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Erinnerung an ein bewegtes Politikerleben

Als die Sowjetunion sich militärisch in Afghanistan engagierte, da boykottierte der Westen die Olympischen Spiele. Das war 1980. Heute erinnern Denkmäler in Russland an jene Sowjetsoldaten, die nicht heimkehrten vom Einsatz am Hindukusch. "Das sowjetische Abenteuer endete in einem Desaster, und das Unglück der Afghanen nahm kein Ende," sagt - und schreibt - ein Mann, der es wissen muss, der in der Sowjetunion als Weggefährte Gorbatschows an den Schalthebeln der Macht saß, als das dunkle Kapitel Afghanistan geschlossen wurde. Der Mann heißt Eduard Schewardnadse und hat jetzt auf der Frankfurter Buchmesse seine Memoiren vorgestellt. "Als der Eiserne Vorhang zerriss. Begegnungen und Erinnerungen." Eine Rezension von Thomas Franke.

Von Thomas Franke | 22.10.2007
    Das Zimmer, in dem Eduard Schewardnadse sein Buch geschrieben hat, hängt voller Fotos. Belege eines bewegten Politikerlebens. Schewardnadse ist stolz darauf, mit Recht, er hat viel geleistet.

    " (...) Das hier ist Bush, der Vater. Das ist der japanische Außenminister. Ich war dreimal in Japan. Das ist Clinton mit seiner Frau. Wir waren befreundet. Das ist Genscher, den kennen Sie. Wir sitzen in der Schule, in die er gegangen ist. Uns wurden Fragen gestellt. Fünf Stück. Drei konnten wir beantworten. Zwei nicht. Da haben wir gelacht. "

    In seine Zeit als Außenminister der Sowjetunion fallen der Zusammenbruch des Ostblocks und die Einheit Deutschlands. Alles fing mit Reformen im Kreml an.

    " Damals fragten sich viele: Was bedeuten Perestroika und Glasnost, das ist doch ein Nein zum Sozialismus? Das war in der Tat so, aber das konnte man damals nicht laut aussprechen. "

    Schewardnadses Name war damals untrennbar mit dem von Staatschef Michail Gorbatschow verbunden. Beide traten ihre Ämter in undankbarer Zeit an. Die Sowjetunion war in diverse Kriege verwickelt, allein in der Mitte Europas standen eine halbe Million sowjetischer Soldaten. Schewardnadse begann, all diese Konfliktherde zu bereinigen.

    " Gorbatschow und ich hatten uns dafür ausgesprochen, dass wir früher oder später die Afghanistan-Frage entscheiden mussten: Die Armee müsse abgezogen werden, denn wir hatten dort nichts zu suchen. Wir mussten die Probleme in unserem eigenen Land lösen. Zudem war Afghanistan ein bodenloses Fass, dass die menschlichen und finanziellen Ressourcen der Sowjetunion verschlang. Unser Land konnte die schwere Last politisch, humanitär und militärisch nicht mehr tragen. Aus Afghanistan kehrten viele Soldaten in einem Zinksarg nach Hause zurück, andere waren verstümmelt. Auch auf der anderen Seite starben zahlreiche Menschen oder wurden unglücklich. Zur Bilanz gehört, dass einige sowjetische Generäle und Offiziere Millionäre wurden: Sie wärmten ihre Hände am Waffen- und Drogenhandel. In einem öffentlichen Auftritt habe ich darauf hingewiesen, dass mich solche Informationen erreichten. "

    Der Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan ist ein spannendes Kapitel. Denn mit Sicherheit hat die Führung des Militärs nicht darauf gewartet, dass Schewardnadse Außenminister wird und die Soldaten aus Afghanistan abzieht. Aber: Welche Widerstände gab es im Militär? Wie wurden die überwunden? Beim Streit um die Macht hat es in der Sowjetunion immer Rivalitäten zwischen dem Militär und dem Geheimdienst gegeben. All das bleibt ungeklärt. Das ist der große Mangel dieser Erinnerungen. An vielen Stellen lässt Schewardnadse den Leser mit seiner Neugier nach historischen Details allein.

    Besonders deutlich wird das bei seiner Beschreibung des Gipfeltreffens zwischen dem US-Präsidenten Ronald Reagan und Gorbatschow im Herbst 1985 in Genf. Es war das erste Treffen der Staatsoberhäupter seit sieben Jahren. Die Atmosphäre war bereits vorher vergiftet. Reagan hatte die Sowjetunion als das Reich des Bösen bezeichnet.

    " Gorbatschow wollte nicht so gern nach Genf fahren. Er sagte, dass sie etwa eine halbe Stunde miteinander sprechen würden. In Wirklichkeit aber dauerte das Treffen fast drei Stunden. Dann kamen Reagan und Gorbatschow heraus. Beide waren aufgebracht. Gorbatschow sagte zu mir: "Wir fahren zur Datscha."

    Im Auto schwieg er. Wir kamen an der Villa an. Raissa ... "

    ... das war Gorbatschows Frau ...

    " ... Raissa kam uns entgegen. "Wie ist das Treffen verlaufen?", fragte sie. Gorbatschow aber sagte zu mir: "Das Flugzeug soll vorbereitet werden. Wir fliegen ab. Mit dieser amerikanischen Regierung kann man keine Gespräche führen."

    Ich sagte ihm gelassen, dass das Wichtigste doch das Treffen sei und es sich nicht lohne, die Verhandlungen abzubrechen. Raissa sagte ihm dasselbe.

    "Nein, nein, mit diesem Menschen kann man keine Vereinbarung treffen", beharrte Gorbatschow.
    Wir redeten ihm eine Stunde zu, das Treffen nicht abzubrechen. In der Tat kehrten wir an den Verhandlungstisch zurück. "

    Ronald Reagan ist tot, und die Sowjetunion existiert nicht mehr. Es ist an der Zeit, zu erzählen, was da hinter verschlossenen Türen passiert ist. Waren die beiden Staatschefs so in einander verkeilt, dass die Welt für Stunden am Rande eines weiteren Krieges stand? Statt dessen erfahren wir, dass Reagans Außenminister Shultz Schewardnadse in seinen Memoiren als "der sympathische Außenminister der Sowjetunion" bezeichnet. Wir erfahren weiter, dass er vom späteren Außenminister Baker Gummistiefel geschenkt bekommen hat, die er bis heute aufbewahrt, und dass er mit Fidel Castro über viele interessante Themen sprach. Was so interessant war, wird nicht mitgeteilt.

    " Ich hab' einen langen Weg hinter mir. Als Junge bin ich unter Kommunisten in die Jugendorganisation Komsomol eingetreten und habe dort gearbeitet. Später wurde ich KP-Chef in Georgien. Dann wurde ich Außenminister der Sowjetunion, fast sechs Jahre war ich das, habe alle Kontinente bereist. Ich habe viele Eindrücke gewonnen, das Buch handelt von diesen Eindrücken. Davon, was in jenen Jahren passiert ist, in den sowjetischen Jahren und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Diese Jahre versuche ich, ehrlich und objektiv zu beschreiben. Ich glaube, das ist mir gelungen. "

    Für deutsche Leser von besonderem Interesse: das Thema Wiedervereinigung.

    " Das Thema der Wiedervereinigung Deutschlands wurde eigentlich am 21. Juli 1986 beim ersten Treffen von Genscher und Gorbatschow in Moskau angesprochen. Dabei war ich natürlich anwesend, und ich bin der Meinung, dass den Beginn eines neuen Abschnitts in den Beziehungen der Sowjetunion und Deutschlands gerade dieses Treffen ermöglichte. Wir bemerkten, dass die Regierung der Bundesrepublik, besonders in der letzten Zeit, die Konzeption der "deutschen Wiedervereinigung" neu zu beleben versuchte. Im März 1986 erklärte Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Rede "über die Lage der Nation im geteilten Deutschland", dass die Politik der Bundesrepublik sich an der "Verstärkung des Bewusstseinsprozesses der nationalen Vereinigung der Deutschen" orientiere. Die von dem amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan geäußerte Meinung: "Europa muss vereinigt werden", wurde bereits als aktuelles Problem empfunden, und von der Sowjetunion erforderte das eine entsprechende Reaktion. "

    Was ist da hinter den Kulissen abgelaufen? Wie wurde die Situation in der DDR im Kreml unter Gorbatschow diskutiert? Wie stellten sich die Reformkräfte in Moskau zu den Betonköpfen in Ost-Berlin? Wir erfahren es nicht. Statt dessen springt Schewardnadse in den Februar 1990.

    " Ich erinnere mich, dass der amerikanische Außenminister James Baker sich neben mich setzte und nach einer kleinen Einführung fragte: "Ist die Zeit vielleicht reif, um über die Wiedervereinigung Deutschlands nachzudenken?" "

    Das Kapitel über die Vereinigung Deutschlands ist rundum unbefriedigend.

    Schewardnadse widmet einen großen Teil des Buches seiner Rolle nach dem Ende der Sowjetunion und seiner Zeit als Präsident des unabhängigen Georgiens. Man kann gewiss Kritik üben an seiner Amtsführung als Präsident. Doch hat Schewardnadse, nachdem er von seinem Ziehsohn Micheil Saakashwili nachdrücklich aus dem Amt entfernt wurde, klug gehandelt. Es war im November 2003. Seine Leibwächter hatten ihn gerade aus dem Parlament in Tiflis gebracht. Vor dem Gebäude tobten die Massen und forderten demokratische Reformen.

    " Ich habe den Ausnahmezustand verhängt und bin nach Hause gefahren. Aber schon im Auto habe ich angefangen zu überlegen: Wozu führt das? Ich habe den Ausnahmezustand verhängt. Ich habe bewaffnete Einheiten unter mir. Was passiert morgen oder übermorgen, wenn es zu Zusammenstößen kommt? Wahrscheinlich wird es Opfer geben. Wahrscheinlich wird Blut vergossen werden. Und da habe ich es mir schon im Auto anders überlegt. "

    Es ist ein großes Verdienst einen Bürgerkrieg oder zumindest bewaffnete Auseinandersetzungen verhindert zu haben. Als Politiker hat Schewardnadse auch in der Wendezeit in Europa eine herausragende Rolle gehabt. Ein guter Autor ist er nicht. Dazu fehlt ihm der Wille, mehr zu berichten, als ohnehin schon bekannt ist.

    Thomas Franke über Eduard Schewardnadse: Als der Eiserne Vorhang zerriss. Begegnungen und Erinnerungen, Peter W. Metzler Verlag, Duisburg 2007, 29.90 Euro.