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Erinnerung an alte Zeiten

Am 8. September 1943, vor 65 Jahren, zerbrach die Allianz zwischen Nazideutschland und dem faschistischen Italien. Der einstige Bündnispartner wurde zum Feind. Bis zum Kriegsende 1945 tobte ein blutiger Kampf zwischen den Partisanen und den deutschen Soldaten samt den noch verbliebenen italienischen Faschisten. 65 Jahre danach ist die Erinnerung also noch immer lebendig - und der Schatten der Vergangenheit fällt auch auf die eigene Verantwortung. Aus Italien berichtet Karl Hoffmann.

    65 Jahre nach der Kapitulation Italiens im 2. Weltkrieg ist Italiens Rechte wieder salonfähig. In der vor gut drei Monaten mit deutlicher Stimmenmehrheit neu gewählten Regierung von Silvio Berlusconi ist die Alleanza Nazionale, die Nachfolgepartei der einstigen Neofaschisten unverzichtbarer Koalitionspartner. Alleanza Nazionale stellt nicht nur den Parlamentspräsidenten sondern auch wichtige Minister, wie jenen der Verteidigung. Doch die Alleanza Nazionale ist nicht die einzige Partei, die Gedankengut des Faschismus bis heute verteidigt und wieder populär macht. Auch die norditalienische Lega Nord, die sich als "weder rechts noch links" bezeichnet, tut sich mit Fremdenfeindlichkeit bis hin zum Rassismus und einem ausgeprägten Patriotismus hervor, der peinlich an längst vergangenen Zeiten erinnert. Jüngst gab es dafür Schelte aus einer völlig unerwarteten Ecke. Das katholische Wochenblatt Famiglia Christiana kritisierte die Regierung und warnte offen vor einem Rückfall in den Faschismus.

    Die Töne der christlichen Chronisten hätten schriller nicht sein können: mit dem Plan der Regierung, Roma-Kindern Fingerabdrücke abzunehmen oder zur öffentlichen Sicherheit Soldaten auf die Straßen der italienische Städte zu schicken, riskiere Italien zu einem Faschismus in neuem Gewande zurückzukehren. Für seinen Chef Silvio Berlusconi konterte aggressiv und beleidigt der Unterstaatssekretär Carlo Giovanardi:

    "Ein militantes linkes Blatt. Einseitig, aber das darf eine Zeitung ja sein. Was aber hat sie noch gemein mit Familie oder Christlich. Das ist eine polemische politische Wochenzeitung. Sie drückt die Meinung ihrer Redakteure aus, die politisch einseitig sind. Sie hat keinerlei Autorität und vertritt alles andere als christliche Prinzipien."

    Auch der Vatikan und die Bischofskonferenz entzogen dem christlichen Wochenblatt den Segen, schließlich hatte Papst Benedikt XVI. doch persönlich das neue politische Klima nach der Wahl von Berlusconis Mitte-Rechts-Regierung ausdrücklich gelobt. Zwar tritt auch der Vatikan traditionell für den Schutz der Immigranten ein, aber Kritik an rechten Parolen in der Regierung mit Verweis auf die faschistische Vergangenheit wird dabei tunlichst vermieden. Schließlich hat die katholische Kirche noch immer mit den Schatten der Vergangenheit zu kämpfen. Curzio Maltese ist Redakteur bei der Tageszeitung La Repubblica und Autor einer jüngst erschienenen kritischen Abhandlung über die politische Einflussnahme des Vatikans.

    "Die Unterstützung für Faschismus und Nationalsozialismus wurde niemals aufgearbeitet innerhalb der katholischen Kirche Sie wurde schlichtweg abgehakt. Man hat den Mantel des Schweigens über die Tatsache gebreitet, dass die katholische Führung, das heißt mindestens eineinhalb Päpste, Pius XI und Pius XII auf Seiten der diktatorischen Regime in Italien und in Deutschland standen. Und damit war jede Diskussion abgebrochen."

    Die mangelnde Aufarbeitung der Vergangenheit hat sich auch auf das weltliche Italien übertragen. Wie auch die katholische Kultur der Absolution. Dank der mit kirchlichem Segen möglichen Vergebung aller Sünden entfällt die persönliche Verantwortung für verübtes Unrecht, sagt Curzio Maltese. Wenn dann auch noch ein neuer mächtiger Mann wie Berlusconi auftaucht, dann ist die Gefahr eines Rückfalls in alte Zeiten nicht zu unterschätzen.

    "Berlusconi ist seit 20 Jahren der wichtigste Herausgeber des Landes, er hat öffentliches und privates Fernsehen unter Kontrolle. Er hat eine kulturelle Vorherrschaft aufgebaut, die es ihm erlaubt zu tun und zu lassen, was er will. Italien wird immer mehr und mehr zu einer autoritären Demokratie. Die nach außen hin demokratische Züge trägt, aber immer mehr einem Regime ähnelt. Es spricht sich aber selbst von jeder Schuld frei - nur ab und zu gesteht es ein paar Sünden, aber am nächsten Tag macht es die gleichen Sachen wieder. Und die katholische Kirche hat sich inzwischen sehr deutlich auf seine Seite gestellt."

    Famiglia Christiana gehört natürlich nicht zu Berlusconis Medienreich.
    Programmtipp:

    Über Italien und das Erbe des Faschismus berichten wir ausführlich in der Sendung Gesichter Europas am Samstag, den 6. September 2008, um 11:05 Uhr.