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Erneut schweres Seebeben im indischen Ozean

Der Einsatzleiter zur Behebung der Tsunamischäden in Indonesien, Bernd Schell, hat angesichts des erneuten Bebens in Südasien das Fehlen eines Frühwarnsystem bemängelt. Am stärksten betroffen seien die Nias-Inseln im Norden Sumatras und die Simeuleu-Inseln in der Provinz Aceh. Das Deutsche Rote Kreuz habe zwei Teams mit Flugzeugen und Hubschraubern zu beiden Inseln geschickt, so Schell.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: Herr Schell, wo sind Sie genau?

    Bernd Schell: Ich bin in einer Stadt namens Melabo. Das ist an der Westküste der Provinz Aceh, etwa eineinhalb Flugstunden entfernt von dem Epizentrum des Erdbebens, das gestern Abend hier stattgefunden hat.

    Remme: Das heißt, Sie sind relativ nahe am Epizentrum. Was war zu spüren?

    Schell: Also gestern Abend kurz nach Elf - ich war gerade dabei, das Bürozelt zu verlassen - hat die Erde plötzlich angefangen sehr stark zu vibrieren. Das ist nichts Ungewöhnliches hier, das passiert alle zwei bis drei Tage in der Stärke von Fünf bis Sechs auf der Richterskala. Aber es war dann doch zu merken, dass dieses Beben sehr viel stärker war. Das ganze Zelt hat gewackelt, auf der Straße haben die stehenden Autos angefangen zu wackeln, die Menschen kamen gegenüber auf der Straßenseite aus ihren Häusern heraus, und es dauerte an und dauerte an. Also es war doch ein langes Beben, das insgesamt fast drei Minuten dauerte. Man hat gemerkt, dass es doch ein ganz ungewöhnlich starkes Beben war, und die Menschen sind dann fluchtartig aus ihren Häusern herausgekommen, haben sich niedergekniet und haben angefangen zu beten.

    Remme: Was können Sie uns über mögliche Schäden berichten?

    Schell: Also hier in der Stadt - und wir sind ja auf der Hauptinsel Sumatra - können wir keine Schäden sehen, die sich jetzt durch das Beben gestern Abend ereignet haben. Aber die ersten Berichte, die wir von den beiden Inselgruppen bekommen - das sind die Nias-Inseln im Norden Sumatras und die Simeuleu-Inseln in der Provinz Aceh - zeigen, dass diese Inseln sehr stark betroffen waren. Auf Nias sind schon mehrere hundert Tote zu berichten, auch Hunderte, die noch unter den Trümmern eingeschlossen sind. Auf Simeuleu sieht die Situation etwas besser aus, soweit wir jetzt hören, aber wir haben noch kein vollkommenes Bild. Wir haben zwei Teams mit Flugzeugen und Hubschraubern zu beiden Inseln geschickt, die zur Zeit jetzt langsam ankommen müssten, um dann aus der Luft und am Boden Erkundungen einzuholen, wie die Lage tatsächlich ist. Aber wir müssen damit rechnen, dass die Zahl der Toten, Verletzten und Betroffenen sich in den nächsten Stunden doch erhöhen wird.

    Remme: Die große Klage im Dezember war, dass es einfach nicht gelang, die Meldungen von der Katastrophe, vom Beben selbst hin zu den Leuten zu bringen, die sich davor in Sicherheit bringen müssen. War das diesmal besser?

    Schell: Ein Frühwarnsystem gibt es nach wie vor nicht - auch das braucht Zeit, so etwas zu installieren und die Menschen darüber zu informieren, wie so etwas funktioniert. Aber die Menschen sind so sensibilisiert und, wie gesagt, das Beben war so stark zu spüren, dass die Menschen ganz automatisch aus ihren Häusern herauskamen. Es war plötzlich ein Riesenverkehr auf der Straße. Fahrzeuge haben sich Richtung Hinterland, also weiter weg von der Küste bewegt. Also ohne dass ein System existiert, wussten die Menschen genau, es könnte eine weitere Tsunami-Welle kommen, und haben von sich aus per Fuß, per Moped und per Fahrzeug auf dem Weg in die sicheren Teile der Stadt begeben.

    Remme: Noch während wir jetzt über das Beben gestern Abend hören, sind Sie ja dort, weil Sie die Schäden des Bebens von Ende Dezember beheben. Wie weit sind Sie damit?

    Schell: Wir sind immer noch in einer Phase, wo wir Hilfsgüter an die Menschen hier verteilen, wir immer noch in Bereiche vordringen, die wenige Hilfsgüter erhalten haben und weiterhin Hilfe brauchen. Aber wir sind auch bereit, jetzt in den Wiederaufbau zu gehen, um also dort jetzt Schulen, Häuser, Gesundheitsstationen aufzubauen, aber auch beispielsweise psychologische Beratung für die Menschen zu geben, die doch sehr stark traumatisiert wurden durch das Beben, und die Ereignisse von gestern Abend haben diese Situation sicherlich nicht erleichtert.

    Remme: Erfordert das erneute Beben neue internationale Hilfe oder kann das aus dem, sagen wir, Vorrat, der in den vergangenen Monaten angesammelt wurde, bewältigt werden?

    Schell: Also wir können das bewältigen aus dem, was wir hier vor Ort haben. Wir haben sehr viele Mitarbeiter immer noch hier, medizinische Teams, die Wasseraufbereitung leisten können. Wir haben auch hier gerade 30 Meter entfernt von diesem Zelt vier große Lagerhallen, wo wir alle Art von Hilfsgütern haben, Zelte, Decken, Familiensets, Küchensets, all diese Dinge, die man in den ersten Tagen nach einer solchen Katastrophe braucht, und wir planen, diese in den nächsten Tagen per Hubschrauber, Flugzeug oder Boot auf die schwer betroffenen Inseln zu bringen. Also wir müssen nicht zu weiteren Hilfen derzeit aufrufen.

    Remme: Sie sind Einsatzleiter dort. Mit wie viel Mann sind Sie dort vertreten?

    Schell: Wir sind hier ein Team des Internationalen Roten Kreuzes und in Melabo sind wir 25 internationale Mitarbeiter, natürlich zahlreiche lokale Mitarbeiter des Indonesischen Roten Kreuzes. In der ganzen Provinz Aceh sind wir etwa 200 internationale Mitarbeiter und sicherlich 500 bis 600 Mitarbeiter des lokalen Roten Kreuzes, die seit dem 26. Dezember hier humanitäre Hilfe leisten.

    Remme: Aceh, das ist ja eine Provinz, die man klassischerweise Unruheprovinz nennt. Haben Sie trotzdem das Gefühl, dass Sie dort nicht nur geduldet, sondern gebraucht werden?

    Schell: Natürlich ist die Gastfreundschaft der Menschen hier unheimlich groß. Wir haben keinerlei Probleme erlebt in all diesen Monaten. Es gibt natürlich einzelne Gefechte zwischen den Rebellengruppen und der indonesischen Armee, das heißt, der Zugang zu einigen Gebieten ist nicht immer möglich, was dann die Hilfsleistungen für einige Tage behindert. Aber die Menschen begegnen uns mit einer unbegreiflichen Freundlichkeit und wissen die Hilfe, die wir hierher bringen, sehr stark zu schätzen.

    Remme: Ist das Ende Ihrer Arbeit schon abzusehen?

    Shell: Ich bin hier seit dem 28. Dezember ununterbrochen im Einsatz. Mein Einsatz sollte eigentlich an diesem Freitag zu Ende gehen. Durch diese neuerliche Katastrophe weiß ich nicht, ob das auch so sein wird. Mein Nachfolger ist bereits hier, aber, wie gesagt, dieses Beben von letzter Nacht hat die Situation wieder verändert und ich muss sehen, wie sich das in den nächsten Tagen weiterentwickelt.

    Remme: Vielen Dank für das Gespräch.