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Erinnerung an eine geistige Luftbrücke

Architektur als politische Geste. Die 10-stöckige leicht gebogene Hochhausscheibe öffnet sich Richtung Friedrichstraße, dorthin, wo früher die Sektorengrenze verlief. Die Amerika-Gedenkbibliothek im Stadtteil Kreuzberg ist steingewordener Ausdruck der Frontstadt West-Berlin. Und doch war sie ein wertvolles Geschenk für die Berliner, etwas vollkommen Neues – eine Bibliothek nach dem Vorbild der amerikanischen public library. Wissenschaftliche Literatur war hier kostenlos für alle Bevölkerungsschichten zugänglich. Wissen für alle – so lautet das demokratische Konzept des Hauses bis zum heutigen Tage, sagt die Leiterin der Bibliothek Claudia Lux anlässlich des Festaktes zum 50-jährigen Bestehen.

Von Markus Rimmele | 18.09.2004
    Das war eine Revolution im Jahre 1954. Heute klingt das ganz normal, aber 1954 war es eine Revolution. Und was weiterhin dazukommt, ist, dass eine solche Institution wie die Amerika-Gedenkbibliothek jede Art von Information gibt, das heißt auf einfache Fragen dem Bürger antwortet. Das ist etwas, das haben die amerikanischen Kollegen uns immer vorgemacht, und das ist etwas, was wir hier realisieren.

    Für die West-Berliner war die Amerika-Gedenkbibliothek eine ganz notwendige Einrichtung. Spielt das Haus heute inmitten der vielfältigen Bibliothekslandschaft der Stadt auch keine herausragende Rolle mehr - nach dem Krieg war das anders. Alle großen Bibliotheken der Stadt lagen im Ostteil Berlins, der Westen brauchte dringend eine eigene. 5 Millionen Mark stellten die Amerikaner im Rahmen des Marshall-Plans dem Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter dafür zur Verfügung – im Gedenken an das Durchhaltevermögen der Bevölkerung während der Berlin-Blockade – daher der Name Gedenkbibliothek. Der Zusatz Amerika stammt aus dem Volksmund.

    Amerika – darum geht es auch vor allem beim Jubiläumsfestakt. Das Haus steht für die deutsch-amerikanische Freundschaft wie kaum ein anderes in Berlin. Und so würdigen die verschiedenen Festredner die Bibliothek als Symbol der Freiheit oder gar als eine Art "kultureller Freiheitsstatue", die die Amerikaner nach Berlin gebracht hätten. Nur einer will nicht so ganz in den Freiheitsjubel einstimmen, und das ist Berlins Kultursenator Thomas Flierl von der PDS. Er kommt aus dem Osten der Stadt und erinnert an die ideologischen Verhärtungen im Kalten Krieg auf beiden Seiten.
    Wer objektiv ist, weiß, dass keine öffentliche Bibliothek Berlins in diesen Jahren politisch oder weltanschaulich ungeprägt blieb - auch nicht die Gedenkbibliothek, deren Ursprung im politischen Geschehen lag und deren Standort, wie Literatur belegt, auch eindeutig politisch festgelegt war.

    Und die Einrichtung einer Bibliothek so nah an der Grenze verfehlte ihre Wirkung nicht. Zahlreiche Nutzer lebten im Ostteil der Stadt. So weit die Geschichte. Der Hauptfestredner der Jubiläumsveranstaltung blickt lieber auf die Gegenwart. Karsten Voigt, der Koordinator für deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt, sorgt sich um die transatlantischen Beziehungen seit dem 11. September:

    Ich kann mir nicht vorstellen, dass in dieser Welt Demokratie stabil erhaltbar ist, wenn beide Seiten des Atlantiks gegeneinander sich definieren würden. Es gibt viele Probleme, die wir nicht einmal lösen können oder kaum lösen können, wenn wir zusammenstehen. Ich kann mir keins vorstellen, dass besser lösbar ist, wenn wir uns gegeneinander definieren. Insofern ist diese Bibliothek, die seit ihrer Gründung und in der Zukunft für diese Gemeinsamkeit der Kultur und der gemeinsamen demokratischen Werte steht, auch letzten Endes ein Fanal, ein Fingerzeig, ein Auftrag für die Zukunft.

    Einen Auftrag für die Zukunft hat auch die Leiterin der Zentral-und Landesbibliothek Claudia Lux ausgemacht. Sie wünscht sich nämlich ein neues Haus. Seit der Fusion der Gedenkbibliothek mit der Ostberliner Stadtbibliothek ist die Einrichtung auf zwei Standorte verteilt und platze ohnehin aus allen Nähten, so Lux. Sie wünscht sich die Zusammenführung ihrer beiden Häuser im wiederaufzubauenden Berliner Stadtschloss.
    Einstweilen muss sie sich aber mit kleineren Geschenken zufrieden geben. Und die kommen – wieder einmal - von den Amerikanern. Die Gattin des Botschafters der Vereinigten Staaten in Deutschland überreicht ihr einen Scheck über 5000 Euro und kündigt die Schenkung einer Sammlung von Kinderbüchern an:

    Und nun möchte ich im Namen der amerikanischen Botschaft nochmals unsere guten Wünsche für die Zukunft aussprechen. Vielen Dank.