Thomas Frahm: Ja, die größten liegen natürlich darin, wenn man den französischen Begriff "les lieux de memoire" nimmt für Erinnerungsorte, dann merkt man schon, das Wort "memoire" geht genau in die Richtung, die Sie sagen, das heißt also eigentlich ein Wunschbild dessen, wie man sich in der Kunst selber sehen möchte. Die Bulgaristin Liliana Giulianova hat deswegen darauf hingewiesen, dass man eigentlich zwei Lesarten dieses Wortes nehmen kann. Sind es jetzt gemeinsame Orte der Erinnerung oder sind es Orte der gemeinsamen Erinnerung?
Karin Fischer: Wo ist denn da der Unterschied?
Thomas Frahm: Das sind einfach zwei Auslegungsmöglichkeiten. Also wenn es Orte der gemeinsamen Erinnerung sind, ist das natürlich ein Ort, der freigegeben ist von dieser ideologischen Vereinnahmung. Es wird von Meinungsbildern konstruiert, welche Bedeutung ein Denkmal haben soll, zum Beispiel das Denkmal, das den Sieg der Russen gemeinsam mit den Bulgarischen Partisanen über die türkische Armee symbolisiert und dann zur Befreiung Bulgariens geführt hat. Deswegen sagte Giulianova, wir müssen gucken, dass wir die gemeinsamen Orte selbst ins Zentrum rücken und mit objektiver historischer Forschung freilegen, was ist wirklich passiert, damit überhaupt ein richtiger Diskurs zwischen Tätern und Opfern möglich wird.
Karin Fischer: Von welchen Erinnerungsorten sprechen wir und um welche Interpretationsspielräume geht es? Sie haben es schon angedeutet, Rumänien ist ein Land, in dem seit dem Ersten Weltkrieg nur nationalistische, faschistische oder kommunistische Regime bestanden, die dann eben auch die Geschichtsschreibung extrem zu lenken versuchten.
Thomas Frahm: Also was wir über Rumänien im Gedächtnis haben, ist eigentlich nur das Ceausescu-Regime, und man schreibt in der Regel die nationalistische Variante seines kommunistischen Regimes immer seiner Persönlichkeit zu, nach dem Motto, das ist ein Poststalinist. Aber es zeigt sich, dass Ceausescu eigentlich eine Traditionslinie ununterbrochen fortsetzt. Die ganze Art, wie der Kommunismus in Rumänien installiert worden ist – das zeigte der Vortrag von Viktor Neumann aus Temeschvar – ist im Grunde schlicht und einfach das Hissen eines anderen ideologischen Fähnchens. Die Politik ist aber unter denselben Vorzeichen weitergeführt worden. Er hat das beispielhaft verdeutlicht an dem Fall, dass nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 in der Führerschaft der neu gegründeten kommunistischen Partei ein Streit war zwischen zwei Gruppen. Die einen haben eben diesen nationalfaschistischen Kurs vertreten und wollten eine ethnisch rein rumänisch geführte Partei. Die anderen waren Vertreter der Minderheiten, Zigeuner, Juden usw., die natürlich vom Kommunismus sich einfach den Gedanken der Gleichheit versprochen haben, und die sind innerhalb von nur fünf Jahren bis 1950 aus der Partei schlicht und einfach ausgeschlossen worden, entweder in Hausarrest oder in die berüchtigten Arbeitslager gesteckt worden. Mit anderen Worten: Es hat ganz wenige Jahre der Illusion gegeben, und deutlich vor Ceausescu, 15 Jahre vor Ceausescu war bereits klar, dass der nationalistisch faschistische Kurs weitergeht. Wenn man dann zum Beispiel diese Ausstellung sieht, die hier gezeigt wurde, bulgarische Erinnerungsorte, und sieht dann von dem berüchtigtsten Straflager in Bulgarien auf der Donauinsel nur im Grunde die Ponton-Brücke, die zum Lager führt, dann hat man eigentlich genau das Symbol für den Umgang, der bisher mit der Vergangenheit vorherrscht. Also es wird zwar eine Brücke geschlagen, aber was drin ist, was in diesem Lager passiert ist, wird im Grunde gar nicht diskutiert. Es gibt nur Entschuldungsstrategien, ich bin es nicht gewesen usw., also über die Inhalte wird gar nicht in dem Umfang gesprochen.
Karin Fischer: Welche Rolle kommt denn nun eigentlich den Historikern, also den Sachwaltern des Faktischen in einem Staat wie Bulgarien zu? Haben sie eine? Werden sie auch gehört?
Thomas Frahm: Das ist genau der wunde Punkt, den die Historiker hier beklagen. Sie werden nicht gehört. Sie werden auch nicht zu Rate gezogen. Es war ausgerechnet ein deutscher Historiker, Reinhard Koselleck, der den Bulgaren nochmals ins Stammbuch geschrieben hat, wenn ihr wirklich Freilegung der Wahrheit wollt jenseits von ideologischen Vereinnahmungen, dann hört doch bitte auf vom kollektiven Gedächtnis zu sprechen. Wir Historiker müssen dafür sorgen, dass das ganze Identitätsgerede einfach beseitigt wird, dass wir nicht Identitäten freilegen, und zwar in Nichtübereinstimmung mit dem, was von ideologischen rechter oder linker Provenienz konstruiert wird. Also weg mit den Konstruktionen, hin zu den Quellen, zu den Fakten, die erst untersuchen und dann erst in einem gemeinsamen Diskurs einprägen.
Karin Fischer: Danke für das Gespräch.
Karin Fischer: Wo ist denn da der Unterschied?
Thomas Frahm: Das sind einfach zwei Auslegungsmöglichkeiten. Also wenn es Orte der gemeinsamen Erinnerung sind, ist das natürlich ein Ort, der freigegeben ist von dieser ideologischen Vereinnahmung. Es wird von Meinungsbildern konstruiert, welche Bedeutung ein Denkmal haben soll, zum Beispiel das Denkmal, das den Sieg der Russen gemeinsam mit den Bulgarischen Partisanen über die türkische Armee symbolisiert und dann zur Befreiung Bulgariens geführt hat. Deswegen sagte Giulianova, wir müssen gucken, dass wir die gemeinsamen Orte selbst ins Zentrum rücken und mit objektiver historischer Forschung freilegen, was ist wirklich passiert, damit überhaupt ein richtiger Diskurs zwischen Tätern und Opfern möglich wird.
Karin Fischer: Von welchen Erinnerungsorten sprechen wir und um welche Interpretationsspielräume geht es? Sie haben es schon angedeutet, Rumänien ist ein Land, in dem seit dem Ersten Weltkrieg nur nationalistische, faschistische oder kommunistische Regime bestanden, die dann eben auch die Geschichtsschreibung extrem zu lenken versuchten.
Thomas Frahm: Also was wir über Rumänien im Gedächtnis haben, ist eigentlich nur das Ceausescu-Regime, und man schreibt in der Regel die nationalistische Variante seines kommunistischen Regimes immer seiner Persönlichkeit zu, nach dem Motto, das ist ein Poststalinist. Aber es zeigt sich, dass Ceausescu eigentlich eine Traditionslinie ununterbrochen fortsetzt. Die ganze Art, wie der Kommunismus in Rumänien installiert worden ist – das zeigte der Vortrag von Viktor Neumann aus Temeschvar – ist im Grunde schlicht und einfach das Hissen eines anderen ideologischen Fähnchens. Die Politik ist aber unter denselben Vorzeichen weitergeführt worden. Er hat das beispielhaft verdeutlicht an dem Fall, dass nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 in der Führerschaft der neu gegründeten kommunistischen Partei ein Streit war zwischen zwei Gruppen. Die einen haben eben diesen nationalfaschistischen Kurs vertreten und wollten eine ethnisch rein rumänisch geführte Partei. Die anderen waren Vertreter der Minderheiten, Zigeuner, Juden usw., die natürlich vom Kommunismus sich einfach den Gedanken der Gleichheit versprochen haben, und die sind innerhalb von nur fünf Jahren bis 1950 aus der Partei schlicht und einfach ausgeschlossen worden, entweder in Hausarrest oder in die berüchtigten Arbeitslager gesteckt worden. Mit anderen Worten: Es hat ganz wenige Jahre der Illusion gegeben, und deutlich vor Ceausescu, 15 Jahre vor Ceausescu war bereits klar, dass der nationalistisch faschistische Kurs weitergeht. Wenn man dann zum Beispiel diese Ausstellung sieht, die hier gezeigt wurde, bulgarische Erinnerungsorte, und sieht dann von dem berüchtigtsten Straflager in Bulgarien auf der Donauinsel nur im Grunde die Ponton-Brücke, die zum Lager führt, dann hat man eigentlich genau das Symbol für den Umgang, der bisher mit der Vergangenheit vorherrscht. Also es wird zwar eine Brücke geschlagen, aber was drin ist, was in diesem Lager passiert ist, wird im Grunde gar nicht diskutiert. Es gibt nur Entschuldungsstrategien, ich bin es nicht gewesen usw., also über die Inhalte wird gar nicht in dem Umfang gesprochen.
Karin Fischer: Welche Rolle kommt denn nun eigentlich den Historikern, also den Sachwaltern des Faktischen in einem Staat wie Bulgarien zu? Haben sie eine? Werden sie auch gehört?
Thomas Frahm: Das ist genau der wunde Punkt, den die Historiker hier beklagen. Sie werden nicht gehört. Sie werden auch nicht zu Rate gezogen. Es war ausgerechnet ein deutscher Historiker, Reinhard Koselleck, der den Bulgaren nochmals ins Stammbuch geschrieben hat, wenn ihr wirklich Freilegung der Wahrheit wollt jenseits von ideologischen Vereinnahmungen, dann hört doch bitte auf vom kollektiven Gedächtnis zu sprechen. Wir Historiker müssen dafür sorgen, dass das ganze Identitätsgerede einfach beseitigt wird, dass wir nicht Identitäten freilegen, und zwar in Nichtübereinstimmung mit dem, was von ideologischen rechter oder linker Provenienz konstruiert wird. Also weg mit den Konstruktionen, hin zu den Quellen, zu den Fakten, die erst untersuchen und dann erst in einem gemeinsamen Diskurs einprägen.
Karin Fischer: Danke für das Gespräch.