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Erziehung, Erinnerung, Dialog

Die öffentliche Beschäftigung mit Geschichte in Polen hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Das hat etwas mit der Häufung von Gedenktagen zu tun, und die nationalkonservative Regierung verstärkt diese Entwicklung, indem sie geschichtsträchtige Projekte anstößt. Eines davon ist das Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau, zu dem heute der Grundstein gelegt worden ist.

Moderation: Doris Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: Frage an Martin Sander: Herr Sander, was will denn dieses geplante Museum? Welche politische Botschaft soll da im Zentrum stehen?

    Martin Sander: Also wenn Sie den polnischen Präsidenten Lech Kaczynski angesprochen haben, der ja in vielen Teilen Europas heftig kritisiert wird in diesen Tagen, dann muss man sagen, er hat eigentlich angenehm überrascht. Oder um das in einer süffisanten polnischen Wendung zu sagen, er hat angenehm enttäuscht. Denn Kaczynski hat dieses Museum vorgestellt als einen Meilenstein auf dem Weg eben zur Pflege der Vielvölkerkultur in Polen, auch der Kultur der Minderheiten, und dies in besonderem Falle hier einer fast 1.000-jährigen polnisch-jüdischen Nachbarschaft, die nicht allein eine Nachbarschaft war, sondern über weite Zeiten eben eine Gemeinsamkeit. Und wie dieses polnisch-jüdische Schicksal über die Epochen hinweg verwoben ist, das ist ja das große Thema des Museums. Es ist ja kein Museum des Holocaust, sondern es ist ein Museum der gesamten polnisch-jüdischen Geschichte. Also um noch mal auf die politische Intention zurückzukommen: Ich glaube, das ist in diesem Fall eine nicht nur sinnvolle, sondern auch eine gute Idee gewesen, die natürlich nicht von den Politikern kam, sondern von einer jüdischen Institution, dem jüdischen historischen Institut in Warschau und deren Freunden, viel Unterstützung in aller Welt gefunden hat. Aber Lech Kaczynski hat dieses Projekt nicht jetzt als Staatspräsident unterstützt, sondern schon in seiner Zeit vor seiner Präsidenschaft als Bürgermeister von Warschau. Ihm geht es insgesamt um die Pflege der Erinnerung in historischen Museen, sei es das Museum des Warschauer Aufstands, was ja vor wenigen Jahren eröffnet wurde, aber eben genauso der Geschichte der Juden in Polen oder genauer gesagt der polnisch-jüdischen Beziehungen, dieses Museum, zu dem heute der Grundstein gelegt wurde.

    Schäfer-Noske: Was soll denn da 2009/2010, wenn das fertig ist, zu sehen sein?

    Sander: Also man hat sich sieben Zeiträume gewählt, zunächst also von den Anfängen über die goldene Zeit der polnischen Juden in Zeiten, in denen sie in Westeuropa sehr viel stärker verfolgt waren als in Polen, dann den etwas schlechteren, auch den komplizierten polnisch-jüdischen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit über den Holocaust und auch die Nachkriegsgeschichte, die ja auch nicht einfach ist. Im kommunistischen Polen, da hat es ja auch Pogrome gegeben und Vertreibungen. Die wird im abschließenden Teil dargestellt. Wie soll das geschehen? Man sammelt Exponate aller Art, Bilder, Kunstwerke, Dokumente. Ich habe sogar die Rekonstruktion eines Teils, wie ich meine, einer Synagoge gesehen, also Gegenstände der materiellen Kultur. Man will so nach den neuesten Gesetzen der Museumspädagogik verfahren, multimedial ist also auch hier wieder das Zauberwort. Aber man hat mir versichert, dass es darum geht, die Exponate vorzuführen in einer großen Dauerausstellung und sie zu ergänzen durch ein Kultur- und Bildungszentrum. Also eines der ganz wichtigen Stichworte hier ist der Dialog und die erzählte Geschichte, die sich sozusagen, na ja, entlang hangelt auch an den Exponaten, dann aber weitergeht und als Diskurs entwickelt wird in diesem Zentrum.

    Schäfer-Noske: Welchen architektonischen Rahmen will man denn dem Ganzen geben?

    Sander: Ja, es hat ja bereits einen internationalen Architekturwettbewerb gegeben, der wurde 2005 entschieden. Da haben auch die bekannten Architekten Peter Eisenman und Daniel Libeskind teilgenommen, aber nicht gewonnen. Gewonnen hat ein finnischer Architekt, der gar nicht so bekannt ist, Rainer Mahlamäki. Und der hat eigentlich einen großen Quader vorgestellt mit einer Glasfassade, eine Art Halle als Höhle, als Abgrund. Und das hat so eine mehrfache Symbolik. Da wurde davon gesprochen, das hat etwas zu tun, dieser Abgrund, das, was man dann als Kontrast des klaren Glases gegenüber dem etwas vernebelten Glas sieht, das sei ein hebräischer Buchstabe, das L, das Lamed. Es könnte aber auch erinnern an das biblische Wunder von den zurücktretenden Wogen des Roten Meeres. Eine nicht ganz klare, aber wie ich finde sehr interessante Symbolik. Das Ganze steht ja vis-à-vis dem Denkmal für die Helden des Ghetto-Aufstands von 1943, und das wird auch ein ganz unmittelbarer Bezug, dieses Denkmal ist auch so ein Quader. Ich glaube, das ist kein sehr spannungsreiches Verhältnis, aber trotzdem eine sehr gelungene Komposition.

    Schäfer-Noske: Heute ist in Warschau der Grundstein zum Museum der Geschichte der polnischen Juden gelegt worden. Martin Sander berichtete.