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Erinnerungen an Kreisau 1930-1945

Sie selbst nennt ihr kleines Buch die "Erzählung einer uralten Frau". Betagt ist Freya von Moltke, 1911 in Köln geboren, inzwischen geworden, alt ist sie nicht. Selbst zu aktuellen Diskussionen meldet sie sich noch zu Wort. Zuletzt in einem Schreiben zu Goldhagens Buch "Hitlers willige Vollstrecker", dessen Widerspruch zu Goldhagens Thesen nicht zuletzt den Autor selbst erstaunen ließ.

Matthias Sträßner |
    "Erinnerungen an Kreisau" heißt das Buch, das der Verlag C. H. Beck jetzt herausgegeben hat. Kreisau, das ist eigentlich nur ein kleines Nest, gut 50 km von Breslau entfemt, das dem Kreisauer Kreis den Namen gegeben hat. Dabei begann die Geschichte, die diesen Ort mit der deutschen Geschichte verknüpft, doch eigentlich ganz anders: Der alte Feldmarschall Helmuth von Moltke hatte das Gut in Kreisau nämlich gekauft, nachdem er für seinen Sieg über die Österreich bei Königgrätz eine Dotation bekommen hatte. Von Königgrätz bis zum 20. 7.1944 ist ein weiter Weg.

    Heute steht Kreisau für einen Zusammenschluß des Widerstands im Dritten Reich um Helmuth James Graf von Moltke. Dieser Moltke, ein Enkel des Bruders des Feldmarschalls von Königgrätz, hat selbst aber nie vom Kreisauer Kreis gesprochen. Es gehört zu der Namenlosigkeit des Widerstands, daß Namen erst später vergeben worden sind, vergeben werden konnten. So ist der Begriff "Kreisauer Kreis" wahrscheinlich zum erstenmal in einem der SS-Verhöre gefallen.

    Der Schwerpunkt des Kreisauer Kreises lag auch nicht in Kreisau, sondem in Berlin. Denn nur an drei Wochenenden hat Moltke tatsächlich nach Kreisau eingeladen, sonst traf man sich in Berlin, zumeist in der Hortensienstraße 50.

    Der Widerstand des Kreisauer Kreises um Peter Graf Yorck von Wartenburg, Poelchau, Hans Peters, Adam von Trott zu Solz u.a. steht für eine europäische Dimension im deutschen Widerstand. Bei den Moltkes war dieser europäische Geist freilich schon in der Familientradition begründet: Dorothy von Moltke, die Mutter von Hemuth James, war eine geborene Rose Innes und ihrerseits Tochter eines Richters am oberstsen Gericht der Südafiikanischen Union. Auch Helmuth James von Moltke wird sich später mit dem britischen Rechtssystem vertraut machen: er geht nach England und macht dort 1939 seinen "barrister".

    Wer dieses Buch der Neuigkeiten wegen liest, wird eher entttäuscht sein. Ein Teil ist sogar schon vorher veröffentlicht worden. Und über die Persönlichkeit von Helmuth James Graf von Moltke ist an anderer Stelle mehr gesagt worden.

    Trotzdem lohnt sich die kurze, ja zu kurze Lektüre: Es ist der sachliche Stil einer heute hoch 80jährigen, der nicht entfernt an einer Ästhetisierung des Widerstands gelegen ist. (Dies übrigens durchaus im Widerspruch zu ihrem Mann, der zur Legendenbildung in seinem letzten Brief an Freya geradezu aufgerufen hat!). Freya kann sich eingestehen, daß auch sie ein gewisses "Den Kopf-in-den-Sand-Stecken" durchaus gebraucht hat. Und die verstand, daß man gegenüber den Motiven von Adligen mißtrauisch sein konnte.

    Das macht die Lektüre sogar schwieriger, als sie sein müßte. Man muß die Feinheiten schon herauslesen: den europäischen Gedanken der Kreisauer, auch die nur schwach angedeutete Distanz vieler Kreisauer zur Art und Weise, wie das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 durchgeführt wurde!

    Man nimmt bei der Lektüre des Buches auch zur Kenntnis, daß selbst im Widerstand noch die alte Männerwelt dominierte: so wenn eine Ehefrau eines einmal verhinderten Teilnehmers von ihrem Mann gebeten wird, nicht mehr zuzuhören. Es sei zu gefährlich, und sie könnte ja doch nicht viel mehr tun, als zuzuhören. Es sind die Alltäglichkeiten, vom Kindergeschrei bis zu den in Kreisau verfügbaren frischen Eiern, die diese Zeit plastisch werden lassen.

    Als die Gerichtsurteile gegen die Mitglieder des Kreisauer Kreises am 1.Januar 1945 vor dem Volksgerichtshof ergehen, schreibt Freya am Schluß dies Kapitels in aller Knappheit: "Alle kamen noch einmal nach Tegel zurück. Am 23.Januar 1945 wurde Helmuth getötet." Zwei Protokoll-Sätze, die ja nur andeuten, was sich in Freya von Moltke abspielen mußte, zumal dann, wenn man die letzten Briefe ihres Mannes dagegen hält. Schluß, das ist alles, mehr ist dazu nichts zu sagen. Sie weiß, was sie zu tragen haben wird und sie hat es auch getragen. Andere haben es erzählt, aber sie selbst erzählt es nicht. Dafür kann sie aber zur Verblüffung des Lesers nur wenig später sagen, daß die sich unmittelbar anschließende Rückfahrt nach Kreisau am 25.Januar "in der Erinnerung eine gute Fahrt war". Und zu einem der der folgenden Flucht-Trecks wird sie schmucklos und unpathetisch formulieren, daß er "schön" war. Schön, weil man spürte, daß der Frühling kommt, und das Wetter sonnig ist. Freya von Moltke ist eine Frau der unprätentiösen Prädikate. Ganz selten, daß sie einmal auf ausgesuchte Adjektive verfällt, so, wenn sie den Gefängnispfarrer von Tegel, Harald Poelchau, als "mozartischen Menschen" bezeichnet. Man hätte gerne genauer gewußt, was sie damit meint.

    Aber andererseits liegt gerade darin das Faszinierende dieses Buches. Der Leser erlebt eine Frau, die sich nicht damals und auch nicht heute um Klärung bemüht, warum sie wußte, daß sie diesen und keinen anderen Weg zu gehen hat. Und darin ist dieses kleine Buch ein ganz großes.