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Erinnerungskultur
Kriegerdenkmäler als Lernorte

Im November wird der Gefallenen der Weltkriege gedacht. In vielen Städten stehen monumentale Heldendenkmäler. Ein Hamburger Pastor kämpft dafür, dass sie kritisch kommentiert werden. Erinnerung sei auch eine Sache der Kirchen, sagt er.

Von Mechthild Klein | 09.11.2017
    Das Kriegerdenkmal aus den 1920er Jahren auf dem Vorplatz der St. Johanniskriche in Hamburg Altona. Heute ist es umstellt von drei großen auf Plexiglas fixierten Zeichnungen, die Opfer des Krieges symbolisieren sollen.
    Das Kriegerdenkmal aus den 1920er-Jahren auf dem Vorplatz der St. Johanniskriche in Hamburg Altona. Heute ist es umstellt von drei großen auf Plexiglas fixierten Zeichnungen, die Opfer des Krieges symbolisieren sollen. (Deutschlandradio / Mechthild Klein)
    Am Hamburger Dammtorbahnhof steht ein acht Meter breites Kriegerdenkmal aus Zement, das marschierende Soldaten zeigt. Errichtet wurde das Monument 1936 zur Ehrung der gefallenen Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg. Über den Soldaten der Schriftzug: "Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen." Eine unverhohlene Aufforderung, in den Krieg zu ziehen und sich aufzuopfern.
    Passantin: "Es wäre nicht falsch, Kriegsdenkmäler zu kommentieren."
    Passant: "Ob jedes einzelne kommentiert werden muss, kann ich jetzt nicht beurteilen. Aber im Prinzip ist ein Denkmal immer etwas Zeitgebundenes, das in späteren Zeiten immer eine Kommentierung bedarf, um es überhaupt verstehen zu können und es richtig einordnen zu können."
    Diese Passanten kennen offenbar die Geschichte des Hamburger Kriegerdenkmals am Dammtorbahnhof. Anderen war nicht klar, wie die Botschaft heute zu verstehen ist. Dabei gibt es in Deutschland Tausende Soldatendenkmäler – allein in Hamburg sind es 140.
    Ein Deserteursdenkmal als Gegendenkmal
    "Man hat sie stehen gelassen mit ihren militäristischen Botschaften, so muss man das sagen, teilweise offenen Nazibotschaften unberührt gelassen", sagt der Hamburger Pastor Ulrich Hentschel. Er ist wohl einer der bekanntesten kirchlichen Kritiker von Soldatendenkmälern. Der sogenannte "Kriegerklotz" am Dammtorbahnhof ist kaum zu übersehen.
    Er sagt: "Die Nazis haben das gemacht, das war ein Propagandaklotz ersten Grades, der auch nach 45 genutzt worden ist. Von Bundeswehr, von Kameradschaftsverbänden, von Nazigruppen und der bis heute immer mal wieder heimlich von NPD-Kundgebungen, von einer Burschenschaft genutzt worden ist – also sehr verehrt wird."
    Die meisten Kriegerdenkmäler wurden nach dem ersten Weltkrieg gebaut und nach dem Zweiten Weltkrieg oft mit Tafeln ergänzt. 100 Meter vor dem heroischen Soldatendenkmal in Hamburg entstand in den 80er-Jahren ein Gegendenkmal, das jedoch nie fertiggestellt wurde. Vor zwei Jahren ließ der Hamburger Senat dann ein Deserteursdenkmal direkt neben den Kriegklotz installieren. Es erinnert an die 30.000 verfolgten und getöteten Deserteure, die den Krieg von 1939 bis 1945 nicht mittragen wollten. Es sollte ein sichtbares Zeichen gegen die Verherrlichung des nationalsozialistischen Angriffskrieges und seiner Verbrechen sein.
    Das Deserteurdenkmal am Stephansplatz in Hamburg, gleich neben  dem Kriegerdenkmal. Der Gedenkort für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz soll ein politisches Zeichen für Zivilcourage und Gerechtigkeit setzen.
    Das Deserteurdenkmal am Stephansplatz in Hamburg, gleich neben dem Kriegerdenkmal. (picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt)
    In Hamburg wurde nur ein weiteres Kriegerdenkmal aus den 20er-Jahren im größeren Stil umgestaltet. Es steht vor der St. Johanniskirche in Hamburg-Altona.
    Hentschel sagt: "Wir haben es umstellt mit drei großen auf Plexiglas fixierten Zeichnungen, in denen geschlagene und geschundene, gemarterte Menschen darstellt werden. Man kann darin vieles sehen: die Opfer dieser Soldaten, die da als Helden verehrt werden."
    "Kriegerdenkmäler gehören unbedingt kommentiert"
    Die Aktion vor gut 20 Jahren sorgte damals für Wirbel. Aber seitdem ist der Blick auf die heroischen Krieger mit ihren Schwertern durch die geschundenen Gestalten davor verstellt. Denn auf dem Sockel des Kriegerdenkmals sind kommende Generationen zur Nacheiferung aufgefordert.
    Hentschel erklärt: "Es waren offene Kriegsbotschaften, um die Niederlage im Ersten Weltkrieg wieder gut zu machen. Dafür brauchte man Helden. Also die Toten des Ersten Weltkriegs, deren Tod sinnlos war, unmenschlich war. Man hat sie nachträglich verklärt und versucht, eine Sinndeutung zu geben. Auch für die Angehörigen, die nach dem Endes des Zweiten Weltkriegs anfingen zu zweifeln. Waren sie am Anfang begeistert, Frauen, die ihre Kinder in den Krieg geschickt haben und dann plötzlich einen Schrecken bekamen. Es wurden Zweifel stark und man musste diesen Angehörigen und auch sonst der Bevölkerung eine Deutung anbieten. Das waren dann eben die Helden."
    "Hol den Vorschlaghammer. Sie haben uns ein Denkmal gebaut und jeder Vollidiot weiß, dass das die Liebe versaut. Ich werd die schlechtesten Sprayer der Stadt engagieren, sie sollen nachts noch die Trümmer mit Parolen beschmieren."
    Die Band "Wir sind Helden" hatte vor ein paar Jahren eine ironische Antwort gefunden mit Heldendenkmälern umzugehen. Denn trotz Friedensbewegung in den 1970er- und 80er-Jahren und kritischen Debatten kommentierte man erst spät den Städten die Kriegerdenkmäler. Dabei waren der Erste und der Zweite Weltkrieg Angriffskriege, sagt auch Oktavia Christ vom Volksbundes der Deutschen Kriegsgräberfürsorge. Sie ist Geschäftsführerin des Hamburger Landesverbandes.
    "Also Kriegerdenkmäler gehören unbedingt kommentiert. Sei es in Gedenkansprachen oder auch - und das macht der Volksbund - mit Broschüren, mit Informationstafeln, mitunter auch bei der Unterstützung von Gegendenkmälern. Weil sich die Denkmäler aufgrund der zeitlichen Distanz zu den beiden Weltkriegen nicht mehr von selbst erklären."
    "Erinnerungspolitik ist auch Aufgabe der Kirchen"
    Oktavia Christ von der Kriegsgräberfürsorge betont, dass sich im Gedenken an die Toten der Weltkrieges einiges verändert habe. Nur noch wenige 'ewig Gestrige' würde sich heute gegen eine Kommentierung der Kriegerdenkmäler stellen, meint Christ. Und zum Volkstrauertag wird mittlerweile nicht nur an die gestorbenen Soldaten, sondern auch an die vielen Opfer erinnert, die Zwangsarbeiter und die verfolgten Gruppen aus der NS-Herrschaft beispielsweise.
    Sie sagt: "Das ist auch beim Totengedenken so, dass man reflektieren muss, dass es auch Gruppen gibt, die sich dort ausgegrenzt fühlen."
    Zum Beispiel die Sinti und Roma, die Deserteure und andere Verfolgte des NS-Regimes.
    "In der Vergangenheit hat die Aufarbeitung unterschiedlich funktioniert, das dauert ja auch bis heute an – immer noch", ergänzt Christ.
    72 Jahre nach Kriegende fordern Stimmen wie die von Alexander Gauland, man müsse wieder stolz sein dürfen auf die Soldaten der Wehrmacht. Millionen deutscher Soldaten seien tapfer gewesen und nicht in Verbrechen verwickelt, sagte er.
    Der Theologie Ulrich Henschel widerspricht. Erinnerungspolitik ist für ihn auch eine Aufgabe der Kirchen. Kriegerhelden-Monumente stehen auch auf kirchlichen Friedhöfen, deshalb seien Kirchengemeinden mitverantwortlich für eine historisch korrekte Einordnung. In manchen Kirchenvorständen würde das diskutiert. Aber gerade in kleineren Orten meldeten sich Kinder oder Enkelkinder, der im Krieg getöteten Soldaten.
    Er erzählt: "Sie sagen: 'Ihr dürft hier nichts verändern. Das muss jetzt so bleiben dieses Denkmal. Das ist für uns ganz wichtig'. Und dann scheuen sich die Kirchengemeinden, die Pastoren, die Auseinandersetzung mit den Angehörigen zu suchen."
    Man weiß heute: Die Volkskirchen hatten mehrheitlich während der Nazi-Herrschaft deren menschenverachtende Ideologie kaum hinterfragt, im Gegenteil. Aber sollten Gemeinden heute noch aufklären, ist der Zug dafür nicht schon lange abgefahren?
    "Ich hielte es gerade für die Aufgabe eines Pastors einer solchen Gemeinde, mit diesen Angehörigen zu sprechen und zwar in die Richtung, dass sie verständlicherweise trauern um den getöteten Menschen. Das ist ja ein Verlust, egal, was dieser Mensch gemacht hat. Aber diese Trauer hat in unserer Zivilisation und Kultur auf dem Friedhof ihren Platz."
    Begriffliche Glorifizierung als Streitpunkt
    Ein Heldendenkmal verhindert individuelle Trauer, meint Hentschel. Durch den Heldenmythos finde eine Kollektivierung statt, wo nur noch die Uniform gewürdigt wird, eben nicht der individuelle Sohn, Freund oder Vater. Der Schriftsteller Kurt Tucholsky hatte einmal gesagt: "Jede Glorifizierung eines Menschen, der im Krieg getötet worden ist, bedeutet drei Tote im nächsten Krieg."
    "Die Glorifizierung von Soldaten als Helden entzieht sich jeder kritischen Rückfrage. Einen Held darf man nicht mehr kritisch befragen, ist immer ein Held."
    Zumindest beim Gedenken will man eine sprachlich korrekte Ebene finden, die eben nicht Menschen überhöht oder ausgrenzt. Immer noch ist die Rede von Gefallenen - eine alte Formulierung aus den beiden Weltkriegen für Soldaten, die im Krieg starben. Oktavia Christ sagt:
    "Viel mehr Schwierigkeiten macht eigentlich der Begriff der Ehre. Das sind Begriffe, die immer auch noch verwendet werden. Vielleicht auch vermehrt wiederverwendet werden – und das ist auch innerhalb des Volksbundes ein Streitpunkt oft."
    Alle Kriegerdenkmäler historisch-kritisch zu kommentieren dürfte illusorisch sein. Die Kriegsgräberfürsorge aber versucht, Denkmäler zu Lernorten zu gestalten – für Schüler- und Jugendgruppen.
    "Da kann man in Gedenkansprachen etwa Geflüchtete zu Wort kommen lassen, die ihre eigenen Geschichten eben dann erzählen und aus ihrer Perspektive die Kriegserfahrungen zum Ausdruck bringen. Und das sind Projekte, die wir mit jungen Menschen machen und das ist eigentlich sehr fruchtbar."