"Mitten in Südmitrovica da steht ein schönes Podest. Auf dem Podest steht ein heroischer junger Mann mit Gewehr und wehenden Klamotten und die Hand hoch gestreckt. Das ist ein unveränderbarer Topos von Kitsch und der steht halt da."
Platz für kollektive Trauerarbeit gebe es in Ex-Jugoslawien nicht, sagt Wolfgang Klotz, Belgrader Büroleiter und Gastgeber der gestrigen Diskussionen "Kultur der Erinnerung" der Heinrich Böll Stiftung in Berlin. Trauer gelte als Privatsache.
"Daneben gibt es halt diese kleinen Privatdenkmäler, die wirklich eine Art Grabstein sind und eben so in der Landschaft stehen, mit fünf chinesischen Plastikblumen davor und dem Namen und dem Todesdatum."
Kitschige Kampfdenkmale und marginalisierte Grabsteine. Zwischen diesen Polen oszilliert die Erinnerungskultur in vielen Ländern Osteuropas, glaubt man den bei Böll versammelten Experten: Schriftsteller, Museumsdirektoren und Archivare. Regierungen fördern eine historische Erinnerung, die die Verbrechen des 20. Jahrhunderts übertüncht. Entweder, wie der Menschenrechtler Arseni Roginski vorgestern sagte, indem wie in Russland eine Siegergeschichte konstruiert wird, die die Opfer ausblenden muss.
"Das Putin-Regime versucht, den Nationalstolz der Russen auf der Behauptung aufzubauen, dass das russische Volk immer gewonnen hat. Der größte Sieg war natürlich der Sieg im Krieg. Und dadurch kommt unwillkürlich Stalin ins Spiel, der auch willkürlich Millionen Landsleute umgebracht hat."
Hierüber gebe es zwar lokale historische Forschung, einige Museen und Ausstellungen. Die staatliche Haltung gegenüber den Verbrechen bleibe aber weichgespült.
"In der gesamten Zeit nach der Sowjetunion gab es nicht ein einziges Verfahren gegen einen Täter. Es gibt kein Bild, wer die Täter waren und kein Konzept, wie man mit ihnen umgehen sollte. Es herrscht das Gefühl einer Naturkatastrophe, die passiert ist. In Lehrbüchern heißt es, dies seien die Kosten der Industrialisierung."
Inzwischen produziert das Fernsehen heute sogar die Serie 'Stalin live', die den Massenmörder als Familienmensch zeigt. Russland ist zwar weit von Stalins Säuberungsaktionen entfernt, ein historisches Bewusstsein für den Wert des Individuums entwickelt sich so aber nicht. Auch nicht in Serbien, dessen Historiker aufgrund der Geschichte kaum Grund haben, eine Siegeridentität zu propagieren. Hier geht es eher um die gute, orthodoxe Volksgemeinschaft, die Zadruga, die ewig Opfer von Muslimen, Österreichern, Deutschen, Bolschewisten geworden ist. Doch auch eine Opferidentität erhöht die Aggression, sagt Sreten Uridjic, Leiter der Nationalbibliothek in Belgrad:
"Wenn man die Geschichte eines Sieges erzählt, führt das zum selben Ergebnis, wie wenn man sich mit der Geschichte eines Opfers identifiziert. Beides schafft moralische Überlegenheit! Damit muss man sich nicht mehr um seine Taten."
Junge Künstler und Intellektuelle in Ex-Jugoslawien versuchen zwar mit vorurteilssprengendem Humor in Filmen und Denkmalen dem ewigen Sieger-Opfer-Narrativ zu entkommen - im bürgerkriegszerstörten Mostar errichteten sie ein goldfarbiges Bruce-Lee-Denkmal, da der ständig um Gerechtigkeit kämpfende Kung-Fu-Meister von allen Bürgerkriegsparteien verehrt wird, in Sarajevo gibt es ein Denkmal mit einer abgelaufenen Konservendose, das an die Hilfe des Westens erinnern soll - aber zur Nationen bildenden Geschichtserzählung oder der friedensstiftenden Trauerarbeit reichen solche Scherze nicht, prognostiziert Sreten Uricic.
"Das Problem ist, dass wir nicht erinnern können, was für Gräuel eigentlich vor 10 oder 15 Jahren passiert sind, weil wir immer noch nicht mit der Ideologie von damals abgeschlossen haben. Wir sind darin noch gefangen. Und wenn nun zum Beispiel die internationalen Truppen abgezogen würden, würde der Krieg sofort wieder ausbrechen!"
Platz für kollektive Trauerarbeit gebe es in Ex-Jugoslawien nicht, sagt Wolfgang Klotz, Belgrader Büroleiter und Gastgeber der gestrigen Diskussionen "Kultur der Erinnerung" der Heinrich Böll Stiftung in Berlin. Trauer gelte als Privatsache.
"Daneben gibt es halt diese kleinen Privatdenkmäler, die wirklich eine Art Grabstein sind und eben so in der Landschaft stehen, mit fünf chinesischen Plastikblumen davor und dem Namen und dem Todesdatum."
Kitschige Kampfdenkmale und marginalisierte Grabsteine. Zwischen diesen Polen oszilliert die Erinnerungskultur in vielen Ländern Osteuropas, glaubt man den bei Böll versammelten Experten: Schriftsteller, Museumsdirektoren und Archivare. Regierungen fördern eine historische Erinnerung, die die Verbrechen des 20. Jahrhunderts übertüncht. Entweder, wie der Menschenrechtler Arseni Roginski vorgestern sagte, indem wie in Russland eine Siegergeschichte konstruiert wird, die die Opfer ausblenden muss.
"Das Putin-Regime versucht, den Nationalstolz der Russen auf der Behauptung aufzubauen, dass das russische Volk immer gewonnen hat. Der größte Sieg war natürlich der Sieg im Krieg. Und dadurch kommt unwillkürlich Stalin ins Spiel, der auch willkürlich Millionen Landsleute umgebracht hat."
Hierüber gebe es zwar lokale historische Forschung, einige Museen und Ausstellungen. Die staatliche Haltung gegenüber den Verbrechen bleibe aber weichgespült.
"In der gesamten Zeit nach der Sowjetunion gab es nicht ein einziges Verfahren gegen einen Täter. Es gibt kein Bild, wer die Täter waren und kein Konzept, wie man mit ihnen umgehen sollte. Es herrscht das Gefühl einer Naturkatastrophe, die passiert ist. In Lehrbüchern heißt es, dies seien die Kosten der Industrialisierung."
Inzwischen produziert das Fernsehen heute sogar die Serie 'Stalin live', die den Massenmörder als Familienmensch zeigt. Russland ist zwar weit von Stalins Säuberungsaktionen entfernt, ein historisches Bewusstsein für den Wert des Individuums entwickelt sich so aber nicht. Auch nicht in Serbien, dessen Historiker aufgrund der Geschichte kaum Grund haben, eine Siegeridentität zu propagieren. Hier geht es eher um die gute, orthodoxe Volksgemeinschaft, die Zadruga, die ewig Opfer von Muslimen, Österreichern, Deutschen, Bolschewisten geworden ist. Doch auch eine Opferidentität erhöht die Aggression, sagt Sreten Uridjic, Leiter der Nationalbibliothek in Belgrad:
"Wenn man die Geschichte eines Sieges erzählt, führt das zum selben Ergebnis, wie wenn man sich mit der Geschichte eines Opfers identifiziert. Beides schafft moralische Überlegenheit! Damit muss man sich nicht mehr um seine Taten."
Junge Künstler und Intellektuelle in Ex-Jugoslawien versuchen zwar mit vorurteilssprengendem Humor in Filmen und Denkmalen dem ewigen Sieger-Opfer-Narrativ zu entkommen - im bürgerkriegszerstörten Mostar errichteten sie ein goldfarbiges Bruce-Lee-Denkmal, da der ständig um Gerechtigkeit kämpfende Kung-Fu-Meister von allen Bürgerkriegsparteien verehrt wird, in Sarajevo gibt es ein Denkmal mit einer abgelaufenen Konservendose, das an die Hilfe des Westens erinnern soll - aber zur Nationen bildenden Geschichtserzählung oder der friedensstiftenden Trauerarbeit reichen solche Scherze nicht, prognostiziert Sreten Uricic.
"Das Problem ist, dass wir nicht erinnern können, was für Gräuel eigentlich vor 10 oder 15 Jahren passiert sind, weil wir immer noch nicht mit der Ideologie von damals abgeschlossen haben. Wir sind darin noch gefangen. Und wenn nun zum Beispiel die internationalen Truppen abgezogen würden, würde der Krieg sofort wieder ausbrechen!"