"Ich will meine Berge sehen", soll Giovanni Segantini auf dem Totenbett gesagt haben. Die Berge waren nicht weit, er starb auf einer Hütte im Engadin auf 2700 Metern Höhe. Da war er nur 41 Jahre alt. Was die Berge für das früh herumgeschubste Waisenkind Segantini bedeutet haben, kann man an seinen Bildern sehen: eine paradiesische Geborgenheit, überirdisches Licht, die gerade in der Kälte spürbare Direktheit der Natur, die Vorahnung eines wie auch immer gearteten Gottes zwischen Himmel und Erde.
Das profan Religiöse neigt gern zum Kitsch, und das ist es auch, was man Segantini vorwerfen kann: Dass er in seinen Naturbeschwörungen zu tümlich wird, dass stets der gute Hirte seine Schafe an milden Hängen weidet, dralle Bauernmädchen am Brunnen stehen und Kühe an der Tränke und der Sämann im Frühjahr den Samen auswirft, während vorne schon die Rösslein im Geschirr gehen.
Aber all diese Topoi haben bei Segantini etwas Gebrochenes, und das liegt an der Malweise. Nach seinen frühen Mailänder Versuchen mit mondänen Porträts und heute wie Filmstills wirkenden Straßenszenen hat der 1858 Geborene sehr bald mit dem Divisionismus experimentiert, mit einer Trennung der Einzelfarben auf der Leinwand, die sich im Abstand des Betrachters dann zu neuen Effekten formen. Das hat viel mit van Gogh zu tun, und entsprechend ambivalent-aufgeladen und intensiv wirken Segantinis flächige Landschaften: sehr bunte Farben, parzellierte Linien, die etwas Zerrissenes in die Alpen-Idyllen bringen und bisweilen - etwa im "Paesaggio alpino" von 1899 - die Abstraktion schon streifen.
Der Kurator Guido Magnaguagno hat Segantini 1990 schon einmal in Zürich ausgestellt. Damals ging es darum, den Verkannten überhaupt zu entdecken. Warum nun dieser neue Versuch?
"Vor allem wollte ich es besser machen - und in einem Museum, wo es meiner Meinung nach passt, denn da gibt es in der Sammlung gleich danach van Gogh, Cézanne und Monet. Und das ist der Prüfstein, da muss er sich behaupten gegen diese Über-Franzosen, gegen diese Übermacht."
Konsequent führt Magnaguagno die Ausstellung direkt an einem der späten, mit purer Farbwirkung argumentierenden Seerosenbildern von Claude Monet vorbei - zur gegenstandslosen Malerei ist es da nur ein Schritt. Der Kurator will Segantini in dieser relativ konzentrierten Schau aber noch in eine ganz andere Tradition stellen: Dürer, Rembrandt, Vermeer - und die Romantik, das sei die Linie, in der man seine Bilder sehen müsse.
"Das ist 'Northern Romantic', nordische Romantik. Das ist seltsamerweise nicht Italien, obwohl er ein Italiener war. Diese Sehnsucht, diese Natursehnsucht bei Caspar David Friedrich, bei Runge, das muss es gewesen sein, was ihn angeleitet hat - und dann dieses Prophetische, dass es die anderen Menschen auch wissen müssen. Wie der Pfarrerssohn van Gogh, nicht wahr: Ich muss das den anderen verkünden, und die Kunst ist das Mittel dazu."
Magnaguagno stellt den religiös-prophetischen Zug Segantinis (der charakteristischerweise viel Nietzsche gelesen hat) mit mehreren Dürer-inspirierten Selbstporträts heraus, die ikonografisch an Bildnisse von Jesus, Rasputin oder auch Tolstoi erinnern. Das berühmte "Ave Maria a trasbordo", "Ave Maria bei der Überfahrt", von 1886 ist an prominenter Stelle inszeniert: Nicht der mit Schafen gefüllte Nachen, der auch eine junge Mutter mit Kind über den See setzt, ist das Entscheidende an diesem makellosen Bild, sondern der erschlagende, im Wortsinn blendende Einsatz des Lichts, das von einem imaginären Zentrum aus gedacht und erstmals in divisionistischer Technik ausgeführt ist.
Giovanni Segantini hat kein besonders glückliches Leben gehabt. Die Eltern sterben früh, eine lieblose Pflegemutter macht ihn zum Staatenlosen; nach Herumtreibereien dann Kunstakademie in Mailand und Heirat einer Bürgertochter, mit der er vier Kinder hat und in die Berge zieht, zunächst nach Savognin, dann nach Maloja. Segantini verschwindet morgens aus der Familie in die Landschaft, malt teils in eisiger Kälte im Freien, setzt das einfache, arme Leben der Bauern und die Kreatürlichkeit der Tiere demütig-respektvoll ins Bild - und bricht das alles mit einer fragmentierenden Farbgebung, über dann die die Moderne in die Bilder hineinlugt.
Die Kontakte zur Kunstszene sind allerdings spärlich, deshalb sind alle Einflüsse anderer Maler Spekulation. Die Ausstellung ist chronologisch und übersichtlich gehängt, sie deutet Segantinis symbolistische Anwandlungen nur an, dokumentiert Fotos, nach denen der Künstler arbeitete, und endet mit den Entwürfen zum "Alpentriptychon", einem Panorama von Werden und Vergehen für die Pariser Weltausstellung.
Der Landschaftsmaler Giovanni Giacometti aus Maloja war Segantinis Schüler, er porträtierte den Toten. Die Ausstellung in der Fondation Beyeler aber feiert einen Maler, der die Wahrheit in der Einsamkeit suchte. Diejenigen, die Segantini für den Luis Trenker der Schweizer Kunst halten, müssen nun stille sein: Seine flächigen Idyllen sind voller Intensität - und Melancholie.
Das profan Religiöse neigt gern zum Kitsch, und das ist es auch, was man Segantini vorwerfen kann: Dass er in seinen Naturbeschwörungen zu tümlich wird, dass stets der gute Hirte seine Schafe an milden Hängen weidet, dralle Bauernmädchen am Brunnen stehen und Kühe an der Tränke und der Sämann im Frühjahr den Samen auswirft, während vorne schon die Rösslein im Geschirr gehen.
Aber all diese Topoi haben bei Segantini etwas Gebrochenes, und das liegt an der Malweise. Nach seinen frühen Mailänder Versuchen mit mondänen Porträts und heute wie Filmstills wirkenden Straßenszenen hat der 1858 Geborene sehr bald mit dem Divisionismus experimentiert, mit einer Trennung der Einzelfarben auf der Leinwand, die sich im Abstand des Betrachters dann zu neuen Effekten formen. Das hat viel mit van Gogh zu tun, und entsprechend ambivalent-aufgeladen und intensiv wirken Segantinis flächige Landschaften: sehr bunte Farben, parzellierte Linien, die etwas Zerrissenes in die Alpen-Idyllen bringen und bisweilen - etwa im "Paesaggio alpino" von 1899 - die Abstraktion schon streifen.
Der Kurator Guido Magnaguagno hat Segantini 1990 schon einmal in Zürich ausgestellt. Damals ging es darum, den Verkannten überhaupt zu entdecken. Warum nun dieser neue Versuch?
"Vor allem wollte ich es besser machen - und in einem Museum, wo es meiner Meinung nach passt, denn da gibt es in der Sammlung gleich danach van Gogh, Cézanne und Monet. Und das ist der Prüfstein, da muss er sich behaupten gegen diese Über-Franzosen, gegen diese Übermacht."
Konsequent führt Magnaguagno die Ausstellung direkt an einem der späten, mit purer Farbwirkung argumentierenden Seerosenbildern von Claude Monet vorbei - zur gegenstandslosen Malerei ist es da nur ein Schritt. Der Kurator will Segantini in dieser relativ konzentrierten Schau aber noch in eine ganz andere Tradition stellen: Dürer, Rembrandt, Vermeer - und die Romantik, das sei die Linie, in der man seine Bilder sehen müsse.
"Das ist 'Northern Romantic', nordische Romantik. Das ist seltsamerweise nicht Italien, obwohl er ein Italiener war. Diese Sehnsucht, diese Natursehnsucht bei Caspar David Friedrich, bei Runge, das muss es gewesen sein, was ihn angeleitet hat - und dann dieses Prophetische, dass es die anderen Menschen auch wissen müssen. Wie der Pfarrerssohn van Gogh, nicht wahr: Ich muss das den anderen verkünden, und die Kunst ist das Mittel dazu."
Magnaguagno stellt den religiös-prophetischen Zug Segantinis (der charakteristischerweise viel Nietzsche gelesen hat) mit mehreren Dürer-inspirierten Selbstporträts heraus, die ikonografisch an Bildnisse von Jesus, Rasputin oder auch Tolstoi erinnern. Das berühmte "Ave Maria a trasbordo", "Ave Maria bei der Überfahrt", von 1886 ist an prominenter Stelle inszeniert: Nicht der mit Schafen gefüllte Nachen, der auch eine junge Mutter mit Kind über den See setzt, ist das Entscheidende an diesem makellosen Bild, sondern der erschlagende, im Wortsinn blendende Einsatz des Lichts, das von einem imaginären Zentrum aus gedacht und erstmals in divisionistischer Technik ausgeführt ist.
Giovanni Segantini hat kein besonders glückliches Leben gehabt. Die Eltern sterben früh, eine lieblose Pflegemutter macht ihn zum Staatenlosen; nach Herumtreibereien dann Kunstakademie in Mailand und Heirat einer Bürgertochter, mit der er vier Kinder hat und in die Berge zieht, zunächst nach Savognin, dann nach Maloja. Segantini verschwindet morgens aus der Familie in die Landschaft, malt teils in eisiger Kälte im Freien, setzt das einfache, arme Leben der Bauern und die Kreatürlichkeit der Tiere demütig-respektvoll ins Bild - und bricht das alles mit einer fragmentierenden Farbgebung, über dann die die Moderne in die Bilder hineinlugt.
Die Kontakte zur Kunstszene sind allerdings spärlich, deshalb sind alle Einflüsse anderer Maler Spekulation. Die Ausstellung ist chronologisch und übersichtlich gehängt, sie deutet Segantinis symbolistische Anwandlungen nur an, dokumentiert Fotos, nach denen der Künstler arbeitete, und endet mit den Entwürfen zum "Alpentriptychon", einem Panorama von Werden und Vergehen für die Pariser Weltausstellung.
Der Landschaftsmaler Giovanni Giacometti aus Maloja war Segantinis Schüler, er porträtierte den Toten. Die Ausstellung in der Fondation Beyeler aber feiert einen Maler, der die Wahrheit in der Einsamkeit suchte. Diejenigen, die Segantini für den Luis Trenker der Schweizer Kunst halten, müssen nun stille sein: Seine flächigen Idyllen sind voller Intensität - und Melancholie.