Archiv


Eröffnung der Schwetzinger Festspiele mit "Il giustino" von Giovanni Legrenzi

Giovanni Legrenzi ,1626-1690, brachte es in Venedig bis zum Amt des Kapellmeisters an San Marco. Etliche seiner 20 Opern hatten Erfolg, darunter die Götter-Parodie "La divisione del mondo" und "Il Giustino". An diese 1683 uraufgeführte Oper, seine letzte, die erhalten blieb, wurde jetzt anlässlich der Eröffnung der Schwetzinger Festspiele erinnert - ein Werk, das weithin wie eine Vorwegnahme der Musical comedy des 20. Jahrhunderts wirkt.

Von Frieder Reininghaus |
    Wie können die Paläste des antiken Byzanz noch einmal zu Theaterleben erwachen? Und wie lassen sich gewaltige Schlachten um das Oströmische Reich (und damit um den Schlüssel zur Herrschaft über die Alte Welt) auf einer gerade einmal zwölf Meter breiten Bühne eines Rokoko-Theaterchens inszenieren?

    Vielleicht am ehesten durch Klang - durch Musik, deren eigentlich spröder Ton aus der frühen Neuzeit herüberfunkelt, die dann freilich nach Geschmacksvorgaben des späten 20. Jahrhunderts aufbereitet wurde. Was unter Leitung von Thomas Hengelbrock als "historische Musizierpraxis" exekutiert wird, reicht ja durch exzessive Aussetzung des Generalbasses und stark anreichernde Instrumentierung wie Auszierung an einen zweiten Kompositionsvorgang heran.
    Cornelia Ptassek und Georg Nigl geben stimmlich ein treffliches Herrscherpaar ab, auch wenn ihnen dann Idealkonkurrenz erwächst in Delphine Galou als gertenschlanker Schwester des Kaisers und Elisabeth Kulman, die in der Titelpartie den zu höchsten militärischen Ehren strebenden Bauern Giustino beglaubigt und bei dieser Gelegenheit nicht nur über Stimmvirtuosität zu verfügen, sondern auch mit schlichtem Volkston anzurühren hat. Dabei sieht sie aus wie ein Samurai. Die Ackerbaubemühungen erinnern an Archäologie, dem eloquenten Fuchteln mit der scharfen Klinge fallen diverse Ungeheuer zum Opfer - bis der naive Held, der Retter vom Dienst, selbst Opfer byzantinischer Palastintrigen wird.
    Giustino erscheint als der veritable Vorläufer des Terminators (auch Gouverneur von Kolofonien könnte er noch werden). Trotz des Primats, den in Schwetzingen die Musik genießt - nicht zuletzt soll das akustische Resultat ja von der veranstaltenden Landesrundfunkanstalt als Hörfunk-Abend ausgestrahlt werden - wurde ein durchaus erheblicher Ausstattungsaufwand nicht gescheut. Mit ihm deutet sich das Goldgepränge der spätrömischen Kaiser, ihrer Frauen, Kurtisanen und deren Liebhaber an: Die schöne junge Cäsarenwitwe Arianna genießt die Schäferstündchen mit ihrem allerliebsten Anastasio und krönt diesen zum Kaiser. Doch rasch lässt Nicolas Brieger die vor angedeutetem Säulengang angesiedelte Idylle in einem Scherbenregen zerbersten und zeigt, wie kriegerisch die Zeiten damals ums Jahr 500 waren und mit welcher Lust Giovanni Legrenzi die Schlachtszenen und die in Seenot geratenden Protagonisten mit charakteristischer, manieristisch-lautmalerischer Musik bedachte.
    Insbesondere sorgen die 17 Damen und Herren des Bewegungschors für edel-stilisierte Kampfszenen. Katrin Nottrodt und Jorge Jara, die Ausstatter, lassen Segel aufziehen für stürmische Überfahrt und eine Oase hereinfahren. So wird zur aufgezwirbelten Musik auch dem Auge reichlich Abwechslung geboten und - mit der übertrieben betrunkenen Gestalt des Dieners Brillo - auch dem Buffo-Affen kräftig Zucker gegeben. Wiewohl das Libretto von Nicoló Beregan auf einen Historienbericht von Prokopios rekurriert, häufen sich die Aventüren, Unwahrscheinlichkeiten, Rettungsaktionen und Abstürze wie in einschlägigen Hollywood-Produktionen. Gerade die Nähe zu dieser Art von Entertainment macht ein Prestige-Objekt wie die Ausgrabung dieser Oper von 1683 heute so zum einvernehmlich goutierten Erfolg.