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Erster Test für Modedroge

Es war nur eine Aufzählung in einem eher routinierten Vortrag auf der Konferenz "Play the Game". Der Chef des Kölner Dopinganalyse-Labors Wilhelm Schänzer lobte die Arbeit des Zentrums für präventive Dopingforschung unter Leitung seines Kollegen Mario Thevis.

Von Grit Hartmann | 09.10.2011
    Das habe eine ganze Reihe von hochkarätigen Nachweisen entwickelt. In der Liste tauchte, wie selbstverständlich, auch die bisher nicht detektierbare Wunderdroge IGF-1 auf.

    "A summary is presented in the following slides. The work includes new detection methods for HBOCs, synthetic insuline, IGF-1 ..."

    Die Abkürzung IGF-1 steht für den insulinähnlichen Wachstumsfaktor 1, einen Abkömmling des Wachstumshormons HGH, der in der Leber gebildet wird. Schon seit Anfang der 90er gilt der Stoff als einer der angesagtesten im Hochleister-Milieu. Marion Jones oder Bernhard Kohl spritzten ihn, Dopingdoktor Eufemiano Fuentes verschrieb ihn seinen Kunden. Der Hormonturbo garantiert wie kein anderer extreme Muskelmast bei gleichzeitiger Fettverbrennung und sorgt für verkürzte Regenerationszeit. Anders als HGH lässt er Gliedmaßen oder Zähne nicht aus der Fasson geraten. Bisher war er nicht nachweisbar.

    Nun also eine kleine Sensationsmeldung, versteckt in einer Auflistung? So ist es. Den Kölnern ist es vor einigen Monaten erstmals gelungen, die synthetischen Varianten von IGF-1 im Urin aufzuspüren. Mario Thevis und Kollegen entwickelten den Test im Rahmen eines Forschungsprojekts der Welt-Antidoping-Agentur WADA:

    "Wir weisen tatsächlich die Substanz, die verabreicht wurde, nach. Das heißt: das IGF-1 beziehungsweise die synthetischen Analoga anhand ihrer besonderen, eigentümlichen Struktur, und der daraus resultierenden Molekülmasse, des Gewichts des Moleküls und der entsprechenden Zusammensetzung. Das ist sicherlich ein sehr großer Schritt in die richtige Richtung. Und es gibt auch Ansatzpunkte in dieser Arbeit, die möglicherweise auch den Missbrauch des natürlichen IGF-1 näherbringt. Aber es ist noch keine abschließende Lösung."

    Ein Meilenstein darf das Verfahren dennoch genannt werden: Unter Sportbetrügern kursieren vor allem die preiswerteren gentechnisch hergestellten Pendants des berühmt-berüchtigten Wachstumsfaktors. Das weiß auch der Kölner Professor:

    "Es gibt ein Präparat, das dem natürlichen IGF-1 identisch ist und das auch für den Humangebrauch zugelassen ist. Ansonsten gibt es keine Präparate dieser Art, die tatsächlich eine klinische Zulassung besitzen. Aber (nach dem), was wir durch Beschlagnahmungen des Schwarzmarkts oder auch durch Geständnisse oder durch Gerüchte, die in Sportlerkreisen kursieren, an Erkenntnissen gewonnen haben, sind die synthetischen Analoga, insbesondere das so genannte R-3-IGF-1 oder Long-R-3-IGF-1 offenbar weit verbreitet."

    Noch geschätzte zehn Tage nach Injektion wären Doper mit dem neuen Nachweis zu überführen. Das ist viel: Wachstumshormon zum Beispiel kann derzeit nur 36 Stunden detektiert werden. Der Test basiert auf einem Verfahren mit neuen High-Tech-Massenspektrometrie-Geräten, das die Kölner erstmals zum Nachweis synthetischer Insuline nutzten. Das war vor den Olympischen Spielen 2008, und damals zog die WADA den Unmut der Analytiker auf sich – sie erkannte die Methode lange nicht an. Und diesmal?

    "Wir haben tatsächlich nicht die Probleme, die wir beim allerersten Nachweis dieser Art mit Insulin gehabt haben. Denn das Insulin hat uns sozusagen den Weg für entsprechende Folgeprojekte geebnet. Das heißt: Die Anwendbarkeit dieser Prozedur wäre jetzt deutlich einfacher durchzusetzen als es bei den ersten Produkten – Peptidhormone im Urin – gewesen ist. Dementsprechend könnten wir diesen Nachweis jederzeit einsetzen, wenn er denn von uns gewünscht wird."

    Das war noch nicht der Fall. Aber:

    "Es läuft eher umgekehrt. Es kommt jetzt keiner auf uns zu und möchte IGF-1 und synthetische Analoga gemessen haben. Sondern vielmehr Insuline. Und in dem Zusammenhang wird dann IGF-1 mit erfasst."

    Fündig geworden ist man noch nicht. Aber die Kölner werden auch nur mit rund 50 Insulinproben pro Jahr beauftragt – eine Zahl, die trefflich Spekulationen erlaubt über Entdeckungsängste in Verbänden und Antidoping-Agenturen. Und: Der Test könnte bald ergänzt werden – um einen indirekten Nachweis übers Blutplasma, der auch Doping mit körpereigenem HGH und IGF-1 aufspürt. Daran arbeitet ein Team um den Briten Peter Sönksen seit einem Jahrzehnt. Zuletzt, sagt Mario Thevis, wurden Untersuchungen finanziert, um das Verfahren wasserdicht zu machen:

    "Das bedarf einer statistischen Absicherung, die alle Eventualitäten in Betracht zieht. Dazu wurden Studien äußerer Einflüsse beispielsweise durchgeführt, zum Beispiel Verletzungen, Unterschiede bei jungen und alten Personen, bei Männern und Frauen, bei Afroamerikanern, Asiaten, Kaukasiern etc. Das hat sehr viel Zeit und sehr viel Energie gekostet. Aber ich würde sagen, dass das sehr weit fortgeschritten ist."

    Schon bei den Spielen in London könnte es noch enger werden für professionelle Doper. Das wäre dann die nächste gute Nachricht.