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Erneuerbar statt nuklear?

Atomkraftwerke sind offenbar keine Brücke mehr ins Zeitalter der regenerativen Energien. In Deutschland hat das Umdenken begonnen und der Umstieg von Atomstrom auf erneuerbar erzeugte scheint schneller möglich als geplant.

Von Axel Flemming, Sönke Gäthke und Theo Geers |
    Glietz im Spreewald. Ein Dorf in einer idyllischen Umgebung, geprägt von der Spree. Der Fluss fließt hier weit aufgefächert durch die Landschaft. Einige Anwohner allerdings sehen sich in ihrer Idylle gestört: durch Windräder.

    Obwohl die Gegend noch relativ "unverspargelt" aussieht. Thomas Jacob, der Ortsvorsteher von Glietz:
    "Noch, sage ich nur. Weil hier hinten in dem Glietzer Wald, in unserer Gemeinde Märkische Heide, da wird ein großer Windpark gebaut, sodass wir für die Gemeinde schlimmes erwarten, weil mindestens 40 bis 50 Windräder dahin kommen."

    174 Meter hoch in die Luft werden die Windräder ragen. Elf davon stehen bereits im Nachbarort Groß Leine. Jacob behält seinen Ärger nicht für sich und der Ortsvorsteher weiß, dass er nicht allein ist. Er ist Sprecher der Volksinitiative "Gegen Windräder", einem Zusammenschluss von 25 Bürgerinitiativen in ganz Brandenburg.

    "Wir sind keine Windkraftgegner" schreiben sie auf ihrer Internetseite. Wörtlich heißt es weiter: "Allerdings wenden wir uns energisch gegen die zerstörerische Art und Weise, wie diese spezielle Energieform im Land Brandenburg angesiedelt wird." Schon jetzt seien große Teile der Brandenburger Landschaft durch Windparks mit Riesenwindrädern – Zitat - verschandelt.

    Thomas Jacob verfolgt natürlich die furchtbaren Ereignisse in Japan. Er kennt die Fernsehbilder, die die Zerstörungen nach Erdbeben und Tsunami zeigen. Er liest die Berichte über die atomare Katastrophe durch die Reaktoren in Fukushima. Er ist auch gut informiert über die deutsche Energiediskussion. Er weiß, dass weniger Kernkraft den schnelleren Ausbau alternativen Energien bedeuten wird – also eher mehr Windräder. An seiner Meinung aber geändert hat sich nichts.

    "Ich glaube nicht, dass wir umdenken müssen. Warum wird diese Hysterie gesät, nur um einer Industrie zu helfen, die mit diesen angeblich erneuerbaren Energien viel, viel Geld verdient, das Land flächendeckend zerstört, es gibt Gegenden, wo man nicht wohnen möchte, nicht Urlaub verbringen möchte, weil es eine Kulturlandschaft ist, die auf ewig und immer zerstört ist."

    Die Volksinitiative fordert einen Mindestabstand von 1500 Metern zwischen Windrädern und Wohnbebauungen. Windparks sollten untereinander einen Abstand von zehn Kilometern haben. Die Windindustrie sollte ferner Tagebau- und Militärflächen nutzen – Naturschutzgebiete sollten tabu sein. Es drängt sich der Eindruck auf, es kämpfen Umweltschützer gegen Umweltschützer - lokal gegen global. Die einen rund um Glietz wollen die Umwelt vor der eigenen Haustür schützen. Die anderen das Weltklima retten. Macht das Sankt-Florians-Prinzip beim Kampf gegen Windmühlenflügel Sinn? Thomas Jakob muss nicht lange nachdenken.

    "Ich habe als Brandenburger gesehen diese Zerstörung der Landschaft, und für mich galt nicht unmittelbar das Prinzip Florian, 'bei mir brennt's, beim Nachbarn interessiert mich das nicht.' Uns ging es um den Erhalt des Landes Brandenburg, und die Frage ist, wenn jetzt schon 3000 stehen, vielleicht in vier Jahren 6000 wer baut die Dinger, die eine Lebensdauer von 25 Jahren ab? Also ich glaube, dass diese ganze Erneuerbare-Energien-Geschichte ein guter Gedanke war, aber der gute Gedanke ist nicht zu Ende gedacht, weil er konzeptionslos ist..."

    Das Land Brandenburg hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt, es will den Ausstoß von Kohlendioxid durch Energiegewinnung in den nächsten zehn Jahren um vierzig Prozent senken. Zu dieser Energiestrategie gehört auch, dass zwanzig Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen kommt. Ralf Holzschuher, Fraktionschef der SPD im Landtag:

    "Das Land ist sehr weit, was die erneuerbaren Energien angeht, und das zeigt, dass wir auf dem absolut richtigen Weg sind."

    Klar ist, mehr erneuerbare Energien bedeuten auch in Brandenburg mehr Windkraftanlagen, auch wenn es Widerstand gegen große Windparks gibt:

    "Möglicherweise müssen wir konzentrierter und schneller agieren, und wir müssen entscheidungsfreudiger sein. Aber das bedeutet nicht, dass wir notwendige Abwägungsverfahren oder Interessen von der betroffenen Bevölkerung ignorieren. Ich hoffe, dass die Vorbehalte, die bei einigen gegen erneuerbare Energien bestehen, nun noch sehr viel schneller abgebaut werden können, als das in der Vergangenheit der Fall war. Die Windkommunen in der Uckermark haben positive Abschlüsse, sie können Sozialleistungen tätigen, die andere Kommunen, die eben keine Windenergieanlagen haben nicht zur Verfügung haben."

    Axel Vogel, der Fraktionschef von Bündnis 90/die Grünen im Brandenburger Landtag, verweist darauf, dass die bestehenden Regelungen schon geändert wurden, um Anwohner zu schützen.
    Er glaubt, dass die Argumente der Windkraftgegner hinreichend berücksichtigt worden sind.

    "Es gibt in Brandenburg eine Beschlusslage, dass man sagt, 1000 Meter Abstand um die Dörfer, dass man in die Waldflächen auch reingeht, wo also die ästhetische Belastung wirklich bei Gott kaum noch gegeben ist, und von daher denke ich, sollte eigentlich der Volksinitiative der Wind aus den Segeln genommen sein."

    Thomas Jacob von der Volksinitiative "Gegen Windräder" sieht das natürlich ganz anders.

    "Das ist eine Empfehlung, an diese Empfehlung hält sich kein Mensch. Diese Windanlagen hier in Groß Leine sind vor einem Vierteljahr gebaut worden, 500, 600 Meter, 800 Meter an die Wohnbebauung ran. Die Investoren denen geht es nicht um den Schutz der Menschen oder um den Schutz des Klimas, ihnen geht es nur darum, um schnell mit diesen Dingern Geld zu verdienen."

    Die Menschen würden durch Schlagschatten, Dauergeräusche und Infraschall um ihre Lebensqualität gebracht, beklagt die Volksinitiative. Wohnhäuser in der Nähe von Windindustrieanlagen seien teilweise nicht mehr zu verkaufen. Ihre Besitzer und deren Nachkommen sieht Jacob sogar auf kaltem Wege enteignet.

    "Brandenburg produziert 60 Prozent seines Stromes für den Export, 40 Prozent brauchen wir, aber das Land hat nichts davon, es haben nur die Investoren etwas davon, weil Windräder Goldquellen sind."
    Der Ortsvorsteher von Glietz im Spreewald weiß, dass die Landesregierung vorhat, die Windeignungsgebiete von jetzt 225 auf 550 Quadratkilometer zu verdoppeln. Bis Ende April wollen er und seine Mitstreiter dagegen erneut 20.000 Unterschriften sammeln. Die braucht er, um den Landtag in Potsdam zu zwingen, sich mit ihren Forderungen auseinanderzusetzen. Eine Demonstration im April wurde angesichts der Ereignisse in Japan allerdings erst einmal abgeblasen:

    "Das steht infrage, weil wir da doch im Moment vielleicht ein wenig auf verlorenem Posten stehen, weil der Schrei nach alternativen Energien ohne das zu durchdenken doch so groß ist, dass wir diese Aktion vielleicht verschieben wollen."

    Gestern erst verkündete die Bundeskanzlerin gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der fünf Länder mit AKW: Alle sieben Atomkraftwerke, die vor 1980 gebaut wurden, gehen für zunächst drei Monate vom Netz. Während dieses Moratoriums wird die Sicherheit aller Kernkraftwerke überprüft. Da das Kraftwerk Krümel wegen technischer Schwierigkeiten im Moment ohnehin nicht am Netz ist, werden von den eigentlich 17 deutschen AKW nur noch neun Strom produzieren – vorläufig.

    "Damit kein Zweifel entsteht: Die Lage nach dem Moratorium wird eine andere sein als vor dem Moratorium. Ein Abschalten aber deutscher Kernkraftwerke unter Inkaufnahme der Verwendung von Kernenergie aus anderen Ländern, das sage ich ebenso unmissverständlich, das kann und darf nicht unsere Antwort sein. Die einzig redliche Antwort: Sie ist die forcierte und beschleunigte Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien."

    Soweit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wie viele Atomkraftwerke nach dem bis Mitte Juni dauernden Moratorium abgeschaltet bleiben werden, ist noch unklar. Aber eines ist sicher: Die Lichter werden wohl deshalb nicht ausgehen in Deutschland. Selbst wenn viele Atomstrombefürworter – auch in der Bundesregierung – dieses Schreckensszenario immer gerne an die Wand gemalt haben. Angesichts der Leistung der anderen Kraftwerke wird das vorübergehende Abschalten der AKW mit einer Leistung von gut 7.400 Megawatt verkraftbar sein. Davon ist Stephan Kohler, Leiter der Deutschen Energieagentur, überzeugt.

    "Wir haben genügend Kraftwerkskapazitäten derzeit noch, um diesen Ausstieg auch vollziehen zu können."

    Und die Vergangenheit gibt ihm durchaus recht – darauf weist etwa Bärbel Höhn, Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, in der ARD hin:

    "Wir hatten vor einigen Jahren; gerade auch im Sommer, wenn es heiß ist, dann haben die Atomkraftwerke ja auch jetzt schon Probleme; hatten wir die Situation, dass sieben Atomkraftwerke gleichzeitig vom Netz waren. Und da war es jetzt auch nicht so, dass hier der Notstand ausgerufen worden ist."

    Die Frage ist allerdings, welche Kraftwerke auf lange Sicht die Atomenergie ersetzen soll. Stephan Kohler ist zum Beispiel der Meinung, ein Ausstieg aus der Kernenergie, wie er von der rot-grünen Bundesregierung 2001 geplant wurde, sei durchaus möglich,

    "was aber notwendig ist, wir brauchen auch den Neubau von hocheffizienten Erdgas oder Kohlekraftwerken, um dann die anstehende Abschaltung von Kraftwerken zu kompensieren."

    Nach den Berechnungen des Sachverständigenrates für Umweltfragen dagegen muss ein Neubau von Kohlekraftwerken, die besonders viel Kohlendioxid ausstoßen, nicht sein. Christian Hey, Generalsekretär des Sachverständigenrates:

    "Wir haben das so ungefähr modelliert im Übergang und sind zu dem Ergebnis gekommen, eigentlich sieht es so aus, dass das Weggehen vom Netz, die Stilllegung von Atomkraftwerken, aber auch von anderen konventionellen Kraftwerken sich relativ harmonisch in das sehr dynamische Wachstum der erneuerbaren Energien zusammenfügen könnte."

    Tatsächlich decken alle erneuerbaren Energien zusammen derzeit rund 17 Prozent des Strombedarfs in Deutschland. Den größten Anteil daran hat die Windenergie, nämlich sechs Prozent. In den vergangenen vier Jahren wurden Windanlagen aufgestellt, die bei konstant gutem Wind insgesamt rund 6000 Megawatt ins Stromnetz liefern können. Tatsächlich liegt die Menge der eingespeisten Megawattstunden natürlich niedriger, weil der Wind eben nicht immer mit voller Leistung weht. 2010 zum Beispiel war ein eher windschwaches Jahr. Nach Windenergie folgen Biomasse und Wasserkraft, das Schlusslicht bildet die Fotovoltaik mit einem Anteil von zwei Prozent an der Stromerzeugung 2010. Doch sie holt auf. In nur zwei Jahren ließen sich die Bürger so viele Solarzellen auf ihre Dächer schrauben, dass sie bei schönem Wetter gut 15 Gigawatt Leistung liefern können. Und selbst an einem eher durchschnittlichen Tag wie dem 16. März 2011 erreicht die Leistung der Solarzellen bereits 3,4 Gigawatt.

    Innerhalb eines Jahres Stand 2010 hat die Fotovoltaik ihren Anteil an der Stromversorgung verdoppelt. Und das Potenzial ist noch viel größer. Solarwirtschaft und Bundesregierung gehen davon aus, dass die installierte Leistung in den kommenden Jahren noch sehr viel stärker steigen wird als bis vor Kurzem angenommen. Die jüngsten Prognosen gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2020 die Solarzellen bis zu 70 Gigawatt in Stromnetz einspeisen können – rund zehn Prozent des Bruttostromverbrauchs.

    "Viele Leute, die glauben, dass wir so mit der Fotovoltaik in den letzten Jahren eine Art Höllenritt hingelegt haben, was die Ausweitung der Produktionsmengen und was die Ausweitung der installierten Leistung angeht, werden sich noch wundern, das wird noch alles viel mehr werden, das wird noch alles viel schneller werden, weil jetzt Firmen in den Markt mit einsteigen, die wirklich viel Geld im Rücken haben, und für die eine Solarfabrik ein vergleichsweise kleines Investment ist,"

    sagt Philippe Welter, Herausgeber der Fachzeitschrift Photon. So groß ist allein der Fortschritt in der Solartechnik, dass ihre Vertreter überzeugt sind, schon in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts auch ohne finanzielle Förderung wettbewerbsfähig zu sein mit den etablierten Stromerzeugern.

    Mehrere Studien gehen davon aus, dass der Anteil der Erneuerbaren in den kommenden Jahren weiter wachsen wird. Am stärksten die Fotovoltaik und der Ausbau der Windparks auf hoher See. Bis 2020 erwarten die Experten einen Anteil der Erneuerbaren am Strommix von bis zu 40 Prozent. Das ist weit mehr, als die Atomkraftwerke heute liefern. Der Umstieg von Atomstrom (und auch von Kohlestrom) auf erneuerbar erzeugten scheint also schneller möglich, als seit Herbst 2010 geplant; Atomkraftwerke sind offenbar keine Brücke in ein neues Zeitalter.

    Der Ausbau hängt jedoch am Umbau der Stromnetze. Der Schwerpunkt der Stromerzeugung verlagert sich mit der Windenergie aus den Ballungszentren in den eher dünn bewohnten Norden. Der dort erzeugte Strom muss über längere Strecken als bisher üblich gleitet werden, der Neubau von rund 5000 Kilometern Höchstspannungsleitungen ist dafür notwendig. Dagegen aber gibt es Widerstand. Zum einen wehren sich viele Bürger gegen einen Ausbau der Trassen vor ihrer Haustür – und auch die großen Stromkonzerne treten auf die Bremse. So sind bislang erst rund 100 Kilometer neue Stromleitungen entstanden.

    Mit der Atomkatastrophe von Fukushima hat sich aber auch für die vier großen deutschen Stromkonzerne vieles verändert. Das weiß man in den Vorstandsetagen von EON, RWE; EnBW und Vattenfall, bestätigt EON-Chef Johannes Teyssen:

    "Die Ereignisse in Japan stellen eine Zäsur dar, wo man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann."

    Doch die Ankündigung, die sieben alten Atommeiler vom Netz zu nehmen, hat die Stromkonzerne aus völlig heiterem Himmel getroffen. Es gab keine Vorwarnung für ihre machtbewussten Vorstandschefs, die sonst gewohnt sind, dass sie sogar mit am Tisch sitzen, wenn – wie bei der Laufzeitverlängerung im vergangenen Herbst – in Berlin etwas beschlossen wird, was die Stromwirtschaft betrifft. Mit der Stilllegung schaffen jetzt aber sogar Atomkraft-Befürworter wie der Baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus Fakten, ohne dass die Bosse vorgewarnt und gefragt worden wären.

    "Jeder kann nachvollziehen, dass das letzte Wochenende eine Zäsur war, dass es auch ein emotionaler Ausnahmezustand ist und dass die Menschen das auch erwarten."

    Stillgelegte Atommeiler, dadurch Umsatz- und Gewinnrückgänge in Milliardenhöhe – und das alles nur, weil sich die atomskeptischen Deutschen im "emotionalen Ausnahmezustand" befinden und Politiker vor wichtigen Landtagswahlen stehen? So darf und so wird das aus Sicht der machtbewussten Vorstandschefs nicht laufen – sie wollen die Kehrtwende in der deutschen Atompolitik nicht einfach schlucken, sie wollen für die weitere Nutzung der Atomenergie kämpfen. Zumal das Moratorium aus ihrer Sicht auf rechtlich dünnem Fundament steht.

    Die Bundesregierung stützt sich auf § 19 des Atomgesetzes, den Paragrafen, der die Abwehr akuter Gefahren regelt.
    Bundesumweltminister Norbert Röttgen:

    "Wir sind er Auffassung, dass die neue Lage zu einer umfassenden Überprüfung zwingt, das ist das Gebot äußerster Vorsorge, dass im Gesetz Ausdruck findet, davon machen wir Gebrauch."

    Ob aber bei den deutschen Atomkraftwerken eine solche akute Gefahr gegeben ist? Nach dem Gau in Japan könnte das vor einem Gericht durchaus angezweifelt werden. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel vermutet jedoch, dass die Stromkonzerne nicht gegen die Entscheidung der Regierung klagen werden – weil sie die Stimmung in der Bevölkerung durchaus im Blick haben. Stattdessen könnten sie aber eine Gegenleistung für das Stillhalten verlangen.

    Der Weg zu so einem Deal könnte dabei auch über Brüssel führen. Denn anders als im atomskeptischen Deutschland verläuft die Debatte in anderen EU-Staaten weit weniger aufgeladen, erklärt auch RWE-Chef Jürgen Großmann.

    "Dieses Herunterfahren soll ja jetzt sehr kurzfristig geschehen, da muss man sehen, wie der Markt darauf reagiert. Auf der anderen Seite sind wir heute in Brüssel, weil wir das Thema nicht national sehen können. Die Kernkraftwerke stehen ja nicht nur in Deutschland, insofern ist es ganz wichtig, international und europäisch zu sehen, wie reagieren andere Länder und uns dann auf gemeinsame Nenner zu einigen."

    Dieser gemeinsame Nenner könnte von der EU-Kommission gefunden werden. Sie will nämlich die Sicherheitsstandards in Europa überprüfen und alle Atomkraftwerke einem Stresstest unterziehen. Dabei soll untersucht werden, wie die einzelnen Meiler gegen Erdbeben, Terrorangriffe oder Flugzeugabstürze gesichert sind. Und da schneiden deutsche Atommeiler möglicherweise besser ab als AKW in anderen Ländern. EON-Chef Johannes Teyssen:

    "Beim Stresstest für Banken ging es nur um das Geld, hier geht um das Leben der Mitmenschen. Wenn wir das gemeinsam europaweit beurteilen, kann Vertrauen wieder begründet werden. In welchem Maße das politische Konsequenzen für Deutschland hat, kann ich nicht am Anfang von drei Monaten nicht sagen, aber wir werden uns offen an der Diskussion beteiligen, wir werden argumentieren, aber wir werden auch sehr genau zuhören."

    Das Tauziehen, wie viele und welche Atomkraftwerke endgültig abgeschaltet werden, hat also schon begonnen. Parallel dazu werden die Stromkonzerne auch genau nachrechnen, ob sich der Weiterbetrieb angesichts der verordneten Sicherheitsnachrüstungen wirklich lohnt. Ein Ergebnis liegt schon vor: Das Atomkraftwerk Neckarwestheim I in Baden-Württemberg wird nach seiner Abschaltung nie wieder ans Netz gehen. Hier lohnt die Nachrüstung nicht, hat der Betreiber EnBW bereits mitgeteilt. In Bayern soll nach Willen der Landesregierung der Atommeiler Isar I endgültig stillgelegt werden, in Hessen geht die Landesregierung bei Biblis A erkennbar auf Distanz und auch für Schleswig Holstein gibt sich Ministerpräsident Peter-Harry Carstensen mit Blick auf Krümmel und Brunsbüttel hart.

    "Ich werde auch keinen Reaktor ans Netz lassen, von dessen Sicherheit ich nicht überzeugt bin und ich lasse auch keine Betreiber zu, dessen Zuverlässigkeit ich nicht vertraue."
    Führt die Katastrophe in Japan also zum Wiedereinstieg in den Ausstieg? Das Umdenken hat jedenfalls begonnen.