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Erst der Süden, dann das ganze Land

In den meisten Bundesländern stellten bis vor kurzem noch die Lehrer die Abiturfragen, inzwischen sträubt sich nur noch Rheinland-Pfalz gegen ein Zentralabitur auf Landesebene. Doch im Süden Deutschlands will man noch mehr: Fünf Bundesländer - Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen - wollen ihre Abiturstandards vereinheitlichen.

Von Sandra Pfister | 30.04.2008
    Schulleiterin Angelika Ottersbach: " Grundsätzlich muss ich sagen, finde ich die Idee Zentralabitur richtig. Früher war das immer ein Abitur, das der Lehrer selber gemacht hat. Ich kann mir vorstellen, dass es dann schon Niveauunterschiede von Schule zu Schule gab, oder auch von Schulform zu Schulform. Also, dass das zentral gemacht wird, das finde ich schon okay. "

    Natalie Dambowi: " Also ich finde, es wäre besser gewesen, hätte man das so gelassen, also ohne Zentralabitur, weil der Lehrer, der kann einen auch viel besser darauf vorbereiten. Der Lehrer weiß ja, was er stellt, und dann kann er auch gezielt darauf hin vorbereiten. Aber beim Zentralabitur ist ja immer das Problem, dass man vielleicht auch Fragen falsch versteht, gerade Aufgabenstellungen, und der Lehrer versteht sie dann selber nicht mehr, und dann sitzt man da. Ja, jetzt gerade bei meiner Religionsklausur, da war eine Aufgabe, würdige und problematisiere das Thema. Ich weiß nicht, wie das gleichzeitig gehen soll. Das passt nicht in die Aufgabenstellung, selbst wenn's Religion ist. "

    Die Abiturprüfungen sind vorbei. Natalie Dambowi gehört zur zweiten Generation von Schülern in Nordrhein-Westfalen, die ein Zentralabitur gemacht haben. Nicht mehr Natalies Englisch-, Deutsch- und Religions-Lehrer am katholischen Irmgardis-Gymnasium in Köln haben die Prüfungsfragen gestellt, sondern eine zentrale Prüfungskommission in Düsseldorf.

    " Ich finde, gerade diese ganzen Sachen, die vom Zentralabitur gesagt worden, dass es so schrecklich schwer wäre, also ich fand so schwer war's dann doch nicht. "

    Ihre Freundin Felicitas, die Medizin studieren will, hat schlechtere Erfahrungen gemacht - mit dem Mathe-Abitur.

    " In Mathe war es halt so, dass die erste Aufgabe bei uns jetzt total, ich will nicht sagen einfach war, aber jeder kam damit klar, das war das, was wir gemacht hatten und dann in der zweiten Aufgabe kamen dann halt Sachen dran, die ziemlich viele zumindest mir gesagt haben, dass sie das nie gemacht haben im Unterricht. "

    Eine Matheaufgabe viel zu schwer, einige sachliche Fehler in anderen Aufgabenstellungen - Schulleiterin Angelika Ottersbach bedauert die ersten Abiturjahrgänge dafür, dass an ihnen die ersten zentralen Abiturprüfungen in NRW ausprobiert wurden.
    " Letztes Jahr, beim ersten Zentralabi war Mathematik extrem einfach. Und wir haben schon vor einem Jahr gesagt, oh, oh, die arme jetzige Zwölf, das werden die mitkriegen, das war ja immer so ein Herantasten an die Niveaus, und das ist in diesem Jahr, kann man sagen, in das Gegenteil gekippt. Also, dass es wirklich sehr schwer war. Ist natürlich schlimm, wenn man bedenkt, dass es da immer Versuchskaninchen gibt, an deren Leben man bastelt, mit so was. "

    Das Abitur - oder besser - ein gutes Abitur - ist die Eintrittskarte für die Universität. Weil an deutschen Hochschulen sich bereits zwei Studierende einen Studienplatz teilen müssen und der Ansturm in vielen Fächern sonst kaum zu meistern wäre, kanalisieren die Hochschulen den Bewerberstrom mehr und mehr über Zulassungsbeschränkungen. Das sind in den seltensten Fällen Auswahlverfahren, meistens ist es immer noch der gute, alte Numerus clausus - der Notendurchschnitt. Und der dehnt sich mittlerweile längst über klassische NC-Fächer wie Medizin auch auf andere Fachbereiche aus. So nahm zum Beispiel die Uni Freiburg jahrelang nur Abiturienten zum Politikstudium an, die einen Abiturschnitt von 1,6 oder besser hatten. Aber ist ein 1,6er Abitur in Bremen gleichwertig mit einer 1,6 in Passau? Eltern in Bayern fürchten schon seit Jahren, dass ihre Kinder bei der Vergabe von Studienplätzen im Nachteil seien, weil sie härtere Prüfungen ablegen müssten. Peter Meidinger vom Philologenverband, der Bundesvereinigung der Gymnasiallehrer.

    " Das heißt es gibt eine Gerechtigkeitslücke, die Note aus Bayern wird sozusagen nicht so gewertet, wie sie eigentlich gewertet werden müsste. "

    Schließlich sei das bayerische Abitur - ein Zentralabitur, wohlgemerkt - härter als das in anderen Bundesländern. Das lässt sich erstaunlicherweise aber nicht eindeutig belegen. Klaus Klemm, emeritierter Bildungsforscher von der Universität Duisburg-Essen.

    " Es gibt keine Studien dazu, aber es gibt klare Aussagen und klare Belege, dass es in einigen Ländern, und dazu gehören die süddeutschen, insgesamt in den Gymnasien bei den PISA-Studien etwa höhere Durchschnittswerte gibt als in den anderen Ländern. Das ist unstrittig. "

    In den meisten Bundesländern stellten - mit wenigen Ausnahmen - bis vor kurzem fast überall die Lehrer die Abiturfragen. Die treibende Kraft hinter dem neuen "Südabitur", das vor kurzem - noch während der Abiturklausuren - aus der Taufe gehoben wurde, waren die bayerischen Eltern. Sie haben Angst, dass ihre Kinder bei der Studienplatzvergabe benachteiligt werden könnten. Was steckt dahinter? Fünf Bundesländer: Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, wollen eine Art süddeutsches Zentralabitur einführen. Erstmals 2012, und zunächst nur in den Kernfächern Deutsch und Mathe. Aber schon das ist eine Provokation für die Kultusministerkonferenz. Denn zum einen bildet sich hier in den Augen der Kritiker eine Elite-Truppe. Sie besteht aus Bundesländern, die bei PISA im innerdeutschen Vergleich gut abgeschnitten haben. Zum zweiten wirkt ein Zentralabitur wie ein rotes Tuch auf Kultusminister, die ungern Macht abgeben und die zudem noch im Herbst erst versichert haben, dass aus dem Zentralabitur nichts werde, und auch nichts aus einer süddeutschen Vortruppe. Da hatten die Minister gerade ein Sommerloch hinter sich, das von Bundesbildungsministerin Annette Schavan und dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger formidabel gestopft worden war: Mit der Idee eines Zentralabiturs, einmal wieder. Angela Merkel hatte sekundiert und dafür auf ihrem Parteitag Prügel einstecken müssen. Jan-Hendrik Olbertz, Kultusminister von Sachsen-Anhalt, plädierte schon damals dafür, dass einige Länder vorpreschen - ohne die Kultusministerkonferenz einzuschalten.

    " Die Bildungsstandards werden ja erst frühestens zum Schuljahr 2010/11 eingeführt. Wir wollen sie einfach nur in einem zügigeren Tempo einführen und unter den fünf Ländern, wie gesagt, das ist ja diese Initiative, praktisch schon Elemente aus einem solchen gemeinsamen Abitur erproben. Es ist nicht mehr, aber auch nicht weniger. "

    Denn mit der Kultusministerkonferenz ist das Zentralabitur nicht zu machen - sie ist zur Einstimmigkeit verdammt. Statt auf ein Zentralabitur einigten sich die Kultusminister daher bei ihrer Konferenz im Herbst auf so genannte Bildungsstandards. Anders als Lehrpläne, die den Lehrstoff im Detail festlegen, definieren sie Fähigkeiten, die ein Schüler in einem bestimmten Alter erworben haben soll. Für Ernst Rösner vom Institut für Schulentwicklungsforschung in Dortmund reichen diese Standards völlig aus.

    " Wenn in den Ländern, und zwar abgestimmt nach Lernstandards, Abiturprüfungen zentralisiert werden, ist das Zentralismus genug. An der Stelle muss man nicht unbedingt wieder ne neue Sau durchs Dorf treiben. "

    Wozu die Lernstandards gebraucht werden, leuchtet erst einmal nicht ein - immerhin existieren bereits einheitliche Prüfungsstandards für das Abitur - bundesweit. Klaus Klemm erklärt:

    " Bei den Bildungsstandards, da werden Standards formuliert, da gibt es Testbeispiele, Aufgabenbeispiele, und die werden über zentrale, senderübergreifende Lernstandserhebungen kontrolliert, das haben wir bei den einheitlichen Prüfungsanforderungen nicht. Insofern ist da in der Tat ein Fortschritt. "

    Ein Fortschritt, der den meisten Deutschen längst nicht weit genug geht. Drei Viertel würden lieber heute als morgen ein bundesweites Zentralabitur einführen - ein Trend, der auch als eine Antwort auf das mittelmäßige Abschneiden bei der PISA-Studie gelesen werden kann. Und darauf, dass in einer mobilen Gesellschaft mittlerweile immer mehr Eltern abverlangt wird, bundesweit umzuziehen. Für schulpflichtige Kinder kann das den größtmöglichen Störfall bedeuten. Der ehemalige Präsident der Leibniz-Gesellschaft, Hans-Olaf Henkel, machte sich zum Sprachrohr zahlreicher Eltern und Bildungsforscher:

    " Ein Ansatzpunkt wäre zum Beispiel, dass man ein Zentralabitur in den Ländern schafft, das heißt, dass letzten Endes die Leistung sozusagen vorgegeben ist. Spatzen pfeifen es doch schon seit Jahren von den Dächern, dass ein Abitur in München mehr wert ist als in Bremen. Und politisch ist es inkorrekt, darüber zu reden, weil man angeblich das nicht bis auf die letzte Kommastelle beweisen kann. "

    Hans-Olaf Henkel dürfte sich freuen, sind doch seine Anregungen längst umgesetzt worden - auf Länderebene. Kurz nach der Wiedervereinigung hatten bereits Sachsen, Thüringen, Sachsen- Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern das Abitur auf Länderebene wieder eingeführt, das ihnen nach dem Krieg in der sowjetischen Besatzungszone verordnet worden war. Auch im Westen lagen die Anfänge der landesweiten Prüfungen bei den Alliierten. Das Saarland war das erste Bundesland mit Zentralabitur. Alle Schüler in einer Klasse: So überschaubar dürfte es in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nicht zugegangen sein, wo die Alliierten ebenfalls auf das Zentralabitur drängten. Die Rheinland-Pfälzer schafften die zentrale Prüfung nach der Besatzungszeit wieder ab - und sind übrigens die einzigen, die sich bis heute sträuben, ein Zentralabitur auch nur auf Landesebene einzuführen. Doris Ahnen, Kultusministerin in Rheinland-Pfalz:

    " Von einem Zentralabitur, also davon, dass alle Schülerinnen und Schüler zur gleichen Zeit, wenn das überhaupt gehen würde, es gibt ja auch viele organisatorische Probleme, verspreche ich mir keinen Qualitätsgewinn. Die Aufgaben müssen in ihrem Anspruchsniveau vergleichbar sein, aber es muss nicht die gleiche Aufgabe sein. "

    Überhaupt waren und sind es die SPD-regierten Länder, die sich besonders vehement gegen die Einheitsprüfung gewehrt haben.

    Inzwischen schreiben allerdings auch die Bremer Abiturienten ein Zentralabitur, allerdings, wie viele andere Prüflinge auch, nur in einzelnen Fächern. Einen Schwenk hat neben Bremen auch Nordrhein-Westfalen hingelegt. Allerdings in die andere Richtung: Die nordrhein-westfälische Schulministerin Barbara Sommer, CDU, fand noch unlängst, ein "Deutschland-Abitur" sei eine spannende Sache. Mittlerweile gibt sie sich abwartend bis ablehnend. Das könnte daran liegen, dass sie Angst vor einem schlechten Abschneiden der nordrhein-westfälischen Schüler hat - oder aber ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden. Das zumindest treibt Rainer Thelen um, Oberstufenlehrer und stellvertretender Schulleiter am Kölner Irmgardis-Gymnasium.

    " Also ich glaube, dass die Voraussetzungen des Lernens in den Bundesländern sehr unterschiedlich sind. Wenn ich mir das bayerische Landgymnasium und das Kölner Stadtgymnasium vergleichend vorstelle, dann sind da so unterschiedliche Voraussetzungen, dass man das durch gleiche Prüfleistungen allein sicher nicht über einen Kamm scherend objektivieren kann. Das glaube ich nicht. "

    Denn Einheitsprüfungen allein, das zeigt der Blick nach Europa, führen zwar zu mehr Vergleichbarkeit. Aber gerechter müssen sie deshalb noch lange nicht sein, sagt die Bildungsforscherin Katharina Maag Merki von der Pädagogischen Hochschule Freiburg.

    " Die Ungerechtigkeit, die man damit zwar auf der einen Seite beheben kann, weil alle Schüler/Schülerinnen dann die gleichen Anforderungen haben, die ist mit Sicherheit nicht vollständig vom Tisch. Beispielsweise sind die Schüler/Schülerinnen darauf angewiesen, dass sie gut vorbereitet werden. Das heißt, die Gerechtigkeit wäre erst dann wirklich gegeben, wenn alle Vorbereitungen wirklich gut laufen würden. "

    Professor Klaus Klemm argumentiert ähnlich:

    " Ist es denn gerecht, dass wir Schüler dafür bestrafen, dass sie den anerkannt schlechtesten Mathelehrer der Stadt hatten? Ist es denn gerecht, dass wir Schüler gleich beurteilen, die ein haben ein halbes Jahr lang keinen Deutschunterricht gehabt, weil die Lehrerin Mutterschutz hatte oder weil der Lehrer krank war, die anderen haben drei Jahre durchgängig den gleich guten Deutschlehrer gehabt, ist das denn gerechter? "

    Würde man Klemms Kritik in die Praxis umsetzen, müssten die Bundesländer wohl einen "Unterrichtsausfall-Faktor" in die Berechnung der Abitur-Note einfließen lassen - ein groteskes Unterfangen. Selbst die Süd- und Ostländer, die in vier Jahren gemeinsam prüfen wollen, werden alle Mühe haben, sich auf gemeinsame Standards zu einigen. Das fängt bei der Korrektur an: In Baden-Württemberg werden die Aufgaben anonym korrigiert, in Bayern von Fachlehrern der jeweiligen Klasse. Und bei der Vorbereitung hinke schon zwischen diesen beiden Ländern jeder Vergleich, sagt Bildungsforscher Klaus Klemm. Er unterstreicht: Wer wolle, dass in deutschen Schulen das Gleiche zum gleichen Zeitpunkt mit den gleichen Zielen gelehrt werde, der brauche einen Bundeskultusminister.

    Klaus Klemm: " In Baden-Württemberg sieht das Zentralabitur so aus, dass die Schüler, wenn sie in die Gymnasiale Oberstufe eintreten und die Lehrer erfahren, in drei Jahren wird in dem jeweiligen Fach folgende Schwerpunktsetzung sein, in Deutsch ein Drama aus dem Sturm und Drang, ein Gedicht aus dem Expressionismus und eine Erzählung aus der Nachkriegsgeschichte, oder irgend so was. In Bayern steht beim Zentralabitur der gesamte Lehrplan zur Diskussion, das, was in den Lehrplänen für die Oberstufe steht, ist abprüfbar. "

    Bleibt also die entscheidende Frage: Auf welchem Niveau sollten sich zentrale Abiturprüfungen einpendeln? Ist das Südabitur den bayerischen Lehrern und Eltern nur vermittelbar, wenn in Wahrheit das Bayern-Abitur drinsteckt? Peter Meidinger, bayerischer Gymnasiallehrer und Interessenvertreter der Philologen:

    " Was natürlich nicht passieren darf, und die Gefahr sehe ich auch beim Bundeszentralabitur, dass sozusagen sich dann der Leistungsstandard in der Mitte trifft, irgendwo zwischen Bremen und Bayern und Sachsen, wir wollen natürlich, dass der Leistungsstandard, dann nach gegebener Zeit, eher auf der Linie der süddeutschen Länder ist. "

    Die Freiburger Pädagogik-Professorin Katharina Maag Merki könnte ihn beruhigen. Sie untersucht, wie sich die Einführung des Zentralabiturs in Hessen und Bremen ausgewirkt hat.

    " Die Befunde sind zum einen, sicherlich das bestimmte Bedenken, nämlich dass Anforderungen sich absenken könnten, dass die nicht berechtigt waren. Es war weder Überforderung noch Unterforderung, sondern angemessen. Es gibt Hinweise darauf, dass das Lernen gerade in zentral geprüften Kursen durchaus anspruchsvoller und kognitiv aktivierender geworden ist. "

    Aber wer verhindert, dass nur noch prüfungsrelevanter Stoff gepaukt wird? Denn das befürchtet zumindest der Kölner Mathe- und Biologielehrer Rainer Thelen.

    " Meiner Ansicht nach, hat die Vorgabe des Zentralabiturs meinen Beruf etwas uninteressanter gemacht, weil ich nicht mehr so sehr die Möglichkeit habe, auf die einzelnen Kurse einzugehen. Auf die Dinge, die sich im Unterricht entwickeln. In Biologie könnte ich mir zum Beispiel vorstellen, dass bestimmte Fragestellungen etwa der Humangenetik von mir früher sehr viel ausführlicher behandelt worden wären, wenn ich gewusst hätte, du hast da noch genügend Zeit für andere Dinge. Jetzt muss ich ja darauf achten, dass ich den Pflichtkanon in den regulären Unterricht zunächst mal eingebracht habe. Das finde ich, ist ein Problem für mich und dadurch bin ich auf der einen Seite sehr unter Druck gesetzt worden und bin aber auch meiner Möglichkeiten begrenzt worden. "

    Bernhard Saur, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Baden-Württemberg, erlebt das als Lehrer anders.

    " Wenn die Lehrpläne entsprechend klug formuliert sind, dann bedeutet Zentralabitur nicht eine totale Gängelung oder stures Pauken, allerdings schon ein zielgerichtetes Lernen, einen gewissen Grad an Verbindlichkeit. "

    Maag Merki: " Es gibt Anhaltspunkte, dass durchaus vermehrt auch geschaut wird, was ist abiturrelevant. Es gibt Tendenzen, dass bestimmte Schüler/Schülerinneninteressen weniger berücksichtigt werden. Es hat sich aber auch gezeigt, dass das vor allem mit dem Unsicherheitserleben der Lehrperson zusammen hängt. "

    sagt die Freiburger Pädagogik-Professorin Katharina Maag Merki. Angelika Ottersbach aus Köln hat ihre Dreizehner sorgfältig präpariert. Dennoch fühlt sie sich gestresster als vor den hausinternen Prüfungen - und das nicht nur, weil sie als Schulleiterin vorher bergeweise streng geheime Prüfungsbögen kopieren und an einem Ort verstecken musste, der bis heute ihr Geheimnis bleibt:

    " Das sag ich nicht... das ist natürlich auch ein Schritt, dass dann wenn man das alles kuvertiert hat, dass man dann denkt: Wohin mit der Freude? Aber das muss ja auch sichergestellt sein. Was bleibt, ist schon Nerven, weil man denkt: mein Gott, hast Du auch wirklich die Schüler vorbereitet, können die alles, das ist ja nicht nur der Stoff, sondern das ist ja sogar auch die Formulierung der Aufgaben. Hast Du mit denen alles geübt, was wirklich vorkommt. "

    Unsicherheiten, die auch Natalie Dambowi nervös gemacht haben:

    " Ja, auf jeden Fall. Aber das kam durch die Lehrer, weil die selber nicht wussten, und die haben dann ihre Nervosität auf uns übertragen. "

    Doch egal, welche Zensuren die Kölner Abiturienten bei den Abiklausuren erhält: Sie machen nur ein Viertel der gesamten Abi-Note aus. Der Rest setzt sich zusammen aus den Vornoten, die in der 12. und 13. Klasse auf dem Zeugnis standen. Außerdem sehen die meisten Länder mündliche Ausgleichsprüfungen vor, wenn die Zensur beim Abitur zu sehr abweicht vom Durchschnitt der vergangenen beiden Jahre - eine Art Nervositätsbonus. Den haben die Lehrer nicht. Angespannt sind viele unter ihnen auch deshalb, weil sie das Gefühl haben, von Baustelle zu Baustelle geschickt zu werden. Klaus Klemm:

    " Ich sehe die große Problematik, dass das hineinfällt in eine Zeit, in der die Gymnasien in den Ländern, die von neun auf acht umstellen, große Schwierigkeiten haben, das noch rein zu kriegen, weil sie ja praktisch Ganztagsunterricht am halben Tag machen müssen, weil sie mit den Stunden nicht mehr hinkommen, weil die Kinder die sieben bis acht Stunden unterrichtet werden und völlig übermüdet sind, weil sie keine Ganztagsangebote haben etc. etc. Meine Kritik bezieht sich nicht auf das grundsätzliche Ziel, sondern auf die Hektik, mit der das jetzt auf einmal passiert in einer starken Umbruchslandschaft. "

    Sollte das Südabitur in vier Jahren eine Sogwirkung entfalten, so könnte ein bundesweites Zentralabitur an einem ganz banalen Stolperstein scheitern: den Ferien. Die Nordrhein-Westfalen werden normalerweise früh in die Sommerferien geschickt, die Bayern traditionell sehr spät. Bei einem Zentralabitur würden alle am gleichen Tag gen Süden aufbrechen. Doch den Streit müssten die Kultusminister dann mit der Tourismusindustrie austragen - und mit den Eltern, die bei aller Liebe zu Zentralklausuren doch lieber nicht im Ferienstau stehen.