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Eröffnung der Salzburger Festspiele:

Der Harem auf westlich als technisch übermöblierte Küche: Käfig der Frauen, die ihre Befreiung herbeisingen. Das Bühnenbild war nur eins der für Salzburger Verhältnisse provozierenden Elemente in Stefan Herheims Mozart-Inszenierung gestern, mit Diana Damrau als Blonde und Peter Rose als Osmin.

Ein Beitrag von Frieder Reininghaus |
    Der Vordere Orient fand durchaus statt. [Die den Mitteleuropäern oft etwas spanisch vorkommende Türkei zeigte sich dort, wo Christoph Bretzner und Johann Gottlieb Stephanie d.J., die Textdichter der "Entführung aus dem Serail", einen Blick in die Vorhöfe des Harems wagten:] Da bekommt die wasserstoffsuperoxydblonde Blonde, die an den Bosporus verschleppte junge Engländerin, eine funkelnagelneue Hochleistungs-Küche auf die Bühne gezaubert – just so, wie sie die blonden Frauen der Siemens-Reklame in den großflächigen Anzeigen der Zeitungen und Illustrierten der arabischen Welt präsentieren. Vom Bügeleisen über die Zeitschaltung am Herd und den Mixer bis zum Tortenheber und dem klassischen Wellholz – alles in bester Ordnung zur Stelle. Hier wird, unterm äußerlich auferlegten Zwang, die weibliche Freiheit geboren. Diana Damrau erweist sich als temperamentvolle Geburtshelferin, Peter Rose als ein nicht besonders stimmgewaltiger, aber mephistophelisch in verschiedene Rollen schlüpfender Osmin. Spricht sie vom Scherzen, zieht er sich eine Schürze an.

    Stefan Herheim präsentiert in der raffinierten, am Ende nachgerade als genial sich erweisenden Bebildung von Gottfried Pilz ein Gesellschaftsspiel, das wohl irgendwo im späten 20. Jahrhundert angesiedelt sein mochte, es aber mit den historischen Zeiten und Orten absichtsvoll nicht eindeutig nahm. Diese Entführung der "Inszenierung aus dem Serail" erzählt, oft recht umständlich und ermüdend, eine Geschichte vom Kinder-Lachen und von Adam und Eva her: unschuldige und naive Liebe gibt es nun nicht mehr – nur vielleicht als Fiktion. Gewaltphantasien und Gewalttätigkeit, und sei es in sublimsten Formen, Wille zur Unterordnung und Zwang brechen immer wieder durch. Erst vom Schluss her wird der konfus wirkende Anfang des Opernabends plausibel: Nach den zur Ouverture gereichten Video-Animatio-nen und Pantomimen – Adam und Eva werden aus dem Paradies vertrieben, entdecken ihre Nacktheit und Verletzlichkeit – zeigt sich vor der klassischen Front hoher Fenstertüren eine klassische Hochzeitsgesellschaft. Osmin dient ihr als Dompfaff – und verwehrt den Zugang zur Erfüllung der naheliegenden Wünsche. Die Dialoge werden verstottert, statt Tra-la-le-he-ra, tra-a-la-lee-ra singt der sinistre Repräsentant der Ordnung vor der Tür Ha-le-lu-u-ja, ha-a-le-lu-ja ... [Der in die falschen Verhältnisse geratene Pedrillo erscheint völlig durch den Wind, der mindestens ebenso auf den Weg zur Selbstfindung wie zur Suche nach seiner Braut aufgebrochene Belmonte als der eitle reiche Dummkopf, der er auch im Original ist.

    Ansonsten schaltet und waltet Herheim frei mit den Texten und Situationen des nicht sonderlich konsistenten Singspiels.] Zur Auftrittsmusik des Bassa Selim kommt ein Haufen großer Geschenke – aber der eigentliche Herr der Verhältnisse lässt sich nicht blicken. Einer nach dem anderen schlüpft vorübergehend in seine Rolle. Blonde z.B., die zu Konstanzes Traurigkeits-Arie ihre Mords-Phantasien an den allzeit zu Verfügung stehenden Statisten auslässt. Gesellschaftsspiel auch das: man sinkt nieder oder fällt um, erhebt sich aber ebenso rasch wieder, damit die Geschichte irgendwie weitergeht. Allein die Musik bewährt sich als Klammer für die mitunter fahrig oder gar absichtsvoll dilettantisch wirkenden Kommentierungen zu den Problemen der Liebe. Ivor Bolton hätte diese Klammer akkurater und stimmiger fügen können – und Iride Martinez singt, wenn es wirklich schwer wird, nicht ganz makellos. Am Ende, da Herr Selim ausbleibt, fällte seine Figur mit der Osmins zusammen: aus einer grandiosen Video-Installation erhebt sich das ordnungspolitische Über-Ich, steigt dann, während Belmonte und Konstanze schon einmal einen Rundflug über Salzburg mit dem Fliegenden Teppich genießen, leibhaftig aus dem Bildschirm, der die Real-Drohung komisch kontrapunktiert. Der Gnadenerweis des orientalischen Renegaten entpuppt sich als christlich-aufklärerische Projektion – und Basmin verwandelt sich in den mit der Eheschließung beauftragten Geistlichen zurück, der er am Anfang war. Alles ein strindbergsches Gesellschaftsspiel.

    Zu Anfang des Jahres war Bassa Selim, der Humanist, an der Münchener Staatsoper völlig verstummt. Bei den Festsspielen in Aix-en-Provence ließen ihn Jerôme Deschamps und Macha Makieff als eitlen orientalischen Jung-Despoten mit wilder Triebsstruktur und zugleich Assimilierungswünschen an westliche Zivilisationsstandards hereintanzen. Nun wurde die Figur ganz aus der Inszenierung verbannt: die Mitwirkenden beim mehr oder minder heiteren "Entführungs"-Spiel sind alle selbst auch ein wenig Bassa Selim: von polyerotischem Begehren getrieben und zeitweise gutmenschlich zugleich. So kommt Mozart in der sozialdemokratisierten Welt an.

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