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Erst die Schule, dann das Studiumsvergnügen

Wenn andere sich nachmittags mit Freunden treffen, gehen sie zur Uni: Früh-oder Juniorstudenten. Die Leibniz-Universität Hannover hat vor zwölf Jahren das Juniorstudium eingeführt - für Schüler, aber zum Beispiel auch für Freiwilligendienstleistende.

Von Martina Witt | 12.11.2011
    Es ist Viertel nach Vier – die Übung Grundlagen der Elektrotechnik Eins hat gerade begonnen. Rund 60 Studierende brüten über Widerstände, Volt und Ampere. Einer von ihnen ist der 17-jährige Gymnasiast Nicolai Behmann:

    "Also jetzt versuchen wir zu berechnen, wie groß der Widerstand einer Glühlampe ist, wenn wir sie einschalten bei Zimmertemperatur. Und wir haben nur gegeben, wie groß der Widerstand ist bei der Betriebstemperatur und den Temperaturkoeffizienten für Wolfram bei Zimmertemperatur."
    Nicolai Behmann geht in die 12. Klasse des Gymnasiums Goetheschule in Hannover. Er ist einer von derzeit rund 50 Juniorstudenten. In diesem Semester belegt er zwei Module im Fach Elektrotechnik - das bedeutet sechs Veranstaltungen je anderthalb Stunden. Und das neben dem normalen Schulalltag:

    "Heute Morgen um sechs Uhr aufgestanden, um acht Uhr in der Schule gewesen und hab erst mal eine Klausur geschrieben. Ja, lief eigentlich ganz gut. Dann hatte ich heute fünf oder sechs – sechs Stunden Schule, bis kurz vor drei oder so. Dann fahr ich nach der Schule noch was Essen und dann direkt zur Uni zur Vorlesung oder Hörsaalübung oder was auch immer anliegt. Es gibt aber auch Module, die liegen während der Schulzeit. Da muss ich dann immer schauen, ob ich eine Woche mal in den Unterricht gehe und eine Woche zur Uni, weil ich von der Schule eine Generalschulbefreiung sozusagen bekommen habe und die mich unterstützen, dass ich dieses Juniorstudium mache."
    Die Leibniz-Uni Hannover hatte das Juniorstudium ursprünglich ins Leben gerufen, um die Anfängerzahlen vor allem in den naturwissenschaftlichen Fächern zu steigern. Die Jugendlichen sollten schon sehr früh an die Uni herangeführt werden, sagt Florian Leydecker, wissenschaftlicher Leiter von UniKIK – der Einrichtung, die für die Kooperation zwischen Schule und Universität zuständig ist.

    "Sie lernen überhaupt erst mal kennen, was es heißt, zu studieren; wie studiert man. Sie lernen aber auch die Fachinhalte kennen; lernen was es bedeutet Maschinenbau zu studieren. Denn viele Schülerinnen und Schüler haben ganz falsche Fachvorstellungen."

    Die Jugendlichen können aus allen Fachgebieten Einführungsveranstaltungen und Grundlagevorlesungen wählen - nicht nur aus den Naturwissenschaften. So haben sie die Möglichkeit, schon vor dem eigentlichen Studienbeginn herauszufinden, ob das Fach etwas für sie ist.
    "Was man bei uns auch machen kann, ist, dass man in den meisten Vorlesungen auch die Klausuren mitschreiben kann. Das heißt, die Schüler können schon erleben, was es bedeutet, die Abschlussarbeit zu schreiben. Das Tollste ist, wenn sie diese Klausur dann bestanden haben, können sie sich das dann bei einem späteren Studium in Hannover anrechnen lassen. Das heißt, sie müssen diese Vorlesung dann nicht mehr hören."

    Unterstützung bekommen die Uni-Neulinge von den Mitarbeiten von UniKIK: etwa bei der Anmeldung zu Prüfungen, bei der Nutzung von Onlineportalen und natürlich auch, wenn sie mit der Doppelbelastung von Uni und Schule nicht mehr klarkommen. Der deutliche Rat: Schule geht vor. Die meisten Schüler wissen aber worauf sie sich einlassen, sagt Ralf Mahler, Leiter der zentralen Studienberatung.

    "Und es kommt ja auch nicht jeder Schüler, jede Schülerin zu uns, sondern die, die wirklich fachliches Interesse haben und auch wirklich nicht zu den schlechtesten Schülern in ihrer Klasse zählen. Meistens sind es eher hervorragende Schüler, die dann mit diesen Doppelanforderungen auch klarkommen. Die haben sich ja überlegt, Mensch ich habe noch Zeit, und möchte etwas dazu machen."
    So wie Nicolai Behmann. Er hat in der Schule einen Notendurchschnitt von 1,0 und das ohne Mühe: Deshalb will er in diesem und im nächsten Semester noch vier Prüfungen an der Uni ablegen. So kann er sein Bachelorstudium um ein Jahr verkürzen. Dass er deshalb weniger Zeit für seine Freunde hat, stört ihn nicht:

    "Die sieht man dann in der Schule immer jeden Tag, vielleicht auch zehn Minuten zwischen Schule und Uni oder man geht in der Mittagspause mal kurz in die Uni-Mensa. Und so sieht man die doch immer."

    Die älteren Kommilitonen machen sich aber ein bisschen Sorgen um den zeitlichen Stress ihrer jungen Sitznachbarn.

    "An sich spricht da ja nichts gegen, wenn sie da Spaß dran haben, aber ich finde das Sozialleben sollte nicht dadurch in den Hintergrund rutschen. Den Schülern wird sehr, sehr viel Zeit genommen und ich glaube, dass es nicht unbedingt das Beste ist, was ein Schüler in seiner Freizeit machen könnte."
    Die Elektrotechnik-Übung endet für Nicolai Behmann an diesem Nachmittag ein paar Minuten früher. Der 17-Jährige ist zufrieden.

    "Also bis auf die eine Aufgabe war eigentlich alles einfach."

    Der Gymnasiast packt schnell seine Sachen zusammen - er muss noch einmal zurück zur Schule. Dort hat er die Tontechnik für Theaterprojekte übernommen. Zu Hause wird er heute wahrscheinlich erst gegen 21 Uhr sein. Und dann warten noch die Hausaufgaben.