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Erpresste Versöhnung

Der neue künstlerische Leiter des Musiktheaters bei den Schwetzinger Festspielen Georges Delnon hat mit Händels Oper "Ezio" schon Erfahrung. Schließlich hat er sie bereits 1995 bei den Karlsruher Händel-Festspielen in Szene gesetzt. Für Schwetzingen allerdings inszenierte Günter Krämer das Intrigendrama aus Liebe, Eifersucht und Begehren.

Von Frieder Reininghaus |
    Ezio sollte primär die teuren Kastraten zu Geltung und Erfolg bringen, die Georg Friedrich Händel und sein Impresario Heidegger für das von den beiden gepachtete King's Theatre in London akquiriert hatten.

    Und so kann sich auch jetzt der Countertenor Yosemeh Adjei mit der teilweise höchst bravourösen Stimmführung der dem tragischen Titelhelden zugeschriebenen Arien virtuos profilieren.

    Ebenfalls als hervorragend erwies sich die Sopranistin Netta Or beim Beitrag der Schwetzinger Festspiele zum Händel-Jubiläum. Sie bestritt die Partie von Ezios Herzensdame Fulvia vital, differenziert und mit Emphase.
    Auf starken Ausdruck zielt auch die musikalische Anleitung durch Attilio Cremonesi, auch wenn der Strom der Musik durch den Willen zu besonderer Intensität gelegentlich etwas ruppige Züge annimmt. Tatsächlich hat Händel in der Partitur zu Ezio einige Besonderheiten, Delikatessen für Kenner, untergebracht. Der Tonsatz weicht zum Beispiel in durchaus entlegene Gefilde aus, in Tonarten wie Es-moll und Gis-moll, die in der vorbachschen Musik höchst rar waren. Und gelegentlich findet sich in der langen Folge von Arien auch das eine oder andere besonders sorgfältig instrumentierte Stück.
    Das zur Jahreswende 1731/32 fertig gestellte "dramma per musica", das auf einem Libretto von Metastasio fußt, befasst sich inhaltlich mit einer historischen Episode in der Spätphase des Weströmischen Reichs - mit den Folgen eines Gemetzels, durch das die Truppen des Hunnenkönigs Attila (oder auch Etzel) fürs Erste zurückgeschlagen wurden. Doch so instinktsicher der Feldherr Ezio auf dem Schlachtfeld die römischen Söldner zu motivieren versteht, so naiv verhält er sich auf dem kontaminierten politischen Parkett zuhause in der Hauptstadt. Da will ihm der als Kindkaiser auf den Thron gelangte Imperator Valentinian III. die Geliebte ausspannen. Dieser ist von ihrem intriganten Vater bei seinen Attentats- und Putschplänen die Funktion einer Lenkwaffe gegen den als "selbstsüchtig und ausschweifend" charakterisierten Monarchen zugedacht. Der überlebt jedoch die Anschläge. Fulvia gerät in Loyalitätskonflikt zwischen Vater und Verlobtem. Der Verdacht, Urheber des Komplotts zu sein, wurde auf Ezio gelenkt. Statt fortdauerndem Ruhm warteten auf ihn in der realen Historie Degradierung, Demütigung und der Tod.

    Auch in Händels Oper kommt der Oberkommandierende der Armee, Ætius Flavius, durchs Schwert zu Tode. Doch die Liquidation war, wie sich mit dem "lieto fine" herausstellt, vom guten Freund nur vorgetäuscht, um Ezio aus dem Verkehr zu ziehen und sein Leben zu retten.

    Die Handlung wird in Jürgen Bäckmanns (von eindeutigen Symbolen geprägter) Ausstattung unmittelbar deutlich: Der Regisseur Günter Krämer lässt sie zunächst vor einem kaiserlichen Spiegel spielen, der den Narzissmus der Nummer eins in einem modernen Staat illuminiert. Ein über die Varieté-Treppe herunterrollender Panzer, fast lebensgroß, verweist auf einen heutigen Krieg gegen eine Armee aus dem näheren oder ferneren Osten. Ein körperbewegtes Herrenquintett bringt auf den zeitlosen Stufen etwas Aroma despotischer Dekadenz ins Spiel. Dass das Menschenleben im Reich eines Valentiniano nicht viel wert ist, verdeutlicht sich nicht durch Massenerschießungen, sondern mit der Kreide: die Namen von Opfern der Despotie werden auf den Eisernen Vorhang geschrieben. Das alles erscheint in sich konsequent und setzt sich nicht in Widersprüche zur operngemäß beschönigten Geschichte, sondern balanciert deren Schrecken gegen die Schönheiten der wahren Liebe festspielgerecht aus. So erweist sich dann das merkwürdig aufgepfropfte Schluss-Ensemble mit dem Lobpreis von Liebe und Treue auch in Günter Krämers Inszenierung als das, was es ist: als erpresste Versöhnung.