Donnerstag, 25. April 2024

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Ermittlungen gegen "Zentrum für politische Schönheit"
"Das riecht nach Rechtsbeugung aus politischen Gründen"

16 Monate dauerte es, bis die Ermittlungen gegen die Künstlergruppe "Zentrum für politische Schönheit" wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung eingestellt wurden. Im Dlf bezeichnete der SZ-Journalist Heribert Prantl den Vorgang als "ungeheuerlich". Der Staatsanwalt sei offenbar AfD-nahe.

Heribert Prantl im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 08.04.2019
Mitglieder des "Zentrum für Politische Schönheit" während einer Aktion vor der CSU-Zentrale in München. (Juli 2018)
Mitglieder des "Zentrum für Politische Schönheit" während einer Aktion vor der CSU-Zentrale in München. (Juli 2018) (imago/ Michael Trammer)
Stefan Koldehoff: In Gera wurde 16 Monate lang gegen das "Zentrum für politische Schönheit" ermittelt. Das ist eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern, deren Projekte und Aktionen man nicht gut finden muss. Vom Recht auf Kunst- und Meinungsfreiheit sind sie aber trotzdem gedeckt: das Mini-Mahnmal gegenüber dem Wohnhaus von AfD-Rechtsausleger Björn Höcke ebenso wie dessen angebliche Beobachtung durch die Gruppe. Oder der ebenso angebliche Plan, einen im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtling nach Berlin zu bringen. Immer wieder gab es Verfahren gegen die Gruppe: neun zivil- und strafrechtliche Prozesse hat sie gewonnen – oder die Verfahren wurden eingestellt.
Nicht so in Gera: Dort ermittelte der Staatsanwalt munter weiter – wegen angeblicher "Bildung einer kriminellen Vereinigung" – Paragraph 129 StGB. Erst heute wurde das Verfahren eingestellt – und der Staatsanwalt versetzt. Dass das über ein Jahr gedauert hat, wirkt angesichts der zahlreichen beendeten Verfahren schon ein wenig merkwürdig. Heribert Prantl war selbst mal Richter und Staatsanwalt und ist heute Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung". Ihn habe ich am Nachmittag gefragt, ob das vielleicht sogar mehr als nur merkwürdig ist
Heribert Prantl: Es ist nicht merkwürdig; es ist ungeheuerlich. Mir ist so was in meiner Praxis, weder als Richter und Staatsanwalt – die Zeit war nur kurz, aber immerhin bin ich jetzt seit 33 Jahren rechtspolitischer Journalist und politischer Journalist – mir ist so was nie untergekommen. Es gibt keinen Fall, bei dem eine Staatsanwaltschaft gegen eine Künstlergruppe wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Das ist absurd! Es führt überhaupt kein juristischer Weg dahin. Der 129 StGB (Strafgesetzbuch), um den es hier geht, das ist eine Vorschrift; da ermittelt man gegen extreme Rockerbanden. Da ermittelt man gegen Leute, die des Totschlags verdächtig sind, des Mordes, des Raubes, der Vergewaltigung, der großen und groben Drogendelikte.
Selbst wenn man dem Zentrum für politische Kultur kleine Straftaten nachweisen könnte, reicht das nicht aus, um ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung zu führen – noch dazu 16 Monate. Was haben die in den 16 Monaten gemacht? Man kann es sich nur so erklären, dass man aus politischen Gründen hier eine Gruppierung, die AfD-kritisch eingestellt ist, die gegen Höcke Aktionen gemacht hat, in den Rumpf treten wollte. Das Ganze riecht nach Rechtsbeugung aus politischen Gründen.
"Beschuldigter hatte das großdeutsche Reich hochleben lassen"
Koldehoff: Nun haben Ihre Recherchen und die der Wochenzeitung "Die Zeit" ja ergeben, dass es da merkwürdige Zufälle gibt, dass der Staatsanwalt offenbar voreingenommen gewesen sein könnte. Er hat unter anderem an die AfD gespendet, die sich ja wiederum über das Zentrum für politische Schönheit massiv beschwert hatte.
Prantl: Ja, das gehört zu diesen ganz großen Merkwürdigkeiten. Der Staatsanwalt ist offenbar AfD-nahe; ansonsten würde er nicht an die AfD spenden. Ich selber habe eine Einstellungsverfügung gelesen, die dieser Staatsanwalt nach einer Anzeige wegen Volksverhetzung gemacht hat. Die liest sich so wie üblicherweise die AfD ihre politischen Statements abgibt. Da hatte der Beschuldigte erklärt, dass deutsche Frauen, die mit Arabern schlafen, Selbstmörder seien. Der Beschuldigte hatte das großdeutsche Reich hochleben lassen. Der Beschuldigte hatte über die Übernahme durch den Islam geklagt. All das hat der Staatsanwalt hier abgewimmelt. Er hat gesagt, er wisse nicht, worum es hier eigentlich geht, und wenn man es doch wüsste, dann unterfalle das der Meinungsfreiheit.
Das zeigt, wess Geistes Staatsanwalt hier am Werk war: Jemand, der der AfD offenbar tatsächlich nahesteht. Und den hier in diesem Kontext ermitteln zu lassen – hier hat kein Behördenleiter eingegriffen, hier hat kein Generalstaatsanwalt 16 Monate eingegriffen. Dass man jetzt eingegriffen hat, diesen Staatsanwalt abgezogen hat, war wirklich allerhöchste Zeit. Es zeigt, dass öffentliche Kritik, Kritik der Medien doch etwas bringt. Aber das Ganze hätte nie eingeleitet werden dürfen, und wenn es eingeleitet worden ist, dann hätte es nach drei oder vier Wochen eingestellt werden müssen. Hier riecht es und stinkt es hinten und vorne.
Der Staat hat zu lange zugeschaut
Koldehoff: Ein Einzelfall? Oder muss man einen größeren Kontext sehen? Gerade in den östlichen Bundesländern kritisiert die AfD Theaterspielpläne, erkundigt sich bei Museen, was denn warum aus welchen Gründen gezeigt wird, was warum nicht. Ist die Kultur da ein Feld, auf dem man politisch agiert und auf dem man auch Zensur mit Hilfe von Justizbehörden ausüben will?
Prantl: Es ist offenbar so, und ich will kein Sachsen- und Ost-Bashing betreiben. Dazu gibt es viel zu viele wunderbare, liberale, aufgeklärte Aktionen und Menschen im Osten. Aber wenn ich daran denke, wie die Strafbehörden, die Verfolgungsbehörden zum Beispiel bei den Pegida-Demonstrationen agiert haben, wie sie agiert haben an dem berühmten Tag der deutschen Einheit in Dresden, der massiv gestört worden ist – man hat nicht eingegriffen, man hat nichts getan, man hat so getan, als stünde man den Pöbeleien, den Volksverhetzungen machtlos gegenüber. Ich glaube, auch deswegen konnten die Rechtsradikalen im Osten so massiv aufrüsten. Der Staat hat zu lange zugeschaut. Da addieren sich viele Beobachtungen an Beobachtungen. Manchmal hat man den Eindruck, in den Behörden wird bei den Einstellungen nicht genau genug aufgepasst.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.