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Erst die Auslieferung der Kriegsverbrecher

Angesichts der nahenden Parlamentswahlen in Serbien und der drohenden Machtübernahme der Nationalisten erwägt die EU, dem Land das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen anzubieten. Doch dagegen sperren sich vor allem die Niederlande, die zuerst eine Auslieferung der beiden Kriegsverbrecher Mladic und Karadzic fordern. Aus Den Haag berichtet Kerstin Schweighöfer:

    Gerichtssaal 1 im Haager Jugoslawientribunal. Der vorsitzende Richter erteilt Vojislav Seselj das Wort: Der serbische Nationalist ist bekannt für seine Hasstiraden und immer noch Chef der Radikalen Serbischen Partei SRS. Auch an diesem Vormittag ist Seselj in Topform: So bezeichnet er den 2003 ermordeten serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic als Mafia-Boss.
    Seselj ist der prominentste der insgesamt 25 mutmaßlichen Kriegsverbrecher, die sich derzeit vor dem UN-Sondergericht verantworten müssen. Vier Angeklagte allerdings sind nach wie vor auf freiem Fuß, darunter Serbenführer Radovan Karadzic und sein General Ratko Mladic.

    Ihre Auslieferung sei von "kritischer Wichtigkeit", betonte der neue Chefankläger in Den Haag Serge Brammertz letzte Woche noch bei seinem ersten offiziellen Besuch in Belgrad. Zu politischen Entscheidungen darf sich das Tribunal als juristisches Institut zwar nicht äußern. Aber dass die niederländische Regierung die Auslieferung von Mladic und Karadzic zur Bedingung für den EU-Beitritt Serbiens gemacht hat, das kann Brammertz nur begrüßen.

    Genau dazu hat seine Vorgängerin Carla del Ponte die EU immer wieder aufgerufen. Die Zeit dränge, schon 2010, so del Ponte, müsse das Tribunal seine Pforten schließen:

    "Ohne Karadzic und Mladic dieses Tribunal zu schließen, das ist ein Versagen. Wir müssen das verhindern für die internationale Justiz, wir müssen das verhindern für die Opfer!"

    Der Verhandlungsstopp über die Beitrittsverhandlungen mit Serbien, so hatte del Ponte noch im letzten Jahr in einem Brief an die EU gefordert, dürfe keinesfalls aufgehoben werden. Dieses Ziel hat del Ponte zwar nicht erreicht. Aber zusammen mit Belgien hat die niederländische Regierung zumindest dafür gesorgt, dass das Beitrittsverfahren abgebremst wurde.

    Die anderen EU-Außenminister setzen ihren niederländischen Kollegen Maxime Verhagen deswegen zunehmend unter Druck: Sie fürchten, diese starre Haltung könne dazu führen, dass bei den Wahlen in Serbien am 11. Mai die nationalistischen europafeindlichen Parteien wie Seseljs SRS gewinnen.

    "Verhagen ist härter als Carrera-Marmor", hieß es beim letzten EU-Außenministertreffen im slowenischen Brdo. Verhagen ließ sich davon nicht beeindrucken: "Ich stehe offen für alle kreativen Lösungen", sagte er. Aber am Prinzip dürfe nicht gerüttelt werden:

    "Ich bin nicht Politiker geworden, um meine Prinzipien zu verramschen. Serbien kann schon morgen EU-Mitglied werden, ich gebe dafür umgehend meine Unterschrift - vorausgesetzt, alle Kriterien werden erfüllt, und dazu gehört die Auslieferung von Karadzic und Mladic. Aber das hängt nicht von mir ab, sondern von den Serben!"

    Aus rein altruistischen Motiven allerdings, wie Mitgefühl für die Angehörigen der Opfer, handelt Verhagen nicht. Immerhin hat das Jugoslawientribunal Den Haag den Titel "Welthauptstadt für Frieden und Gerechtigkeit" eingebracht. Dieses Image muss gepflegt werden, denn darauf sind die Niederländer stolz, so wie diese ältere Dame:

    "Bravo! Gut, dass Verhagen in Brüssel auf die Bremse getreten ist! Irgendwann muss man Stellung beziehen und sagen: Bis hier und nicht weiter. Erst Karadzic und Mladic und dann Europa!"

    Zweitens darf das "Trauma von Srebrenica" nicht vergessen werden: 1995 mussten niederländische Blauhelme mit ansehen, wie die Serben unter dem Kommando von Mladic mehr als 7000 moslemische Jungen und Männer abführten und ermordeten. Für viele Niederländer ist es wichtig, dass Verhagen auf der Auslieferung von Mladic beharrt.
    Drittens kann die niederländische Regierung so etwas an der Euroskepsis der Wähler tun und niederländisches Gewicht in Brüssel geltend machen. Nicht umsonst, so Verhagen, haben beim Referendum über die europäische Verfassung vor drei Jahren fast 64 Prozent aller Niederländer "nee" gesagt:

    "Es geht um Glaubwürdigkeit. Ich habe immer gesagt, dass ich den EU-Beitritt Serbiens von der Auslieferung von Mladic und Karadzic abhängig mache. Und Worte müssen auch zu Taten führen."