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"Erosion moralischer Werte durch Märkte"

Neurowissenschaften. - Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Das sagte schon der kapitalismuskritische Bert Brecht. Und er hat offenbar mit beidem Recht gehabt. Ein Bonner Forscher hat Hunderte von Probanden vor die Wahl gestellt, selbst Geld zu verdienen oder einer Labormaus das Leben zu schenken. Er wollte herausfinden, wie stark die Gesetze des Marktes unseren Wertekompass vom Kurs abbringen. Über das Ergebnis berichtet der Neuroökonomie-Professor Armin Falk im Gespräch mit Ralf Krauter.

Armin Falk im Gespräch mit Ralf Krauter | 14.06.2013
    Krauter: Herr Falk, vor welche Wahl haben Sie die verschiedenen Gruppen von Probanden denn gestellt?

    Falk: In der so genannten individuellen Bedingung war die Entscheidung denkbar einfach. Es gab genau zwei Optionen: Die Option A, wie sie heißt im Experiment, bedeutet, dass man eine Maus rettete, dafür aber auch kein Geld erhielt. Die Option B beinhaltete, dass die Maus stirbt und man dafür zehn Euro erhält. Und diese individuelle Bedingung haben wir dann verglichen mit zwei Marktbedingungen. Einmal ein bilateraler Markt, da gibt es einen Käufern einen Verkäufer, und einen, wie wir das nennen, multilateralen Markt mit vielen Verkäufern und vielen Käufern. Ansonsten sind die Märkte eigentlich sehr ähnlich. Kontinuierlich konnten Preisangebote gemacht wird, Käufer konnten den Verkäufern Angebote machen, Verkäufer konnten den Käufern Angebote machen, diese Angebote sieht man dann auf einem Computerbildschirm. Wenn man ein Angebot annehmen möchte, kann man das anklicken und sagen: Das möchte ich akzeptieren. Und der Preis, der dann diesem Angebot entspricht, gilt dann eben für diesen konkreten Handelsabschluss. Eine Folge eines solchen Handelsabschlusses war in dem Fall, dass eine Maus gestorben ist. Das heißt, wir haben eine sehr ähnliche Situation wie in der individuellen Bedingung, aber jetzt eben mit Teilnehmern auf einem Markt, mit Käufern und Verkäufern, man kann Angebote machen, kann einen Handel abschließen und immer wenn ein Handel abgeschlossen wurde, war als Folge eine Maus tot.

    Krauter: Wie unterschieden sich die Entscheidungen der Teilnehmer konkret für diese verschiedene Szenarien?

    Falk: Ja, wir haben zwei Hauptresultate, die man kurz zusammenfassen kann. Wenn man von der individuellen Bedingung ausgeht, und sagt: Wie viele Probanden sind bereit für zehn Euro eine Maus zu töten, dann sind das etwa 45 Prozent. Und diese 45 Prozent kam man vergleichen mit etwa 75, 70 bis 75 Prozent in der Marktbedingung. Das heißt, der Anteil der Teilnehmer, die bereit waren, eine Maus für zehn Euro zu verkaufen, beziehungsweise den Tod in Kauf zu nehmen, steigt dramatisch an. Und das ist eben unser Maß im Grunde auch für die Erosion moralischer Werte durch Märkte im Vergleich zu individuellen Bedingungen. Zweiter Hauptbefund ist, dass die Preise in den multilateralen Markt, von dem ich vorhin sprach, nicht nur gefallen sind, sondern auch von Anfang an relativ niedrig waren. Die begannen etwa so bei 6,50 Euro, um die Ecke, sechs, sieben Euro und fiel dann unter fünf Euro in der letzten Periode. So im Schnitt lagen die bei fünf Euro etwa. Das zeigt, dass auch hier die Märkte eine Preisdynamik entfaltet haben, und insofern, meines Erachtens reflektiert das auch in gewisser Hinsicht die moralischen Werte, die auf diesem Markt gelten. So sieht man, dass Märkte eben nicht dazu führen, diese Werte zu respektieren, wenn man so möchte, sondern dass auch hier die Werte eben deutlich unter die Räder kommen.

    Krauter: Also wenn man so will, führt das Marktumfeld dazu, dass die Hemmschwelle der Handelnde sinkt, anderen, Dritten, in dem Fall den Mäusen, zu schaden. Wie erklärt man sich das?

    Falk: Ich glaube, es gibt mehrere Erklärungen für den Befund, dass die Märkte zu einer Erosion führen von moralischen Werten. Eine ganz wichtige Ursache ist sicher, dass der Einzelne sich nicht dafür verantwortlich hält. Ich bin nicht entscheidend, wenn ich es nicht mache, macht es eben jemand anderes. Ich glaube, dass das ein sehr starkes Motiv ist, was zur Diffusion von Verantwortung führt. Ein zweites Motiv ist sicher, dass man auf Märkten lernt, dass die Wertschätzung für die Maus eben nicht so hoch ist. Ich glaube, das ist eine Sache, die wir auch alltäglich auf Märkten erleben und auch erfahren. Wir sehen, dass andere Produkte von fragwürdiger moralischer Qualität kaufen, und indem sie das tun uns auch dabei helfen zu rechtfertigen, dass wir das vielleicht auch können. Ein weiteres Argument könnte sein, dass durch die Märkte die Verantwortung, um die es hier geht, auch immer automatisch geteilt wird, weil ich nicht alleine für die Handlungsfolgen einstehen muss, sondern in der Kombination von Käufern und Verkäufern immer mindestens zwei Personen habe, die involviert sind, und in einer gewissen Hinsicht dadurch auch Schuld geteilt werden kann. Diese drei Motive, glaube ich, tragen dazu bei, das Märkte dazu führen, dass Moral diffus wird und damit eben Handlungsfolgen in Kauf genommen werden, die dem Standard des Einzelnen eigentlich widersprechen.