Müller: Vor 50 Jahren wurde der Mount Everest zum ersten Mal bestiegen. Das weltweite Interesse an der Expedition 1953 war enorm. Alle großen Medien hielten ihr Publikum täglich auf dem Laufenden. Wird es wohl diesmal gelingen, das Dach der Welt auf 8850 Metern zu erreichen, geht nicht nur ein Bergsteigertraum endlich in Erfüllung. Darüber haben wir vor der Sendung mit einem Mann geredet, der wohl wie kein zweiter die Entwicklung des Höhenbergsteigens mitgestaltet und mitgeprägt hat, Reinhold Messner. Der Südtiroler stand als erster Mensch auf allen 14 Achttausendergipfeln. War der Gipfelerfolg von 1953 für die Bergsteigerwelt so etwas wie der Flug zum Mond?
Messner: Ja, so könnte man es ausdrücken. Ich würde es noch besser vergleichen mit den beiden anderen Polen, also die beiden klassischen Pole, Süd- und Nordpol, wurden zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts erreicht, und der Everest war dann der dritte Pol, auch in Ermangelung anderer nicht erreichter Ziele. Also beim Everest ging es um mehr als um das Bergsteigen. Es ging um die geografische Eroberung des letzten unerreichten wichtigen Punktes auf dieser Erde. Es ist eine Sternstunde des Alpinismus und gleichzeitig der letzte Schritt nach oben zu diesen unerreichten Punkten.
Müller: Dann war das auch so etwas die das letzte Ziel, was zu erreichen war?
Messner: Richtig. Es gab dann noch ein paar andere Achttausender, aber die waren nicht so groß. Sie spielten nicht die Rolle im allgemeinen Bewusstsein, also der Mann auf der Straße hat nur wahrgenommen, der höchste Berg der Welt ist auch bestiegen so wie vorher der Südpol und der Nordpol und später der Mond erreicht worden ist, während die anderen bergsteigerischen Ziele zum Teil schwieriger zu erreichen waren, weil die Wände schwieriger waren oder Hindernisse im Weg standen, die nicht leicht überwindbar waren. Die gingen in der breiten Öffentlichkeit unter.
Müller: Wie groß war denn die bergsteigerische Leistung der beiden?
Messner: Man hat ja am Beginn, in den 20er und 30er Jahren versucht, den Everest vom Norden her zu besteigen, denn Nepal im Süden des Mount Everest war ein kleines geschlossenes Königreich. Da durfte niemand hinein. Tibet hat die Engländer hineingelassen, und sie haben es dort versucht, sind immer gescheitert. In den 50er Jahren dann hat man vom Süden her, ein paar Amerikaner, ein paar Engländer und Neuseeländer haben die ersten Schritte getan. Dann kam eine Schweizer Expedition, und diese Schweizer Expedition hat im Grunde die Voraussetzungen geschaffen, dass es überhaupt bis in Gipfelnähe ging, und dann im Frühling 2003 haben die Engländer alles drangesetzt, um den Everest zu packen, denn es war ja ihr Berg, es war die letzte Möglichkeit zu zeigen, dass sie im Grunde die Eroberernation sind, und sie hatten eine Art Vorrecht auf den Everest durch diese vielen Versuche aus den 20er und 30er Jahren.
Müller: 8.600 Meter; der Everest ist 8.850 Meter. Warum sind die letzten 250 Meter denn so schwierig?
Messner: In den 20er Jahren gelang es ein Mal, bei einer Expedition zwei Seilschaften, bis knapp 8.600 Meter zu kommen. Die erste Seilschaft war angeführt vom Norden, dabei war Somerwell. Die beiden sind gestiegen und gestiegen ohne Maske und blieben bei knapp 8.600 Meter hängen. Das heißt, damals entstand auch dieses Bild, höher geht es nicht ohne Maske. Sie müssen sich vorstellen, die haben in der letzten Strecke 30 Höhenmeter pro Stunde gemacht, 300 Höhenmeter fehlten noch. Die hätten für die letzten 300 Höhenmeter zehn Stunden gebraucht, und das war ja schon weit Nachmittag, also wäre man in die Nacht gekommen und erfroren. Die zweite Seilschaft, die es 1924 versucht hat, bestand aus Mallory, das war der Feuergeist dieser Expedition, und Irvine. Die blieben stecken am second step, das ist eine Steilstufe, und diese Steilstufe war klettertechnisch so schwierig, dass sie 1924 nicht zu meistern war. Auf einer Route haben die Kletterschwierigkeiten den Halt provoziert, bei der anderen Versuchsmöglichkeit lag es eben am mangelnden Sauerstoff. Das heißt, am Ende blieb man immer stecken, und da entstand eben dieses Vorurteil - heute wissen wir, es ist ein Vorurteil -, der Mount Everest ist für den Menschen nicht zugänglich, das ist nicht möglich, so wie sich vor Hundert Jahren auch niemand vorstellen konnte, dass der Mensch zum Mond reist, und trotzdem wurde es möglich.
Müller: Es gibt noch ein anderes Datum in diesem Jahr. Vor 25 Jahren, also 1978 ist es Ihnen zusammen mit Ihrem Bergsteigerkollegen Peter Habeler gelungen, den Everest ohne künstlichen Sauerstoff zu besteigen. War das die wirkliche saubere, faire Erstbesteigung?
Messner: Es war eine faire Besteigung. Wir waren damals noch in einer großen Expedition. Ich habe ja zwei Jahre später den Everest ganz alleine bestiegen. Das war wirklich die sauberste Besteigung, die man sich vorstellen kann. Aber die erste Besteigung ist die von Hillary und Tenzing und nicht die unsere. Wir haben noch einmal etwas tun können, wofür es im Vorfeld keine Erfahrungen gab, das heißt, der Mensch wusste nicht, und zwar weltweit nicht, wie er da oben ohne Maske reagiert, und das war eine Herausforderung, die 25 Jahre nach der Erstbesteigung, nach vielen anderen Erfolgen, zum Beispiel die schwierigen Wände, Südwestwand, Westwand, denkbar wurde und die uns gelungen ist. Für mich waren die Engländer, die es in den 20er Jahren bis hoch hinauf ohne Maske geschafft haben, im Großen und Ganzen die treibenden Kräfte. Ich habe mal gesagt, wenn die Engländer mit ihren Wickel-Gamaschen und ihren normalen Tweed-Jackets bis auf 8.600 Meter gekommen sind, warum sollten wir nicht mit einer viel besseren Ausrüstung, mit mehr Know-how höher hinaufkommen? Und das war dann auch so. Wir haben eines der letzten Tabus vom Dach der Welt geholt. Es hat zwar nicht Schule gemacht, aber ist seit damals eben klar, alle Berge der Welt sind ohne Maske kletterbar.
Müller: Waren Sie bei der 78er Expedition hin und wieder an dem Punkt angelangt, kurz vor dem Gipfel zu sagen, wir schaffen das nicht?
Messner: Also 1978 haben wir sowieso den ersten Versuch aufgegeben. Da gab es einen fürchterlichen Sturm, der uns zurückgetrieben hat. Beim letzten Versuch waren wir zögerlich bis zum Gipfel, das heißt, wir wurden nach oben hinauf viel zu langsam. Damit entstand eine Art Hoffnungslosigkeit. Beim Gipfelgrat - Sie müssen sich vorstellen, das ist ein ziemlich scharfer Grat mit großen Wächten, klettertechnisch nicht besonders schwierig - wuchs das Ganze für uns in den Himmel. Je langsamer wir wurden, um so größer wurde für uns dieser letzte Gipfelgrat, das letzte Stück, und da hatte ich einfach das Gefühl, das ist zu weit, das ist nicht möglich, da brauchen wir ewig bis zum Gipfel und zurück. Aber ich hatte mir im Vorfeld vorgestellt, dass es so sein würde, und ich wusste, 50 Höhenmeter, auch wenn ich dafür eine Stunde brauche, sind zurückzulegen, Schritt für Schritt, Rastpause und wieder einen Schritt, wenn ich eben die Ausdauer habe, bis zum Ende durchzuhalten.
Müller: Der Everest-Gipfel ist ja die höchste Spitze der sogenannten Todeszone. Konnten Sie auf dem Gipfel, endlich geschafft nach diesen Strapazen, denken?
Messner: Denken insofern, dass ich noch ein paar Bilder gemacht habe. Ich habe auch einen Tonband mit rudimentären Sätzen besprochen. Aber wenn Sie da oben ganz alleine sind, dann sind Sie wirklich wie im Weltall, einfach draußen, verloren. Da oben ist alles sehr knapp, nicht nur der Sauerstoff, sondern auch die Zeit, die Kraft, die Hoffnung, und deswegen will man nichts wie hinunter. Die eigentliche Freude, dieses Aufatmen und Durchatmen - das ist dann wirklich wie eine Wiedergeburt - kommt erst nachher, wenn wir zurück sind zu den Kameraden, zurück im Basislager.
Müller: Blicken wir noch einmal auch auf die allerjüngste Entwicklung am Everest. Alleine 20 Expeditionsteams haben sich für diese Jubiläumssaison angemeldet. Am 23. Mai 2001 fast 90 Bergsteiger auf dem Gipfel. Abschätzig wird dies von vielen Bergsteigern als Höhenweg im Freizeitpark bezeichnet. Ist da was dran?
Messner: Ja, das ist so. Der Everest ist heute im Reisebüro buchbar. Dafür ist natürlich eine große Vorarbeit notwendig. Das machen die Sherpas, die Einheimischen, die haben den Tag im Griff. Sie müssen sich vorstellen, ein Einbeiniger, ein Blinder sind auf den Everest gestiegen, für die ich großen Respekt empfinde, aber Sie müssen sich vorstellen, wie man einen Berg für einen Blinden präparieren muss, dass er da hinaufgebracht werden kann, und in diesem Angebot an aufstiegspräparierter Route steigen halt viele auf den Gipfel. Das Schlimme ist nicht, dass viele Leute auf den Everest-Gipfel steigen, das Schlimme ist, dass man die Verantwortung für den Berg im Basislager an die Führung abgibt. Man bucht alles inklusive, also Animation, Versicherung, Infrastruktur, Händchen halten. Aber das Bergsteigen hat mit Selbstverantwortung zu tun, das heißt, ich erlebe ja diese Zweifel und diese Ängste nur, wenn ich die Verantwortung für mich selber habe, wenn ich dauernd auf der Hut bin und aufpasse, dass nichts passiert. Aber wenn ich das alles abgebe an eine Gruppe von Leuten, die mir eine Dienstleistung garantieren und mich auf den Gipfel bringen, dann habe ich von diesem Gipfel nicht viel. Deswegen sage ich, dieser Aufstieg ist heute präpariert, die Werte sind auf den Kopf gestellt worden und der Everest als Fluchtpunkt der letzten menschlichen Eitelkeiten ist sozusagen ein Prestigeziel, das man in den langen Ferien angeht, weil man sich diesen Erfolg "Everest bestiegen" ans Revers heften will, aber ein eigener bestiegener Siebentausender oder Sechstausender ist wertvoller als Erfahrung als dieser gekaufte Everest.
Müller: 1996 war die große Katastrophe. Acht Tote, zwei Expeditionsleiter, zwei renommierte, etablierte Bergführer sind dabei auch ums Leben gekommen, weil sie offenbar unverantwortlich gehandelt haben. War das ein Warnschuss an die kommerziellen Anbieter?
Messner: Es war ein Warnschuss, aber niemand hat ihn wahrgenommen. Für mich war die Hoffnung vorhanden, dass nach der Katastrophe 96 mit dem Tod von Scott Fischer und Rob Hole, die wirklich exzellente Organisatoren und Bergführer waren, jetzt das Ganze aufhört, dass man diesen Humbug nicht mehr weiterbetreibt. Aber heute mehr den je steigen die Leute da hinauf und zeigen, ich habe dort überlebt, wo diese Tragödie passiert ist.
Müller: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio
Messner: Ja, so könnte man es ausdrücken. Ich würde es noch besser vergleichen mit den beiden anderen Polen, also die beiden klassischen Pole, Süd- und Nordpol, wurden zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts erreicht, und der Everest war dann der dritte Pol, auch in Ermangelung anderer nicht erreichter Ziele. Also beim Everest ging es um mehr als um das Bergsteigen. Es ging um die geografische Eroberung des letzten unerreichten wichtigen Punktes auf dieser Erde. Es ist eine Sternstunde des Alpinismus und gleichzeitig der letzte Schritt nach oben zu diesen unerreichten Punkten.
Müller: Dann war das auch so etwas die das letzte Ziel, was zu erreichen war?
Messner: Richtig. Es gab dann noch ein paar andere Achttausender, aber die waren nicht so groß. Sie spielten nicht die Rolle im allgemeinen Bewusstsein, also der Mann auf der Straße hat nur wahrgenommen, der höchste Berg der Welt ist auch bestiegen so wie vorher der Südpol und der Nordpol und später der Mond erreicht worden ist, während die anderen bergsteigerischen Ziele zum Teil schwieriger zu erreichen waren, weil die Wände schwieriger waren oder Hindernisse im Weg standen, die nicht leicht überwindbar waren. Die gingen in der breiten Öffentlichkeit unter.
Müller: Wie groß war denn die bergsteigerische Leistung der beiden?
Messner: Man hat ja am Beginn, in den 20er und 30er Jahren versucht, den Everest vom Norden her zu besteigen, denn Nepal im Süden des Mount Everest war ein kleines geschlossenes Königreich. Da durfte niemand hinein. Tibet hat die Engländer hineingelassen, und sie haben es dort versucht, sind immer gescheitert. In den 50er Jahren dann hat man vom Süden her, ein paar Amerikaner, ein paar Engländer und Neuseeländer haben die ersten Schritte getan. Dann kam eine Schweizer Expedition, und diese Schweizer Expedition hat im Grunde die Voraussetzungen geschaffen, dass es überhaupt bis in Gipfelnähe ging, und dann im Frühling 2003 haben die Engländer alles drangesetzt, um den Everest zu packen, denn es war ja ihr Berg, es war die letzte Möglichkeit zu zeigen, dass sie im Grunde die Eroberernation sind, und sie hatten eine Art Vorrecht auf den Everest durch diese vielen Versuche aus den 20er und 30er Jahren.
Müller: 8.600 Meter; der Everest ist 8.850 Meter. Warum sind die letzten 250 Meter denn so schwierig?
Messner: In den 20er Jahren gelang es ein Mal, bei einer Expedition zwei Seilschaften, bis knapp 8.600 Meter zu kommen. Die erste Seilschaft war angeführt vom Norden, dabei war Somerwell. Die beiden sind gestiegen und gestiegen ohne Maske und blieben bei knapp 8.600 Meter hängen. Das heißt, damals entstand auch dieses Bild, höher geht es nicht ohne Maske. Sie müssen sich vorstellen, die haben in der letzten Strecke 30 Höhenmeter pro Stunde gemacht, 300 Höhenmeter fehlten noch. Die hätten für die letzten 300 Höhenmeter zehn Stunden gebraucht, und das war ja schon weit Nachmittag, also wäre man in die Nacht gekommen und erfroren. Die zweite Seilschaft, die es 1924 versucht hat, bestand aus Mallory, das war der Feuergeist dieser Expedition, und Irvine. Die blieben stecken am second step, das ist eine Steilstufe, und diese Steilstufe war klettertechnisch so schwierig, dass sie 1924 nicht zu meistern war. Auf einer Route haben die Kletterschwierigkeiten den Halt provoziert, bei der anderen Versuchsmöglichkeit lag es eben am mangelnden Sauerstoff. Das heißt, am Ende blieb man immer stecken, und da entstand eben dieses Vorurteil - heute wissen wir, es ist ein Vorurteil -, der Mount Everest ist für den Menschen nicht zugänglich, das ist nicht möglich, so wie sich vor Hundert Jahren auch niemand vorstellen konnte, dass der Mensch zum Mond reist, und trotzdem wurde es möglich.
Müller: Es gibt noch ein anderes Datum in diesem Jahr. Vor 25 Jahren, also 1978 ist es Ihnen zusammen mit Ihrem Bergsteigerkollegen Peter Habeler gelungen, den Everest ohne künstlichen Sauerstoff zu besteigen. War das die wirkliche saubere, faire Erstbesteigung?
Messner: Es war eine faire Besteigung. Wir waren damals noch in einer großen Expedition. Ich habe ja zwei Jahre später den Everest ganz alleine bestiegen. Das war wirklich die sauberste Besteigung, die man sich vorstellen kann. Aber die erste Besteigung ist die von Hillary und Tenzing und nicht die unsere. Wir haben noch einmal etwas tun können, wofür es im Vorfeld keine Erfahrungen gab, das heißt, der Mensch wusste nicht, und zwar weltweit nicht, wie er da oben ohne Maske reagiert, und das war eine Herausforderung, die 25 Jahre nach der Erstbesteigung, nach vielen anderen Erfolgen, zum Beispiel die schwierigen Wände, Südwestwand, Westwand, denkbar wurde und die uns gelungen ist. Für mich waren die Engländer, die es in den 20er Jahren bis hoch hinauf ohne Maske geschafft haben, im Großen und Ganzen die treibenden Kräfte. Ich habe mal gesagt, wenn die Engländer mit ihren Wickel-Gamaschen und ihren normalen Tweed-Jackets bis auf 8.600 Meter gekommen sind, warum sollten wir nicht mit einer viel besseren Ausrüstung, mit mehr Know-how höher hinaufkommen? Und das war dann auch so. Wir haben eines der letzten Tabus vom Dach der Welt geholt. Es hat zwar nicht Schule gemacht, aber ist seit damals eben klar, alle Berge der Welt sind ohne Maske kletterbar.
Müller: Waren Sie bei der 78er Expedition hin und wieder an dem Punkt angelangt, kurz vor dem Gipfel zu sagen, wir schaffen das nicht?
Messner: Also 1978 haben wir sowieso den ersten Versuch aufgegeben. Da gab es einen fürchterlichen Sturm, der uns zurückgetrieben hat. Beim letzten Versuch waren wir zögerlich bis zum Gipfel, das heißt, wir wurden nach oben hinauf viel zu langsam. Damit entstand eine Art Hoffnungslosigkeit. Beim Gipfelgrat - Sie müssen sich vorstellen, das ist ein ziemlich scharfer Grat mit großen Wächten, klettertechnisch nicht besonders schwierig - wuchs das Ganze für uns in den Himmel. Je langsamer wir wurden, um so größer wurde für uns dieser letzte Gipfelgrat, das letzte Stück, und da hatte ich einfach das Gefühl, das ist zu weit, das ist nicht möglich, da brauchen wir ewig bis zum Gipfel und zurück. Aber ich hatte mir im Vorfeld vorgestellt, dass es so sein würde, und ich wusste, 50 Höhenmeter, auch wenn ich dafür eine Stunde brauche, sind zurückzulegen, Schritt für Schritt, Rastpause und wieder einen Schritt, wenn ich eben die Ausdauer habe, bis zum Ende durchzuhalten.
Müller: Der Everest-Gipfel ist ja die höchste Spitze der sogenannten Todeszone. Konnten Sie auf dem Gipfel, endlich geschafft nach diesen Strapazen, denken?
Messner: Denken insofern, dass ich noch ein paar Bilder gemacht habe. Ich habe auch einen Tonband mit rudimentären Sätzen besprochen. Aber wenn Sie da oben ganz alleine sind, dann sind Sie wirklich wie im Weltall, einfach draußen, verloren. Da oben ist alles sehr knapp, nicht nur der Sauerstoff, sondern auch die Zeit, die Kraft, die Hoffnung, und deswegen will man nichts wie hinunter. Die eigentliche Freude, dieses Aufatmen und Durchatmen - das ist dann wirklich wie eine Wiedergeburt - kommt erst nachher, wenn wir zurück sind zu den Kameraden, zurück im Basislager.
Müller: Blicken wir noch einmal auch auf die allerjüngste Entwicklung am Everest. Alleine 20 Expeditionsteams haben sich für diese Jubiläumssaison angemeldet. Am 23. Mai 2001 fast 90 Bergsteiger auf dem Gipfel. Abschätzig wird dies von vielen Bergsteigern als Höhenweg im Freizeitpark bezeichnet. Ist da was dran?
Messner: Ja, das ist so. Der Everest ist heute im Reisebüro buchbar. Dafür ist natürlich eine große Vorarbeit notwendig. Das machen die Sherpas, die Einheimischen, die haben den Tag im Griff. Sie müssen sich vorstellen, ein Einbeiniger, ein Blinder sind auf den Everest gestiegen, für die ich großen Respekt empfinde, aber Sie müssen sich vorstellen, wie man einen Berg für einen Blinden präparieren muss, dass er da hinaufgebracht werden kann, und in diesem Angebot an aufstiegspräparierter Route steigen halt viele auf den Gipfel. Das Schlimme ist nicht, dass viele Leute auf den Everest-Gipfel steigen, das Schlimme ist, dass man die Verantwortung für den Berg im Basislager an die Führung abgibt. Man bucht alles inklusive, also Animation, Versicherung, Infrastruktur, Händchen halten. Aber das Bergsteigen hat mit Selbstverantwortung zu tun, das heißt, ich erlebe ja diese Zweifel und diese Ängste nur, wenn ich die Verantwortung für mich selber habe, wenn ich dauernd auf der Hut bin und aufpasse, dass nichts passiert. Aber wenn ich das alles abgebe an eine Gruppe von Leuten, die mir eine Dienstleistung garantieren und mich auf den Gipfel bringen, dann habe ich von diesem Gipfel nicht viel. Deswegen sage ich, dieser Aufstieg ist heute präpariert, die Werte sind auf den Kopf gestellt worden und der Everest als Fluchtpunkt der letzten menschlichen Eitelkeiten ist sozusagen ein Prestigeziel, das man in den langen Ferien angeht, weil man sich diesen Erfolg "Everest bestiegen" ans Revers heften will, aber ein eigener bestiegener Siebentausender oder Sechstausender ist wertvoller als Erfahrung als dieser gekaufte Everest.
Müller: 1996 war die große Katastrophe. Acht Tote, zwei Expeditionsleiter, zwei renommierte, etablierte Bergführer sind dabei auch ums Leben gekommen, weil sie offenbar unverantwortlich gehandelt haben. War das ein Warnschuss an die kommerziellen Anbieter?
Messner: Es war ein Warnschuss, aber niemand hat ihn wahrgenommen. Für mich war die Hoffnung vorhanden, dass nach der Katastrophe 96 mit dem Tod von Scott Fischer und Rob Hole, die wirklich exzellente Organisatoren und Bergführer waren, jetzt das Ganze aufhört, dass man diesen Humbug nicht mehr weiterbetreibt. Aber heute mehr den je steigen die Leute da hinauf und zeigen, ich habe dort überlebt, wo diese Tragödie passiert ist.
Müller: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio