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ERT – ein Opferlamm Griechenlands

Die Programme des griechischen Staatsrundfunks ERT sind seit knapp vier Wochen abgeschaltet. Durch diese Sparmaßnahme will Ministerpräsident Samaras offenbar die EU-Kontrolleure besänftigen. Nun präsentierte die griechische Regierung ein Konzept für einen neuen Staatsfunk – mit stark abgespeckten Strukturen.

Von Michael Lehmann | 06.07.2013
    Zweimal wird der Ausweis kontrolliert . Besucher, die das besetzte große graue ERT-Rundfunkgebäude im Osten von Athen ansteuern, könnten ja Spione sein für den Mann, der am 11. Juni das nächtliche Aus verkündet hatte.

    Ministerpräsident Samaras streicht auf einen Schlag knapp 2700 Stellen beim Staatsrundrunk. Diese Schlagzeile sollte die Welt beruhigen, die EU-Kontrolleure besänftigen. Doch erfahrene Fernsehleute, wie die ERT-Chefredakteurin der Auslandsnachrichten, Niki Tselika, sind auch drei Wochen nach dieser für sie grausamen Nacht noch geschockt:

    "Es hat geheißen, es ist Schluss mit ERT, heute Abend. Das Programm ist zu. Ende. Ja. Das war das schlimmste, was ich mir je hätte vorstellen können, hier drin zu erleben."

    Kein ERT-Fernseh- und Radioprogramm läuft mehr wie früher in den griechischen Wohnstuben. Nur im Internet wird weiter gesendet und draußen von einer Bühne herab vor dem Rundfunkgebäude. "Trauer-Talk" könnte man es nennen. Hunderte ERT-Mitarbeiter hören und sehen fast apathisch zu. Im Innern der Gebäude laufen auf langen, verschachtelten Fluren die Monitore, als sei nichts gewesen. Es wird getratscht, geraucht und geträumt, Samaras könnte bald eine Ansprache halten ‘eswar ein Irrtum liebe Leute, der staatliche Rundfunk darf senden wie früher’. Gestern ging zunächst die griechische Regierung in die Offensive, präsentierte im Internet nochmal ihr Konzept für einen neuen Staatsrundfunk von dem kritische Experten sagen, es brächte möglicherweise noch mehr Einflussmöglichkeiten der Regierung. Auf jeden Fall sollen nun nur noch rund 1000 Mitarbeiter gebraucht werden. Der neue Sender soll "NERIT" heißen, ein neues griechisches Radio, Internet und Fernsehen.

    "Wir haben noch keine offizielle Mitteilung, dass wir arbeitslos sind. Jetzt arbeiten wir halt hier weiter, ohne genau zu wissen, was bald wirklich passieren wird",

    sagt Pandelis Gonos, ein Fernseh-Nachrichtenredakteur. Er spricht aus, was viele der ERT-Mitarbeiter denken, die immer noch zum Dienst erscheinen. 2700 Rundfunkmitarbeiter, von denen viele jetzt arbeiten, ohne dafür Geld zu bekommen.

    "Wir haben noch ein bisschen Hoffnung, aber nur sehr, sehr wenig",
    meint Zeta Komtaxi, seit 19 Jahren Redakteurin bei ERT.

    Zum Vorwurf der Korruption, der Vetternwirtschaft mit unglaublichen Gehältern erklärt sie, ja, solche Fälle habe es gegeben. Doch sie mit ihren 1200 Euro Monatsgehalt sei doch Normalverdienern.

    Und die Frau, die grade für die ERT-Online-Sendungen die Nachricht über die Troika-Kontrolleure in Form bringt, die Chefredakteurin, sie müsste eigentlich motivieren, ihr Team bis zuletzt bei der Stange halten, aber immer noch spricht auch sie vor allem über die düstere Nacht der Abschaltung:

    "Es kamen Tausende Leute zu uns in der Nacht ins Rundfunkgebäude und riefen nieder mit der Junta! Ok, es ist eine in Griechenland gewählte Regierung, die die Abschaltung entschieden hat. Aber das war eine Tat, die man nur von totalitären Regimen erwartet. Und nicht von einer demokratischen Regierung , noch dazu in Europa!"

    Und draußen ? Was sagen die Menschen, die zumindest ab und zu gerne mal die längeren Info-Blöcke des ERT-Fernsehens eingeschaltet hatten ? Grade in Wahlkampf und Wahlzeiten war ERT ein wichtiges Medium, was sagen sie dazu, dass die ERT-Kanäle seit knapp vier Wochen schwarz sind, zum weltberühmten Opferlamm Griechenlands werden soll. Taxifahrer Giorgos fährt grade weg vom besetzten Rundfunkgebäude und zuckt mit den Achseln:

    "Klar war das eine harte Aktion, aber auf der anderen Seite. Wie wollen sie eine solche Entscheidung anders durchsetzen bei uns in Griechenland. Dann könnten sie gar keine staatlichen Stellen streichen."