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Erst wecken, dann eliminieren

Medizin. - Antibiotika brachten der Medizin eine Revolution im Kampf gegen Infektionen. Doch die allgegenwärtigen Gegner sind flexibel und lernen schnell sich anzupassen. Um auch ruhende Erreger angreifen zu können, lassen sich Wissenschaftler raffinierte Tricks einfallen.

Von Michael Gessat | 22.04.2008
    "Resistere" ist lateinisch für "sich widersetzen". Und "Persistere" heißt "bestehen bleiben". Bei Bakterien stehen die beiden Begriffe für zwei ganz verschiedene Spielarten der Hartnäckigkeit. Resistenz bedeutet, dass im Erbgut des Bakteriums eine Mutation auftritt, die es umempfindlich gegen Antibiotika macht. Persistent nennt man dagegen Bakterien, die ohne genetische Veränderung negative Umwelteinflüsse, also auch Antibiotika überstehen, zumindest eine Zeit lang. Nathalie Balaban von der Hebrew University in Jerusalem:

    "Wenn genug Futter da ist, wachsen Bakterienkulturen exponentiell, und irgendwann haben sie die Nährstoffe aufgebraucht. Und dann stoppen sie das Wachstum, die Teilung: Sie wechseln in die so genannte stationäre Phase. Sobald man dann wieder frische Nährstoffe zugibt, beginnen sie wieder zu wachsen, die allermeisten jedenfalls. Mit Ausnahme dieser persistenten Bakterien: Die bleiben trotz der neuen Nahrung in einer Art Schlafzustand, das glaubte man bislang jedenfalls. Und solange sie schlafen und nicht wachsen, können Antibiotika ihnen nichts anhaben."

    Das äußerliche Verhalten von Bakterien lässt sich unter dem Mikroskop relativ problemlos beobachten: Ob einzelne Zellen sich teilen oder nicht, ob sie Antibiotika überleben oder nicht, ob sie also persistent sind oder nicht. Nathalie Balaban und ihren Kollegen gelang es, gleichzeitig auch das innere Verhalten, die Stoffwechselaktivität sichtbar machen: Die Forscher schleusten dazu ein Gen in das Erbgut ihrer Versuchsobjekte vom Typ E. coli ein. Dieses Gen lässt sich durch eine chemische Substanz gezielt einschalten und produziert dann ein fluoreszierendes Protein: Mit anderen Worten: Bakterien mit aktivem Stoffwechsel beginnen quasi auf Knopfdruck zu leuchten, schlafende bleiben dunkel. Aber überraschenderweise leuchteten auch die persistenten Erreger für eine Weile:

    "Wenn wir die Bakterien aus der stationären Phase genommen und ihnen frische Nahrung gegeben haben, dann gab es ein Zeitfenster von ungefähr anderthalb Stunden, in dem auch die persistenten ganz normal waren: Auch sie reagieren auf das externe Signal. Aber anstatt so weiterzumachen und wie der Rest zu wachsen, fahren sie aus irgendwelchen Gründen ihren Stoffwechsel komplett herunter und kehren in den vollständigen Schlafzustand zurück. Wenn man aber diesen Zeitraum abwartet, und ihnen erst danach das Signal zur Produktion des fluoreszierenden Proteins gibt, dann reagieren sie nicht mehr darauf."

    Das gleiche Zeitfenster, fand Balaban heraus, zeigt sich auch bei der Empfindlichkeit auf Antibiotika: Gaben die Forscher das Zellgift gleichzeitig mit der frischen Nahrung, dann blieben wenige persistente Bakterien übrig. Gaben sie es erst anderthalb Stunden später, überlebten gleich zehnmal so viel. Die neuentdeckte kurze Phase mit aktivem Stoffwechsel also ist die Achillesferse der Persistenz-Strategie. Und das könnte man sich auch bei einer Infektion im menschlichen Körper zunutze machen, sagt Balaban:

    "Es wäre sehr interessant, wenn man Wege fände, die persistenten Erreger genau gleichzeitig mit einer Antibiotikabehandlung aufzuwecken. Man könnte zum Beispiel etwas machen, was dem Patienten normalerweise nicht gut tut: Ganz kurz etwas Magnesium oder Eisen verabreichen, zusammen mit den Antibiotika."

    Die würden dann viel effizienter unter den wachgerüttelten persistenten Bakterien aufräumen als beim üblichen ungezielten Dauereinsatz. Und das hätte noch einen weiteren Vorteil:

    "Ich denke, es ist ziemlich naheliegend, dass viele der resistenten Bakterien deshalb resistent werden können, weil sie zuerst Teil der persistenten Subpopulation sind und dadurch viel mehr Zeit haben, sich anzupassen."

    Mit den persistenten Erregern fertigzuwerden, sagt Balaban, könnte also der erste Schritt sein, die Entwicklung von resistenten Bakterien gar nicht erst zuzulassen.