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Erwachender Widerstand

Bereits bei den DDR-Maidemonstration 1987 gab es Versuche, Plakate für Glasnost und Perestroika in die staatliche Jubelparade zu schmuggeln. Einen guten Monat später, am 8. Juni 1987, ließen Ostberliner Jugendliche bei einem Westberliner Konzert in Mauernähe ihrem Frust über die alltäglichen Restriktionen freien Lauf.

Von Monika Köpcke | 08.06.2007
    Die Berliner Mauer in Kreuzberg im Jahr 1962.
    Die Berliner Mauer in Kreuzberg im Jahr 1962. (Deutschlandradio)
    "Ich habe gegen die Misshandlung von westlichen Journalisten gestern Nacht und gegen die Behinderung einer rechtmäßigen Berichterstattung schärfsten Protest eingelegt."

    "Ihre Frage anbetrifft, so möchte ich Ihnen sagen, dass die DDR diese Proteste zurückweist. Die Vorgänge werden entstellt dargestellt."

    Tipps über die besten Hör- und Stehplätze kursieren in Ostberlin schon Tage im Voraus. Am gesamten Pfingstwochenende, von Samstag bis Montag, sollen nur 300 Meter hinter der Mauer am in Westberlin gelegenen Reichstag internationale Rockstars wie David Bowie oder die "Eurythmics" auftreten - live und open air.

    Bereits seit dem Samstagnachmittag strömen grüppchenweise junge Leute bis an die Grenzanlagen zwischen Brandenburger Tor und Reinhardstraße. Der Westwind trägt die Klänge über die Mauer, die Stimmung ist ausgelassen. Erst nach Konzertende löst sich die Menge auf, um am nächsten Abend in noch größerer Zahl zu erscheinen. Am dritten Abend, es ist Pfingstmontag, der 8. Mai 1987, steht die Gruppe "Genesis" auf der Bühne, und mehr als 3000 Jugendliche wollen von Ostberliner Seite etwas von der Musik erhaschen. Als aus der Menge Flaschen auf die Polizisten, die in fast ebenso großer Zahl aufmarschiert sind, fliegen, greift die Staatsmacht unerbittlich durch.

    "Im Moment wird einer der Demonstranten abgeführt, den man durch die Polizeikette hindurch gegriffen hatte, offenbar mit zivilen Beamten. Er ist an Händen und Füßen getragen worden, offenbar auch mit Fußtritten behandelt worden, und es gab Protestrufe der Menge, Pfiffe der Menge und jetzt auch Protesthupen von Fahrzeugen. Der Festgenommene wird mit ziemlichem Gerangel in einen Lada der Volkspolizei gezogen und dann abtransportiert. Es ging nicht ohne Heftigkeiten ab, das ist ganz deutlich zu sehen gewesen."

    Diesem ARD-Korrespondenten wird kurz nach seiner Aufnahme das Mikrofon entrissen, ein westdeutscher Kameramann wird verprügelt, andere Westjournalisten kurzzeitig verhaftet. Wahllos schlagen Uniformierte und Zivile auf Umherstehende ein, mit Hilfe von Hundestaffeln werden die Jugendlichen auseinandergetrieben. Über 100 junge Leute verbringen die Nacht und den folgenden Tag in Arrestzellen.

    Seit den 80er Jahren zeigen zahlreiche Einschätzungen, die vor allem die Stasi anfertigt, dass der Arbeiter- und Bauernstaat immer mehr den Rückhalt in der Jugend verliert. Die Jugendlichen fühlen sich gegängelt und in ihrer persönlichen Entwicklung eingeschränkt. Die Unzufriedenheit wächst mit der starren Haltung der Parteifunktionäre, die sich gegen jede Liberalisierung nach dem Vorbild von Gorbatschows Glasnost und Perestroika sträuben.

    Bislang haben sich die opponierenden Jugendlichen in der Hausbesetzer- oder Punkszene ihren Raum gesucht, in Gruppen, die sich schon rein äußerlich von der sozialistischen Einheitsgesellschaft absetzen. Bei den Pfingstkrawallen von 1987 sind es zum ersten Mal die ganz normalen Jugendlichen, die ihrem Unmut Luft verschaffen. Anfangs geht es den meisten wohl nur darum, die Musik hören zu können. Doch in der Konfrontation mit einer stur auf Ruhe und Ordnung gedrillten Staatsmacht bekommen die Auseinandersetzungen einen politischen Charakter. Peter Merseburger, damals ARD-Korrespondent in Ost-Berlin:

    "Es war ja etwas, was es nicht geben konnte: sie erste spontane Demonstration von einer gewissen Größenordnung. Damit richtig umzugehen, hat die DDR-Polizei nicht gelernt. Will sagen, die DDR ist eigentlich eine posttotalitäre Gesellschaft, aber ein autoritärer Staat, und der Binnendruck hat im Grunde jede Demonstration, die spontan war, bisher verhindert. Es gab nur Gelenktes."

    Nicht nur die DDR-Führung, auch die Bundesrepublik haben Interesse daran, die Pfingstereignisse nicht zu hoch zu hängen. Das Umweltschutzabkommen zwischen beiden deutschen Staaten steht kurz vor der Unterzeichnung, und für den Herbst 1987 ist ein Besuch Honeckers in der Bundesrepublik geplant. Das möchte man auf keinen Fall gefährden und geht rasch zur Tagesordnung über. Doch die ersten Risse, die die Pfingstproteste im Staatsgefüge der DDR hinterlassen, sind nicht mehr wegzuretuschieren.