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Erst die Muslime, jetzt alle Ausländer

Das Unbehagen vieler Schweizer gegenüber Minaretten hat die Volksabstimmung vor zehn Tagen so richtig offenbart. Nun herrscht bei sämtlichen Schweizer Parteien dieser Tage Sprach- und Ratlosigkeit. Ausnahme: Schweizerische Volkspartei SVP, die die Minarett-Abstimmung initiiert hat. Berauscht von ihrem vorläufigen Erfolg fordert sie jetzt, in der gesamten Ausländerpolitik die Zügel anzuziehen.

Von Pascal Lechler | 08.12.2009
    Die rechtskonservative SVP und andere rechte Gruppierungen in der Schweiz wittern Morgenluft. Erst gegen die Muslime - jetzt gegen die vielen ausländischen Arbeitnehmer aus der EU. Zur sogenannten Personenfreizügigkeitsabkommen beispielsweise soll es auf Wunsch der SVP schon bald eine Sondersitzung im Parlament geben. Dieses Abkommen hat vor zwei Jahren die Grenzen des Schweizer Arbeitsmarktes für ausländische Jobsuchende gerade auch für viele Deutsche weit geöffnet. Jetzt will es die SVP kündigen. Beifall bekommt die SVP beispielsweise von der rechten Protestbewegung, Mouvement Citoyen Genevois, kurz MCG. Diese Partei ist mit ihrem ständigen Wettern gegen französische Arbeitnehmer zu Genfs politischer Kraft Nummer zwei aufgestiegen. Eine Kündigung der Personenfreizügigkeit würde Eric Stauffer vom MCG klar unterstützen:

    "Weil der Arbeitsmarkt aus dem Gleichgewicht gekommen ist. Es gibt immer mehr Genfer, immer mehr Schweizer, die außen vor bleiben und keinen Job bekommen. Der Grund ist nicht einmal Lohndumping sondern eher so etwas wie ein Wissens-Dumping. Und wir als Schweizer haben keine Waffen, um gegen diese europäische Konkurrenz anzukämpfen."

    Auch die Schweizer Demokraten, eine kleine rechte Splittergruppe, haben der SVP im Falle eines Kampfes gegen die Personenfreizügigkeit bereits ihre Unterstützung zugesagt. Schulterschluss am rechten Rand der auch die bürgerlichen Parteien unter Zugzwang bringt. Der Parteivorsitzende der christlichen CVP, Christoph Darbellay blies in der vergangenen Woche bereits kräftig ins populistische Horn. Bereits vor der Minarettabstimmung hatte der Christdemokrat die Anwendung der sogenannten Ventilklausel gefordert. Mit der Ventilklausel kann die Schweizer Regierung, der Bundesrat, den Zuzug ausländischer Arbeitskräften mittels Kontingenten begrenzen. Jetzt soll die Ventilklausel im kommenden Frühjahr geprüft werden, kündigte der Bundesrat am vergangenen Freitag an - wohl als Reaktion auf die Minarettabstimmung. Das sei zu spät, findet der Vize-Präsident der Genfer SVP und Nationalrat Yves Nidegger:

    "Heute, wo die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit für alle sichtbar sind, hat sich ein Meinungsumschwung vollzogen. Die SVP kommt jetzt, auf der Grundlage dieser Bilanz der Öffnung der Grenzen zu dem Schluss, dass wir nein sagen müssen. Als man noch hätte reagieren können, und Vorsichtsmaßnahmen wie die Ventilklausel hätte ergreifen können, hat man nichts gemacht. Und jetzt, wo sich die Situation verschlechtert hat, was die Sozialkosten angeht, muss man nein zur Personenfreizügigkeit sagen."

    In der Tat kommen trotz Wirtschaftskrise immer noch mehr ausländische Arbeitskräfte ins Land als wieder wegziehen. Doch die Zuzugszahlen sind rückläufig und liegen unter dem Schnitt der vergangenen Jahre. Deshalb bezeichnen die Sozialdemokraten, die SP, die ganze Diskussion über die Personenfreizügigkeit und die Anwendung der Ventilklausel auch von symbolischer Gestikuliererei. Die SP fordert seit Jahren gebetsmühlenhaft Mindestlöhne - um so die Gefahr von Lohndumping durch billige Arbeitskräfte aus der EU zu begrenzen. Das ist aber ungefähr die einzige Antwort, die man im Linken Spektrum der Schweiz auf das Aufkeimen ausländerfeindlicher Strömungen hat. Dass jetzt alle in der Schweiz den Rechten nach dem Mund reden, findet Nationalrätin Maria Roth-Bernasconi bedenklich:

    "Ja ich finde es problematisch - reaktionären Gedankengut."

    Spannend dürfte jetzt sein, wie die SVP und auch die bürgerliche CVP, ihrer Wirtschaftsklientel erklären werden, weshalb die Personenfreizügigkeit eingeschränkt werden muss. Die Wirtschaftsverbände der Schweiz haben sich in den vergangene Tagen nämlich klar für eine Beibehaltung der offenen Grenzen für Arbeitnehmer aus der EU ausgesprochen.