"Jahrelang konnten wir von Milchseen, Butter- und Fleischbergen in unserem europäischen Schlaraffenland lesen. Doch dann kam im Frühsommer des Jahres 2008 plötzlich der Schock. Die Preise für Mais, Milch, Reis, Soja und Weizen explodierten. Und kurze Zeit später erwischte es die Lebensmittel, die aus diesen Rohstoffen gemacht werden. Brot, Butter, Nudeln, Käse und Mehl - alles wurde teurer. Bei uns in Deutschland titelte die 'Bild'-Zeitung besorgt: 'Sollen Rentner jetzt etwa keine Butter mehr essen?' In anderen Teilen der Welt hatte die Bevölkerung freilich größere Sorgen..."
... wie in Lateinamerika, Asien und insbesondere in Afrika: Dort konnten sich viele Menschen Grundnahrungsmittel wie Getreide plötzlich gar nicht mehr leisten. Daran erinnert Wolfgang Hirn in seinem Buch "Der Kampf ums Brot" - und daran, was folgte: Demonstrationen, teils gewalttätige Proteste in Dutzenden Ländern des Südens. In Haiti jagten hungernde Aufständische gar den Präsidenten aus dem Palast und aus dem Amt. Kurz darauf war der Spuk aber erst einmal beendet. Die weltweite Finanzkrise verdrängte die Ernährungskrise aus dem medialen Rampenlicht. Und sorgte zudem - obwohl die Armut wuchs - paradoxerweise dafür, dass sich wieder mehr Menschen ihr Essen leisten konnten. Denn die globale Rezession ließ die Nachfrage nach Erdöl sinken und damit auch den Ölpreis. Was wiederum der industrialisierten Landwirtschaft des Westens half, billiger zu produzieren, und dort die Getreidepreise fallen ließ. Doch das verschafft uns nur eine Atempause, befürchtet Wilfried Bommert, der ebenfalls ein Buch zum Thema geschrieben hat - und zwar ein ebenso pessimistisches: "Kein Brot für die Welt", heißt es. Sobald die Rezession vorbei sein und der Ölpreis steigen wird, habe auch der Hunger wieder Konjunktur - und das überall auf der Welt, prophezeit Bommert:
"Die Krise an den Nahrungsmittelmärkten 2008 war keine zufällige Knappheit, weil irgendwo auf der Welt die Ernte schlechter ausgefallen war, sondern eine Art von multiplem Organversagen, das in der Medizin als tödlich gilt. Die 'Organe' der Welternährung - Klima, Boden, Wasser, Artenvielfalt - sind angegriffen und teilweise massiv geschädigt. Von Versorgungssicherheit kann keine Rede mehr sein."
In dieser Diagnose sind sich Bommert und Wolfgang Hirn einig: Die Welternährungskrise ist unausweichlich und wird die Weltpolitik in den nächsten Jahrzehnten dominieren. Auch bei der Ursachenforschung stoßen die Autoren ins gleiche Horn. Kurz gesagt trifft bei der Nahrung eine steigende Nachfrage auf ein sinkendes Angebot. Es gibt immer mehr Menschen auf dem Planeten, bis zur Jahrhundertmitte sollen es gar weitere drei Milliarden sein. Und immer mehr von ihnen wollen Fleisch essen. Für die Erzeugung eines Kilos davon braucht man indes neun Kilo Getreide als Viehfutter. Zudem setzt der Westen zunehmend auf sogenannten Ökosprit, um seine Abhängigkeit vom Erdöl zu mindern. Mit fatalen Folgen: Der Trend geht dahin, Ackerflächen nicht mehr zum Getreideanbau für Grundnahrungsmittel zu nutzen, sondern für Spritpflanzen oder Viehfutter. Ein weiteres Problem ist die Landflucht: Bauernfamilien sterben aus, weil junge Leute lieber in die Metropolen ziehen und dort in den städtischen Lebensmittelmärkten Schlange stehen. Das Übrige erledigt der Klimawandel: Anbauzonen verschieben sich geografisch; Wirbelstürme, Überschwemmungen und Dürren häufen sich. Und selbst die einst als unerschöpflich geltenden Meere sind bald leergefischt. Wilfried Bommert schreibt:
"Angebot und Nachfrage schaukeln die Preise in Höhen, die sich Milliarden von Menschen nicht mehr leisten können. Sie werden 'ausgepreist', sagt uns die Ökonomie. Es wird Widerstand geben gegen diese fortschreitende Verelendung. Die Jugendlichen in den Slums der Städte werden diese globale Verelendung nicht hinnehmen. Die Ernährungssicherheit wird zur Frage der globalen Sicherheit, zum Ausgangspunkt von Aufständen und Flüchtlingsströmen."
Die Welternährungskrise ist nicht nur eine humanitäre Katastrophe - sondern auch eine sicherheitspolitische. Die Hungerproteste des Frühsommers 2008 könnten nur der Vorgeschmack dessen gewesen sein, was uns demnächst aufgetischt wird: Plünderungen, politische Aufstände. Migrationsbewegungen aus den Hungergebieten hin in die Kornkammern dieser Welt. Kriege um Agrarschätze: um Ackerland - oder um Wasser für die ausgelaugten Böden. Verschärfen könnten sich solche Verteilungskriege durch eine "neue Form des Kolonialismus", wie Wolfgang Hirn beobachtet hat: Internationale Konzerne und Kapitalfonds kaufen bereits systematisch in den Entwicklungsländern die Ackerflächen auf. Die Manager setzen auf die Hungerkrise und hoffen auf Spekulationsgewinne. Doch auch Regierungsvertreter, insbesondere aus China und den arabischen Ölstaaten, reißen sich in ärmeren Teilen der Welt die fruchtbarsten Böden unter den Nagel. Ihr Ziel: Sie wollen dort Nahrung für die eigenen Völker erzeugen. Wolfgang Hirn berichtet:
"Im krisengeschüttelten Sudan - man mag es kaum glauben - stehen die Interessenten für Ackerland Schlange. Der Sudan verfügt über viele ungenutzte Flächen, viele billige Arbeitsplätze - und vor allem Wasser am Oberlauf des Nils. Es stellt sich die Frage: Lässt sich die arme Bevölkerung in Kambodscha, Pakistan oder im Sudan gefallen, dass sie Hunger leiden muss, während auf den Äckern in ihren Ländern Lebensmittel für reiche Araber und Asiaten gedeihen?"
Einig sind sich Hirn und Bommert in der Bestandsaufnahme der Krise, ihre Lösungsvorschläge sind indes unterschiedlich akzentuiert. Wolfgang Hirn, ein studierter Volkswirt und Wirtschaftsreporter beim "manager magazin", setzt vor allem auf die Verbraucher und ihre Marktmacht. Die gutsituierten Bürger der Industriestaaten könnten zum Beispiel weniger Fleisch essen. Doch selbst in Armenvierteln dürfte mit ein wenig Unternehmergeist buchstäblich ein Pflänzchen Hoffnung sprießen. Die Städter könnten sich - wie früher üblich - wieder daran gewöhnen, Obst und Gemüse für den Eigenbedarf anzubauen. In Vor- oder Schrebergärten, zwischen den Häusern und Wellblechhütten, am Stadtrand oder notfalls sogar auf den Dächern. Entsprechende Initiativen und Musterprojekte gibt es bereits in vielen Ländern. Und notfalls - glaubt Hirn - könnte vielleicht die Gentechnik helfen, mit neuen Getreidesorten, die auch auf klimageschädigten Böden noch Erträge bringen. Hier widerspricht Wilfried Bommert, studierter Agrarwissenschaftler und Umweltredakteur beim WDR-Hörfunk: Die neuen Genpflanzen der Chemiekonzerne werden für die industrialisierte Landwirtschaft entwickelt, brauchen den konzerneigenen Dünger und seien bei steigenden Ölpreisen den Armen keine Hilfe. Man solle lieber die Agrarforscher unterstützen, die aus anspruchslosen Wildpflanzen neue Kulturpflanzen züchten, ganz ohne Gentechnik. Und den Entwicklungshelfern unter die Arme greifen, die in lokalen Projekten für die Böden die passenden Pflanzen finden. Dann hätten viele Menschen eine reelle Chance, in Subsistenzwirtschaft ihren Eigenbedarf zu decken. Doch den konzernunabhängigen Agrarforschern seien in den letzten Jahren überall auf der Welt die Gelder zusammengestrichen worden, beklagt Bommert:
"Die Mitgliedsstaaten der UNO verschließen ihre Kassen für die Krise der Welternährung, während sie Hunderte von Milliarden in marode Banken und Konzerne pumpen. Hier zeigen sich die Regeln, nach denen Politik funktioniert: Sie löscht nur dort, wo es brennt. Das gibt Fernsehbilder und Wählerstimmen. Eine Krise, die als Schwelbrand auftritt, und eine Milliarde Menschen mit leeren Schüsseln im fernen Asien und Afrika haben in dieser Hinsicht nichts zu bieten."
Wolfgang Hirn: Der Kampf ums Brot. Warum die Lebensmittel immer knapper und teurer werden. S. Fischer Verlag
256 Seiten, 14,95 Euro
Wilfried Bommert: Kein Brot für die Welt? Die Zukunft der Welternährung.
352 Seiten, 19,95 Euro
... wie in Lateinamerika, Asien und insbesondere in Afrika: Dort konnten sich viele Menschen Grundnahrungsmittel wie Getreide plötzlich gar nicht mehr leisten. Daran erinnert Wolfgang Hirn in seinem Buch "Der Kampf ums Brot" - und daran, was folgte: Demonstrationen, teils gewalttätige Proteste in Dutzenden Ländern des Südens. In Haiti jagten hungernde Aufständische gar den Präsidenten aus dem Palast und aus dem Amt. Kurz darauf war der Spuk aber erst einmal beendet. Die weltweite Finanzkrise verdrängte die Ernährungskrise aus dem medialen Rampenlicht. Und sorgte zudem - obwohl die Armut wuchs - paradoxerweise dafür, dass sich wieder mehr Menschen ihr Essen leisten konnten. Denn die globale Rezession ließ die Nachfrage nach Erdöl sinken und damit auch den Ölpreis. Was wiederum der industrialisierten Landwirtschaft des Westens half, billiger zu produzieren, und dort die Getreidepreise fallen ließ. Doch das verschafft uns nur eine Atempause, befürchtet Wilfried Bommert, der ebenfalls ein Buch zum Thema geschrieben hat - und zwar ein ebenso pessimistisches: "Kein Brot für die Welt", heißt es. Sobald die Rezession vorbei sein und der Ölpreis steigen wird, habe auch der Hunger wieder Konjunktur - und das überall auf der Welt, prophezeit Bommert:
"Die Krise an den Nahrungsmittelmärkten 2008 war keine zufällige Knappheit, weil irgendwo auf der Welt die Ernte schlechter ausgefallen war, sondern eine Art von multiplem Organversagen, das in der Medizin als tödlich gilt. Die 'Organe' der Welternährung - Klima, Boden, Wasser, Artenvielfalt - sind angegriffen und teilweise massiv geschädigt. Von Versorgungssicherheit kann keine Rede mehr sein."
In dieser Diagnose sind sich Bommert und Wolfgang Hirn einig: Die Welternährungskrise ist unausweichlich und wird die Weltpolitik in den nächsten Jahrzehnten dominieren. Auch bei der Ursachenforschung stoßen die Autoren ins gleiche Horn. Kurz gesagt trifft bei der Nahrung eine steigende Nachfrage auf ein sinkendes Angebot. Es gibt immer mehr Menschen auf dem Planeten, bis zur Jahrhundertmitte sollen es gar weitere drei Milliarden sein. Und immer mehr von ihnen wollen Fleisch essen. Für die Erzeugung eines Kilos davon braucht man indes neun Kilo Getreide als Viehfutter. Zudem setzt der Westen zunehmend auf sogenannten Ökosprit, um seine Abhängigkeit vom Erdöl zu mindern. Mit fatalen Folgen: Der Trend geht dahin, Ackerflächen nicht mehr zum Getreideanbau für Grundnahrungsmittel zu nutzen, sondern für Spritpflanzen oder Viehfutter. Ein weiteres Problem ist die Landflucht: Bauernfamilien sterben aus, weil junge Leute lieber in die Metropolen ziehen und dort in den städtischen Lebensmittelmärkten Schlange stehen. Das Übrige erledigt der Klimawandel: Anbauzonen verschieben sich geografisch; Wirbelstürme, Überschwemmungen und Dürren häufen sich. Und selbst die einst als unerschöpflich geltenden Meere sind bald leergefischt. Wilfried Bommert schreibt:
"Angebot und Nachfrage schaukeln die Preise in Höhen, die sich Milliarden von Menschen nicht mehr leisten können. Sie werden 'ausgepreist', sagt uns die Ökonomie. Es wird Widerstand geben gegen diese fortschreitende Verelendung. Die Jugendlichen in den Slums der Städte werden diese globale Verelendung nicht hinnehmen. Die Ernährungssicherheit wird zur Frage der globalen Sicherheit, zum Ausgangspunkt von Aufständen und Flüchtlingsströmen."
Die Welternährungskrise ist nicht nur eine humanitäre Katastrophe - sondern auch eine sicherheitspolitische. Die Hungerproteste des Frühsommers 2008 könnten nur der Vorgeschmack dessen gewesen sein, was uns demnächst aufgetischt wird: Plünderungen, politische Aufstände. Migrationsbewegungen aus den Hungergebieten hin in die Kornkammern dieser Welt. Kriege um Agrarschätze: um Ackerland - oder um Wasser für die ausgelaugten Böden. Verschärfen könnten sich solche Verteilungskriege durch eine "neue Form des Kolonialismus", wie Wolfgang Hirn beobachtet hat: Internationale Konzerne und Kapitalfonds kaufen bereits systematisch in den Entwicklungsländern die Ackerflächen auf. Die Manager setzen auf die Hungerkrise und hoffen auf Spekulationsgewinne. Doch auch Regierungsvertreter, insbesondere aus China und den arabischen Ölstaaten, reißen sich in ärmeren Teilen der Welt die fruchtbarsten Böden unter den Nagel. Ihr Ziel: Sie wollen dort Nahrung für die eigenen Völker erzeugen. Wolfgang Hirn berichtet:
"Im krisengeschüttelten Sudan - man mag es kaum glauben - stehen die Interessenten für Ackerland Schlange. Der Sudan verfügt über viele ungenutzte Flächen, viele billige Arbeitsplätze - und vor allem Wasser am Oberlauf des Nils. Es stellt sich die Frage: Lässt sich die arme Bevölkerung in Kambodscha, Pakistan oder im Sudan gefallen, dass sie Hunger leiden muss, während auf den Äckern in ihren Ländern Lebensmittel für reiche Araber und Asiaten gedeihen?"
Einig sind sich Hirn und Bommert in der Bestandsaufnahme der Krise, ihre Lösungsvorschläge sind indes unterschiedlich akzentuiert. Wolfgang Hirn, ein studierter Volkswirt und Wirtschaftsreporter beim "manager magazin", setzt vor allem auf die Verbraucher und ihre Marktmacht. Die gutsituierten Bürger der Industriestaaten könnten zum Beispiel weniger Fleisch essen. Doch selbst in Armenvierteln dürfte mit ein wenig Unternehmergeist buchstäblich ein Pflänzchen Hoffnung sprießen. Die Städter könnten sich - wie früher üblich - wieder daran gewöhnen, Obst und Gemüse für den Eigenbedarf anzubauen. In Vor- oder Schrebergärten, zwischen den Häusern und Wellblechhütten, am Stadtrand oder notfalls sogar auf den Dächern. Entsprechende Initiativen und Musterprojekte gibt es bereits in vielen Ländern. Und notfalls - glaubt Hirn - könnte vielleicht die Gentechnik helfen, mit neuen Getreidesorten, die auch auf klimageschädigten Böden noch Erträge bringen. Hier widerspricht Wilfried Bommert, studierter Agrarwissenschaftler und Umweltredakteur beim WDR-Hörfunk: Die neuen Genpflanzen der Chemiekonzerne werden für die industrialisierte Landwirtschaft entwickelt, brauchen den konzerneigenen Dünger und seien bei steigenden Ölpreisen den Armen keine Hilfe. Man solle lieber die Agrarforscher unterstützen, die aus anspruchslosen Wildpflanzen neue Kulturpflanzen züchten, ganz ohne Gentechnik. Und den Entwicklungshelfern unter die Arme greifen, die in lokalen Projekten für die Böden die passenden Pflanzen finden. Dann hätten viele Menschen eine reelle Chance, in Subsistenzwirtschaft ihren Eigenbedarf zu decken. Doch den konzernunabhängigen Agrarforschern seien in den letzten Jahren überall auf der Welt die Gelder zusammengestrichen worden, beklagt Bommert:
"Die Mitgliedsstaaten der UNO verschließen ihre Kassen für die Krise der Welternährung, während sie Hunderte von Milliarden in marode Banken und Konzerne pumpen. Hier zeigen sich die Regeln, nach denen Politik funktioniert: Sie löscht nur dort, wo es brennt. Das gibt Fernsehbilder und Wählerstimmen. Eine Krise, die als Schwelbrand auftritt, und eine Milliarde Menschen mit leeren Schüsseln im fernen Asien und Afrika haben in dieser Hinsicht nichts zu bieten."
Wolfgang Hirn: Der Kampf ums Brot. Warum die Lebensmittel immer knapper und teurer werden. S. Fischer Verlag
256 Seiten, 14,95 Euro
Wilfried Bommert: Kein Brot für die Welt? Die Zukunft der Welternährung.
352 Seiten, 19,95 Euro