sie mit Bush verbindet, und beide in ihrem religiösen Sendungsbewusstsein zu einem Team zusammenschweißt, ist sicherlich das gemeinsame Streben nach Kontrolle, Macht und Sicherheit. Beide scheinen in der Sicherheitspolitik ihre Lebensaufgabe zu sehen und vom Gedanken der Unverwundbarkeit getrieben zu werden. Beide wollen einen Schutzschild über die Vereinigten Staaten von Amerika legen und das Land unangreifbar machen. Das mag mit ihren persönlichen Erfahrungen zu tun haben und ein Ausdruck des Wunsches sein, nie mehr im Leben traumatischen Erfahrungen von Hilflosigkeit ausgesetzt zu werden. Die Indizien sprechen jedenfalls dafür. Beide hatten solche Angst- und Ohnmachtserfahrungen zu bewältigen: Condoleezza Rice in ihrer Kindheit im rassistischen Süden der USA, George Bush Junior in der Erfahrung seiner Alkoholkrankheit.

    Dass die erste Amtszeit des jüngeren George Bush durch die Terror-Anschläge in New York und Washington geprägt wird, verschafft Rice Beschäftigung und Einfluss. Aber sie betont: Sie berate nur, handeln müssten andere. In der Biographie wird wenig deutlich, dass ihr Einfluss weit darüber hinausgeht. Aber der Leser erfährt, wie sie durch ihre Jugenderfahrungen so kompromisslos geworden ist in der Beurteilung von Vorgängen und in der Härte und Konsequenz von Entscheidungen. Deshalb klingt es folgerichtig, wenn sie in der Anhörung des Senats vor ihrer Ernennung sagt:

    Amerika steht auf der Seite der unterdrückten Menschen auf jedem Kontinent, in Kuba, in Birma, in Nordkorea, in Weißrussland, im Iran und in Simbabwe.

    Das sind die Vorposten der Tyrannei, fügt sie hinzu. Privat lässt sich Condoleezza Rice nicht in die Karten schauen. Sie hält ihr Privatleben - bislang jedenfalls - geheim, wir erfahren nichts von ihr. So ist das Unterfangen, eine Biographie der agilen Politikerin zu schreiben, nicht einfach. Erich Schaake hat alles - oder vieles - zusammentragen, was man über sie weiß. Er sucht die Politikerin über ihr Umfeld zu ergründen, über Menschen und Erlebnisse, die sie geprägt haben. Bis auf die letzten drei Jahre ist ihm ein Bild gelungen, das glaubwürdig Aufschluss gibt über die Beweggründe, die Condi Rice zu ihrer Karriere und ihren Positionen gebracht haben. Im letzten Teil aber wird das Buch zu seiner Streitschrift gegen die von Rice maßgeblich mitformulierte Irak-Politik der Regierung Bush. Da wird ihr Leben fast zur Nebensache. Insgesamt ist das Buch gut lesbar. Es ist bislang die einzige Biographie der Ministerin in deutscher Sprache. Aber wenn eine Spekulation Schaakes zutrifft, wird es nicht die letzte sein:

    Aber so einzigartig und mächtig ihre Position auch sein mag, so verkörpert Condoleezza Rice zugleich auch die populäre feministische Seite von Amerika, wo Frauen mittlerweile ganz selbstverständlich hochrangige politische Jobs ausüben, im Big Business tätig sind, Milliardenunternehmen führen und sich für das Präsidentenamt bewerben. Ist sie dazu geboren, die erste schwarze Präsidentin zu sein, die eines Tages an jenem Schreibtisch Platz nimmt, an dem im Augenblick George Bush sitzt?

    Rolf Clement war das über die Rice-Biographie von Erich Schaake: Condoleezza Rice. Die Frau an der Spitze der Macht. Die zweite, aktualisierte Auflage ist gerade im Herbig Verlag München erschienen. 288 Seiten kosten 19,90 Euro.