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Erneut schwarz-blau

Hier finden Sie nach der Sendung das Manuskript des Beitrags. Mitunter liegen aber die Texte nicht als Datei vor oder können aus urheberechtlichen Gründen nicht ins Internet gestellt werden. Die Arbeit der neuen, zweiten schwarz-blauen Regierung in Österreich wird überschattet von der Frage, wie lange sie halten wird. Die stellvertretende Grünen-Chefin Eva Glawischnig trifft eine verbreitete Stimmung im Land , wenn sie an das monatelange politische Chaos erinnert, das der Kärntner FPÖ-Landeshauptmann Jörg Haider mit seinen Getreuen beim berüchtigten Parteitag in Knittelfeld auslöste, und das die erste schwarz-blaue Regierung zu Fall brachte:

Eberhard Nembach |
    Wir haben jetzt eine neue Regierung auf der Regierungsbank, nicht, weil wir am 24. November gewählt haben, sondern weil ein paar Monate vorher die vorige Regierung – und das war genau dieselbe – gescheitert ist. Und das Schauspiel, das wir vorher erlebt haben, das viele Wählerinnen und Wähler erlebt haben, da gibt’s jetzt die reale Gefahr, das sich das wiederholt. Und ich möchte nochmal kurz in Erinnerung rufen, was sich da abgespielt hat: Vor einem Jahr ungefähr um dieselbe Zeit war gerade das Temelin-, das Anti-Tschechien-Volksbegehren am Laufen. Es war ein immenser Streit innerhalb der Regierung. Dann war die Reise vom Kärntner Landeshauptmann nach Bagdad. Streit, Zank, Hader über Monate hindurch.

    ÖVP-Chef und Kanzler Wolfgang Schüssel betont dennoch immer wieder, dass er seinem neuen Stellvertreter Herbert Haupt vertraue. Der sei als Parteichef der FPÖ sattelfest und habe die Freiheitlichen im Griff. Auch Haupt selbst gab sich nach seiner Vereidigung als Vizekanzler optimistisch, dass seine Partei hinter ihm stehen wird:

    Ich habe im Unterschied von der letzten Regierungsbildung heute meine wichtigsten Parteigremien – nämlich den Bundesparteivorstand und die Bundesparteileitung der Freiheitlichen Partei – einberufen gehabt, so dass diese Bundesregierung auch zum Unterschied vom letzten Mal auf Beschlüssen steht. Wir sind ein starker Partner und wir werden auch für die volle Legislaturperiode als starker Partner im Interesse Österreichs unsere Regierungsarbeit als Freiheitliche in dieser Bundesregierung nunmehr bewältigen.

    Bei der Abstimmung in der FPÖ-Parteileitung gab es aber eine gewichtige Gegenstimme: Aus Kärnten, dem Landesverband Jörg Haiders, der schon die letzte schwarz-blaue Regierung zu Fall brachte.

    Auch in den Reihen von Wolfgang Schüssels konservativer ÖVP haben deshalb viele Zweifel an der Stabilität der neuen Regierung. Mehrere Mitglieder des ÖVP-Vorstandes haben gegen ein erneutes Zusammengehen mit den Freiheitlichen gestimmt – darunter zwei Landeschefs der Volkspartei, die demnächst Landtagswahlen zu bestehen haben. Sie haben ein sicheres Gespür für die Unpopularität von Schwarz-Blau, die ihnen als negative Stimmung im Wahlkampf entgegenschlagen könnte. Gegen Schwarz-Blau wehrte sich auch der Wirtschaftsflügel der Österreichischen Volkspartei – viele Manager haben Angst vor instabilen Verhältnissen. Sie hätten sich eine große Koalition gewünscht, wie sie auch der Bundespräsident und laut Umfragen eine Mehrheit der Bevölkerung befürworten. Von allen Beteiligten wird Disziplin verlangt, damit die neue Regierung halten kann. Unmittelbar nach ihrer Regierungserklärung banden Schüssel und Haupt ihre Fraktionen im Nationalrat, dem Österreichischen Parlament ein: Einstimmig verabschiedeten die Abgeordneten von ÖVP und FPÖ eine Entschließung die nichts Anderes enthielt als das vierzigseitige Regierungsprogramm: Nun haben sich alle Abgeordneten zu den geplanten Maßnahmen bekannt – spätere Querschüsse werden dadurch schwerer.

    Die Versuchung, gegen verschiedene Vorhaben zu stimmen, dürfte besonders für die Freiheitlichen Abgeordneten aber groß sein: Mehrere Forderungen der FPÖ, die zum vorzeitigen Scheitern der letzten Regierung führten, sind nicht oder nicht vollständig erfüllt. Die Regierung will Abschläge bei Frühpensionierungen, wogegen sich die FPÖ lautstark zur Wehr gesetzt hatte. Steuererleichterungen für kleine Einkommen sollen erst nächstes Jahr kommen – die FPÖ wollte das schon in diesem Jahr. Klar auch die Schlappe beim Symbolthema Abfangjäger: Der Kauf neuer Flugzeuge steht unmissverständlich im Regierungsprogramm. FPÖ-Beschlusslage war aber die Ablehnung dieses Kaufs. FPÖ-Chef Haupt und Kanzler Schüssel bemühen sich, diesen Widerspruch zu überdecken:

    Haupt : Die Anschaffung neuer Abfangjäger wird so erfolgen, wie wir Freiheitlichen uns das vorgestellt haben, nämlich mit keinen budgetwirksamen Auswirkungen vor dem Jahr 2005.

    Schüssel: Selbstverständlich gehört auch die Sicherung des österreichischen Luftraums zu unserer gemeinsamen Zielsetzung. Aber das wird Sie nicht überraschen. Gerade in Zeiten wie jetzt, angesichts eines möglicherweise drohenden Irak-Konflikts, zeigt sich, wie wichtig es ist, dass jedes Land, auch ein mittleres wie Österreich, seine Souveränität, zu Land und in der Luft in jedem Moment mit glaubwürdigen Mitteln auch wirklich garantieren kann.

    Wohl auch wegen der möglicherweise instabilen Basis seiner regierung hält sich Wolfgang Schüssel mit allzu durchschlagenden Reformankündigungen zurück. Sein Regierungsprogramm für die nächsten Jahre ist zwar sehr ehrgeizig, in weiten Teilen aber auch sehr abstrakt formuliert:

    Zukunftsfest, nachhaltig, gerecht – das sind die Maßstäbe für unsere politischen Antworten. Und unsere Perspektive reicht dabei weit über den nächsten Wahltag hinaus. Unser Ziel heißt es, im Jahr 2010 unter die drei besten Länder Europas vorzustoßen.

    Die heiklen Details der geplanten Reformschritte, vor allem der Belastungen, die auf die Bürger im Gesundheitswesen, in der Alterssicherung und bei den Steuern zukommen, wurden ausgespart. Sie müssen erst im politischen Alltag mühevoll ausgehandelt werden.

    Über die wichtigsten Reformthemen sind sich alle Parteien im Grundsatz einig – schließlich hat ÖVP-Chef Schüssel ja auch mit den Grünen und den Sozialdemokraten über eine mögliche Koalition verhandelt. Dabei sind viele Gemeinsamkeiten deutlich geworden. Entsprechend emotionslos bleibt auch die Kritik der Opposition an Schüssels zweitem schwarz-blauen Regierungsprogramm. SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer etwa moniert nicht die Richtung sondern nur die Intensität der geplanten Reformmaßnahmen...

    Wieso sind Sie so mutlos in der Pensionsreform und wollen nicht jetzt bereits ein einheitliches Pensionssystem für alle einführen. Wieso sind Sie so mutlos in der Gesundheitsreform und erhöhen nur die Versicherungsbeiträge und lassen die Strukturreformen im Unklaren. Wieso sind Sie so mutlos in der Gesundheitsreform und erhöhen nur die Versicherungsbeiträge und lassen die Strukturreformen im Unklaren bestehen. Und wieso sind Sie so mutlos im Bereich einer modernen Staatsreform, die dazu führen würde, dass nicht nur einzelne Kompetenzen hin- und hergeschoben werden, sondern wirklich ein moderner Staat in einem modernen Europa des 21. Jahrhunderts entstehen könnte.

    Konkrete Vorgaben macht die neue Regierung bisher vor allem in der Steuerpolitik. Eine zweistufige Entlastung für kleine Einkommen und für Unternehmen ist für die Jahre 2004 bzw. 2005 geplant. Weil die Regierung aber weiter am Ziel einer Budgetkonsolidierung festhalten will, sind Gegenfinanzierungen notwendig. Da sind die Abstriche bei der Frühpensionierung – wer früher in Rente geht, muss mit empfindlichen Einbussen rechnen. Eine betriebliche und eine private Vorsorge sollen als zweite und dritte Säule der Alterssicherung aufgebaut werden. Außerdem wird laut Planung das Berechnungssystem so umgestellt, dass viele Arbeitnehmer niedrigere Renten bekommen, als bisher üblich. Die Opposition kritisiert, dass vor allem Frauen mit erheblichen Einbußen zu rechnen haben. Die FPÖ versucht in diesem Zusammenhang, als großen frauenpolitischen Erfolg darzustellen, dass demnächst 24 statt wie bisher 18 Monate pro Kind als Erziehungszeit für die Rentenberechnung anerkannt werden sollen.

    Auch im Gesundheitssystem müssen die Österreicher mit Mehrbelastungen rechnen Zwar soll die unpopuläre und bürokratische Ambulanzgebühr wegfallen. Dafür werden aber wahrscheinlich höhere Versicherungsbeiträge fällig und möglicherweise auch Selbstbehalte, die Kranke bei jedem Arztbesuch zu bezahlen hätten. Auch die Universitätsreform bleibt mit Mehrbelastungen für die Studenten verbunden: Die Studiengebühren, die SPÖ und Grüne im Wahlkampf und in den anschließenden Koalitionsverhandlungen bekämpft hatten, sollen auch weiterhin erhoben werden. Um den Haushalt auszugleichen, will die Regierung auch Steuern erhöhen: Am Größten ist die Aufregung um die geplante Ökosteuer, wie auch Deutschland sie kennt: Treibstoffe für Autos und Heizungen sollen teurer werden. Was in Deutschland die Konservativen bekämpfen, führt also in Österreich ausgerechnet eine konservativ dominierte Regierung ein. Österreichs Grüne bestreiten dagegen die Lenkungswirkung der Steuer – es handle sich um reine Geldbeschaffung.

    Unklar bleiben bisher die Vorstellungen der neuen Regierung im Bereich der weiteren Privatisierung von alten Staatsunternehmen, die sie allgemein ankündigt. Spekulationen ranken sich auch um einen möglichen Verkauf der Österreichischen Post an die Deutsche Post AG. Auch eine Privatisierung der Bahn, sogar eine mögliche Trennung der Bereiche Schienennetz und Zugverkehr diskutieren Regierungspolitiker. Details bleiben sie aber schuldig.

    Der alte und neue Finanzminister Karl-Heinz Grasser hat unterdessen angesichts der schwachen Weltkonjunktur eine finanzpolitische Kehrtwendung vollzogen. Der einstige Ziehsohn Jörg Haiders, der aus der FPÖ austrat und nun als Parteiloser ein enger Vertrauter Wolfgang Schüssels ist, hat bisher immer das "Nulldefizit" propagiert. Das Sparen für Schuldenfreiheit wurde zu Grassers Markenzeichen und hat ihn populär gemacht, obwohl er für die höchste Steuer- und Abgabenbelastung in der österreichischen Geschichte mit verantwortlich ist. Nun will Grasser nur noch ein sogenanntes "Nulldefizit über den Konjunkturzyklus" erreichen, um bei schwacher Konjunktur Freiraum für staatliche Investitionen zu haben:

    Wir haben hervorragend abgeschnitten im internationalen Vergleich. Deswegen sagen wir nach wie vor: Hochkonjunktur muss einen Überschuss bringen, Rezession ein Defizit, damit man gegensteuern kann. Und das ist eine Politik mit Hausverstand. Das bleibt unsere Politik, meine Damen und Herren.

    Die Ausgabenlast in Österreich ist höher als in Deutschland, das neuerdings immer gern als negatives Beispiel herangezogen wird. Die ist aber Arbeitslosigkeit mit 4,1 Prozent, gemessen nach OECD-Standard, vergleichsweise niedrig, die Wirtschaftssituation ist insgesamt besser. Der jugendlich wirkende Finanzminister Grasser ist auch deshalb nach wie vor beliebt, und kann stolz auf seine Erfolge verweisen:

    Wir haben im Jahr 2002, in einem Jahr, das geprägt ist von einer weltweit schwachen konjunkturellen Situation, ein Defizit von 0,6 Prozent. Andere Länder, Deutschland über 3 Prozent, Frankreich über 3 Prozent, Portugal über 3 Prozent.

    Finanzminister Karl-Heinz Grasser ist eine zentrale Figur des neuen Kabinetts – so wie er es auch in der alten Regierungsmannschaft war. Ansonsten hat die ÖVP nach ihren Zugewinnen und angesichts der Verluste für die FPÖ bei den letzten Wahlen jetzt mehr Ministerämter besetzt als vorher. Die FPÖ hat nur noch drei volle Ministerposten. Da sind Justiz und Inneres, die beiden Symbolfelder für eine harte Sicherheitspolitik nach innen und außen, mit der die FPÖ sich besonders profilieren will. Ein beschleunigtes Asylverfahren soll etwa in dieser Legislaturperiode durchgesetzt werden. Darüber hinaus übernimmt FPÖ-Parteichef Herbert Haupt als Vizekanzler auch das Sozialministerium – wichtige Bereiche sind allerdings ausgegliedert worden an das Frauen- und Gesundheitsministerium von Maria Rauch-Kallat, die als ÖVP-Generalsekretärin stets eine treue Gefolgsfrau von Kanzler Schüssel war.

    Um den Proporz bei der Regierungsbildung zu wahren und auch noch weitere FPÖ-Politiker in die Regierung einzubinden, wurde die Zahl der Minister- und Staatssekretärsposten von 16 auf 18 erhöht. So bekommt etwa die Freiheitliche Ursula Haubner einen Posten als Generalsekretärin für Soziales, sie will sich vor allem um Frauenfragen kümmern. Ursula Haubner hat sich als FPÖ-Politikerin in Oberösterreich einen Namen gemacht, unter anderem mit ihrer lautstarken Opposition gegen das benachbarte tschechische Atomkraftwerk Temelin. Die FPÖ hat mehrfach mit einem Veto gegen die EU-Osterweiterung gedroht, wenn die tschechische Regierung Temelin nicht abschalte. Zwar steht im neuen schwarz-blauen Regierungsprogramm ein klares Bekenntnis zur EU-Osterweiterung. Ob die FPÖ diese aber wirklich in jedem Falle mittragen wird, bleibt fraglich. Die neue Staatssekretärin Ursula Haubner jedenfalls bekräftigt die alte Position der FPÖ:

    Wir haben immer gesagt: Das Ziel muss sein die Nullvariante. Temelin muss still gelegt werden. Und wenn wir Oberösterreichischen Freiheitlichen nicht so intensiv in diese Richtung unsere Meinung gesagt hätten, würde vieles anders ausschauen. Und wir waren sozusagen die Speerspitze des Kampfes gegen Temelin.

    Ursula Haubner ist die ältere Schwester von Jörg Haider. Schon als Kind musste sie auf den fünf Jahre jüngeren Bruder aufpassen – eine ähnliche Funktion könnte ihr jetzt zukommen. Kanzler Schüssel hat neben ihr noch mehrere andere erklärte Gefolgsleute Haiders in die Regierung eingebunden. Gegen sie und gegen die eigene Schwester vorzugehen, dürfte dem streitsüchtigen Kärntner Landeshauptmann schwer fallen, so dass Kalkül. Damit hat sich Wolfgang Schüssel aber eben auch erklärte Anhänger von Jörg Haider in die Regierung geholt. Ursula Haubner jedenfalls unterstützt auch als Staatssekretärin offen ihren Bruder:

    Seine pointierte und klare Aussage in manchen Dingen, inpolitischen Dingen, ist etwas, was Jörg Haider zu einem unverrückbaren Element in der österreichischen Innenpolitik gemacht hat. Und so soll es auch bleiben.

    Im Augenblick rechnet allerdings kaum jemand damit, dass Jörg Haider, wie im letzten Jahr, die schwarz-blaue Koalition platzen lässt. Das Risiko für ihn selbst könnte zu groß sein: Nach einem Scheitern auch des zweiten schwarz-blauen Kabinetts läge die FPÖ endgültig in Trümmern. Haider müsste dann die auch finanziell ausgeblutete Partei selbst wieder führen – in einen neuen Wahlkampf, den er nur verlieren könnte. Haider wird deshalb wohl zunächst weiter seinen Abgrenzungskurs von der Wiener Regierung verfolgen, ohne diese jedoch wirklich ins Wanken zu bringen. Eine solche Mischung aus kritischer Distanz und vorsichtiger Unterstützung der freiheitlichen Regierungsbeteiligung in Wien kündigte Jörg Haider bereits bei seiner politischen Aschermittwochsrede an:

    Die Freiheitlichen sollen regieren. Sie sollen gut regieren. Aber sie müssen aufpassen, dass sie vom Bazillus der Ideenlosigkeit der ÖVP nicht angesteckt werden. Weil sonst bleibt an uns die Rache des Wählers hängen, wie wir schon einmal gesehen haben. Daher lohnt es sich, um seinen Standpunkt zu kämpfen.

    Die Rache des Wählers für den chaotischen Kurs der FPÖ in den letzten zwei Jahren bekamen die Freiheitlichen in Kärnten bereits am letzten Wochenende zu spüren. Bei den Kommunalwahlen in ihrem Stammland verlor die FPÖ rund sieben Prozentpunkte und fiel zurück auf den dritten Platz, hinter Sozialdemokraten und ÖVP. Die Freiheitlichen in Kärnten interpretierten ihr schwaches Abschneiden dennoch als Erfolg. Man habe ihnen schließlich ein sehr viel schlechteres Ergebnis vorhergesagt. Dass es so schlimm nicht gekommen sei, sieht der Kärntner Landeschef der FPÖ, Martin Strutz, als Erfolg für Jörg Haider. Der habe viele Wähler mit seiner Kritik an der schwarz-blauen Wiener Regierung überzeugt – vor allem mit seiner Kritik an geplanten Belastungen.

    Eine Erhöhung der Benzinsteuer will Jörg Haider genauso wenig mittragen wie andere vorgesehene unpopuläre Ausgabenerhöhungen. Haider verweist auch immer wieder auf das Statut der Freiheitlichen in Kärnten, nach dem sein Landesverband formal unabhängig von der Bundes-FPÖ ist. Haider spielt offen mit der Idee einer eigenen Regionalpartei nach dem Vorbild der bayerischen CSU und spricht auch immer wieder von einem möglichen "Freistaat Kärnten", ebenfalls nach bayerischem Vorbild. Zunächst sind das aber nur Drohkulissen. Haider muss in einem Jahr Landtagswahlen überstehen. Er kann es sich nicht leisten, dass die FPÖ bis dahin allzu unpopulär wird, das könnte ihn die Mehrheit in Kärnten, und damit sein Amt als Landeshauptmann kosten. Die Erfahrung von den Kärntner Kommunalwahlen am Wochenende verheisst da nichts Gutes.

    Haider wird sich deshalb weiterhin von schmerzhaften Maßnahmen der Bundesregierung distanzieren – andererseits wird er sie auch kaum vor den Kärntner Landtags-Wahlen im nächsten Jahr zu Fall bringen. Verliert er diese aber, könnte Haider sich rächen. Genügend Anhänger in der FPÖ hat er allemal. Unterdessen bemüht Haider sich um bessere Popularitätswerte. Öffentliche Aufmerksamkeit hat er in dieser Woche wieder mit Ankündigungen einer neuen Bagdadreise erreicht. Seinem Ansehen scheinen solche eigenwilligen Image-Kampagnen aber nicht zu nützen. Auf einer Rangliste der nach Meinung von Befragten einflussreichsten Politiker in Österreich landete Haider auf dem letzten Platz.

    Der alte und neue Österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat also einige politische Hürden zu überwinden in den nächsten zwölf Monaten. Glaubt man den Umfragen der letzten Wochen, dann könnten ÖVP und FPÖ bei den kommenden Landtagswahlen in Niederösterreich, Tirol und Oberösterreich in den nächsten Monaten empfindlich einbrechen. Viele Wähler könnten ihren Protest gegen die Neuauflage von Schwarz-Blau an die Urne tragen. Verluste bei Wahlen könnten die mühevoll aufrecht erhaltene Disziplin vor allem in den Reihen der FPÖ ins Wanken bringen. Kritik aus den eigenen Reihen würde der Opposition die Arbeit enorm erleichtern. Schon jetzt zeigen Umfragen, dass Schüssel seinen Wahlsieg vom November durch die langwierigen Verhandlungen, die mit einer Neuauflage der alten Koalition endeten, möglicherweise verspielt hat. Warum haben wir überhaupt gewählt, wenn wir nach den vorgezogenen Neuwahlen wieder die gleiche Regierungskoalition bekommen? fragen sich viele Österreicher öffentlich.

    Die erste Bewährungsprobe für Schüssels zerbrechliches Regierungsmodell steht möglicherweise schon in zwei Wochen bevor: Im Nationalrat soll dann über den Haushalt für 2004 und 2005 abgestimmt werden. Die Abgeordneten im Nationalrat werden gehörig unter Druck geraten, wenn sie dieses Paket absegnen sollen, das auch die heiß umstrittenen Belastungen enthält. Und die Mehrheit für Schwarz-Blau ist knapp. Schon sechs Abweichler aus der 18-köpfigen FPÖ-Fraktion könnten den Haushalts-Entwurf zu Fall bringen.

    Das wäre ein Eklat, es ist längst nicht klar, dass es soweit kommt. Denn die FPÖ-Abgeordneten wissen auch, dass sie mit einem erneuten Scheitern von Schwarz-Blau ihr politisches Ende besiegeln würden. Dennoch hängt über Kanzler Wolfgang Schüssel die dauernde Drohung eines Zerbrechens seiner Koalition. Laut Umfragen glaubt nur ein gutes Drittel der Österreicher, dass die neue alte Koalition vier Jahre halten wird. Und die Zweifler kommen längst nicht nur aus den Reihen der Opposition. Auch in der ÖVP selbst hat Wolfgang Schüssel, der nach dem überwältigenden Wahlsieg im November unangreifbar schien, an Unterstützung verloren.

    Eine schwierige Ausgangsposition für einen Regierungschef, der auch international einige Herausforderungen vor sich hat: Etwa die Neuverhandlung des LKW-Transits über die Alpen, bei der Österreich bessere Bedingungen erreichen will, als die EU-Partner zugestehen wollen. Oder bei der Frage der EU-Osterweiterung, von der Österreich wirtschaftlich profitieren wird, wie kaum ein anders Land, die aber wegen der tschechischen Benes-Dekrete, wegen der Transitfrage oder wegen des Atomkraftwerks Temelin immer wieder infrage gestellt wird, vor allem von der FPÖ. Die Opposition jedenfalls macht sich bereit für Neuwahlen, nicht erst in vier Jahren. Dass sie bei einem Scheitern von Schwarz-Blau nicht mehr als Ersatzpartner für Schüssels ÖVP zur Verfügung stehen, haben SPÖ und Grüne sehr deutlich gemacht. Wenn es zu Neuwahlen kommt, rechnen sie sich eine eigene rot-grüne Mehrheit aus. Das wäre dann das Ende der Ära Schüssel in Österreich.