Archiv


Erste Erfahrungen mit dem neuen Zuwanderungsgesetz

Seit dem 29. August ist die neue Regelung des Zuwanderungsgesetzes in Kraft: Wenn eine türkische Ehefrau ihrem Mann nach Deutschland folgen möchte, muss sie grundlegende Deutschkenntnisse nachweisen, wenn sie in der Türkei ein Visum für Deutschland beantragt. Über dieses neue Gesetz wurde monatelang gestritten, nun hat das Goethe-Institut in Istanbul erste Erfahrungen damit gemacht. Susanne Güsten aus Istanbul.

    Sprachkurs am Goethe-Institut in Istanbul. Kursleiterin Birsel Baris hat keine Mühe, ihre Schüler zu motivieren. Konzentriert hören die knapp 20 jungen Leute in dem Seminarraum ihren Worten zu und sprechen ihr nach. Ein einziger Mann ist unter den Kursteilnehmern, alle anderen sind junge Frauen um die Zwanzig. Sie alle haben ein gemeinsames Ziel, erklärt Özlem Yangöz, eine junge Frau im rosa Kopftuch:

    "Wir alle im Kurs sind hier, weil wir nach Deutschland heiraten. Als dort am 28. August das neue Zuwanderungsgesetz in Kraft trat, haben wir im Internet recherchiert und herausgefunden, dass das Goethe-Institut diese Kurse gibt. "

    Vor allem nimmt das Goethe-Institut die Prüfungen ab, ohne deren erfolgreichen Abschluss nun niemand mehr aus der Türkei zu ihrem Ehemann oder zu seiner Frau nach Deutschland ziehen darf.

    Kein Wunder, dass die Kursteilnehmerinnen konzentriert bei der Sache sind - sie haben alle Ehemänner oder Verlobte in Deutschland.

    "Lehrerin: Lesen Sie bitte!

    Schülerinnen: Ein-hundert-drei-und-swansig

    Lehrerin: -zwanzig!

    Schülerinnen: zwan-zig"

    Die deutschen Zahlen, die sind für Deutschlernende immer besonders schwierig. Im Sprachtest für den Ehegattennachzug werden sie aber verlangt - so wie in dieser Aufgabe aus der Abschlussprüfung:

    "Sprecherin: Zimmer 254, das ist im zweiten Stock - zweiter Stock, Zimmer 254"

    Anzukreuzen ist auf dem Prüfungsbogen nun, ob es um Zimmer Zwei-Vier-Fünf geht oder um Zimmer Zwei-Fünf-Vier - für Nicht-Muttlersprachler eine knifflige Frage. Die Schüler am Goethe-Institut sind aber unverzagt - auch Ibrahim Saskin, der einzige Mann im Kurs, ist zuversichtlich:

    "Der Kopf muss halt rauchen, dann geht das schon. (Gelächter in der Klasse)"

    Auch grundsätzliche Probleme haben die Kursteilnehmer nicht mit den neuen Anforderungen. Özlem Yangöz findet es nur normal und richtig, dass sie die deutsche Sprache lernen soll:

    "Ich möchte ja schließlich auch, dass Ausländer, die in mein Land kommen, Türkisch lernen. Deshalb finde ich es verständlich, dass die Deutschen erwarten, dass die Türken dort sich verständigen und integrieren können."

    Mit so viel Akzeptanz hatte selbst das Goethe-Institut nicht gerechnet, sagt Erika Broschek, die Leiterin der Sprachabteilung:

    "Wir haben uns gewundert, wie relativ schnell das akzeptiert wurde."

    Statt mit Protesten wird das Institut vor allem von Nachfragen überschüttet. Vier neue Kurse sind schon eingerichtet worden, weitere sind geplant - und das Telefon steht nicht still:

    "An manchen Tagen kommen unsere Mitarbeiter draußen im Sprachbüro kaum zu ihrer normalen Arbeit, weil sie ständig am Telefon Fragen beantworten müssen."

    Tarik Kiziltay ist einer der Instituts-Mitarbeiter, die von früh bis spät besorgte Anrufe entgegen nehmen.

    "Viele wollen sich anmelden, um einen Kurs zu machen, und erschrecken dann, wenn ich ihnen sage, was das bedeutet. Wie, sagen sie, ich muss monatelang jeden Tag kommen, aber ich wohne doch ganz weit weg!"

    Etwa 120 Unterichtsstunden veranschlagt das Goethe-Institut, bis man die Prüfung ablegen kann. Dazu braucht man nicht nur Zeit, sondern auch Geld - der Kurs kostet mit Prüfungsgebühr knapp 350 Euro, das ist ziemlich genau der offizielle Mindestmonatslohn in der Türkei. Vor allem aber muss man in der Großstadt wohnen, gibt die Kursteilnehmerin Öznur Nak zu bedenken:

    "Ich kann diesen Kurs besuchen, aber andere nicht, weil sie das Geld nicht haben oder anderswo wohnen. "

    Rasch entbrennt im Deutschkurs eine Diskussion über die soziale Auswahl, die de facto mit dem neuen deutsche Gesetz verbunden ist. Perihan Avcil ist nicht die einzige Kursteilnehmerin, die das ungerecht findet:

    "Was ist mit älteren Menschen? Und denkt mal an die Frauen, die nicht lesen und schreiben können, was wird aus denen?"

    Diese Sorge teilt auch die Institutsleitung. Schließlich sind vor allem unter den älteren Frauen in der Türkei nicht wenige Analphabetinnen - und die haben bei dem Sprachtest keine Chance, sagt Erika Broschek:

    "Jemand, der in seiner Muttersprache nicht lesen und schreiben kann, kann keine Fremdsprache lernen - jedenfalls nicht so, wie es dann gefordert wird im Test."

    Erst letzte Woche musste das Institut deshalb eine 50jährige Frau aus Anatolien fortschicken, die zu ihrem Ehemann nach Deutschland wollte. Für sie kann es nach dem neuen Gesetz nun keinen Ehegattennachzug mehr geben. Der letzte solche Fall wird es nicht gewesen sein, befürchtet Erika Broschek:

    "Ich denke, das wird ganz schwer. Das sind Tragödien, die auf uns zukommen. "