Tedd Tripp hat eine wichtige Botschaft: Die Gesellschaft brauche dringend eine biblische Sichtweise von der Aufgabe des Elternseins. Dafür sieht er sich als Experten: Pastor, Familienvater und einer, der seine Inhalte hunderte von Malen gelehrt habe. In seinem Ratgeber 'Kinderherzen erziehen' legt der amerikanische Pastor prägende Einflüsse für die Kindesentwicklung, Erziehungsziele und – wie er es nennt – biblische Methoden dar. Tripp schreibt:
"Der kleine Albert war ein hinterlistiges Kind. Der Grund, weshalb man ihm nicht trauen konnte, war der, dass er ein Sünder ist."
Der Autor fordert Gehorsam und "Die unbedingte Notwendigkeit der Ausrichtung auf Gott". Kinder dürften nicht getrieben sein von eigenen Wünschen, sondern sie hätten unter der Autorität Gottes und damit unter der Autorität ihrer Eltern zu leben. Damit das gelingt, empfiehlt Tripp "echte, körperliche Disziplinierung". Die Rute sei eine "elterliche Pflicht":
"Gott hat die 'Rute' des Disziplinierens vorgesehen. Der Vorgang des Disziplinierens befreit das Herz des Kindes von Narrheit."
"Erschreckend, dass ein solches Buch auf dem Markt ist"
Ein religiöser Erziehungsratgeber, der zum Züchtigen von Kindern aufruft: Das widerspreche deren Recht auf gewaltfreie Erziehung, das seit dem Jahr 2000 im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert ist, sagt Sabine Andresen, die Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs:
"Es erschreckt mich, dass ein solches Buch auf dem Markt ist. Es verwundert mich nicht, dass es Milieus gibt, in denen auch offensiv die Gewalt, die Prügelstrafe als ein probates Mittel von Erziehung auch nach wie vor gepriesen wird. Aber ich hoffe sehr, dass Eltern heute in Deutschland sagen, dass sind Erziehungsratschläge, die passen nicht zu unserer Einstellung und die wollen wir auch nicht praktizieren."
Der Autor weiß um das Risiko einer Anzeige. Sein Tipp: Eltern sollten die Rute nur zu Hause oder an einem abgeschiedenen Ort einsetzen. Sabine Andresen lehrt Erziehungswissenschaften an der Uni Frankfurt. Sie warnt davor, solche Tipps mit dem Satz "Ein kleiner Klaps hat noch niemandem geschadet" zu verharmlosen.
"Das Schlagen mit der Rute würde ich als Kindesmisshandlung bezeichnen. Erst recht, weil der Autor ja auch dezidiert dazu auffordert, besonders junge Kinder zu schlagen, weil man mit ihnen angeblich nicht kommunizieren könne. Und damit das auch wirklich die Wirkung des Schlagens hat, rät er ja auch dazu, Polsterungen durch Windeln oder anderes zu entfernen. Damit das Kind auch wirklich spürt, es wird geschlagen und es soll Schmerz erleiden."
"Wenn du eine Anweisung gegeben hast, die das Kind verstanden hat, und der es nicht gehorcht hat, dann muss es diszipliniert werden. Es ist wichtig, dass dein Kind spürt, dass es diszipliniert wird."
Gewaltverherrlichende Auslegung der Bibel
Tedd Tripp fordert dazu auf, das Kind nach dem Schlagen zu umarmen und so seine Liebe auszudrücken. Erziehungswissenschaftlerin Sabine Andresen widerspricht Ratschlägen, die Schläge sind:
"Das ist eine so an der Entwürdigung des Kindes gelegene Vorstellung von Erziehung, dass man sie nur entschieden zurückweisen kann. Damit kann ich keine Sicherheit und kein Vertrauen vermitteln. Darüber können sich Kinder nicht entwickeln im Sinne eines: Ich weiß, da sind Erwachsene, die für mich sorgen. Und ich kann auch Fehler machen, ohne dass ich dafür drakonisch bestraft werde."
Der evangelikale Pastor beruft sich auf das Alte Testament, wo etwa im Kapitel der Sprüche von Züchtigung und vom Schlagen mit der Rute die Rede ist. Tatsächlich legen christlich-fundamentalistische Kreise bis heute die Bibel wörtlich aus. So erregte vor einigen Jahren im bayerischen Klosterzimmern die Gemeinschaft 'Zwölf Stämme' Aufsehen, deren Kinder wegen körperlicher Züchtigung vom Jugendamt in Obhut genommen wurden. Diese Form der Bibeltreue sei allerdings eine Randerscheinung, sagt Pastor Siegfried Winkler von der Deutschen Evangelischen Allianz, einem Netzwerk freikirchlicher Werke und Verbände.
"Solche Stellen kann ich nicht als Rechtfertigung nehmen. Und da fängt das theologische, das kritische Fragen an. Züchtigung, wenn ich das hebräische Wort nehme, bedeutet eigentlich Erziehung. Und Erziehung heißt, ich helfe dem Kind, sein Leben zu entfalten. Erziehung heißt auch, Grenzen zu setzen, aber Grenzen haben da nichts mit Gewalt zu tun. Und wenn ich das Wort 'Rute' nehm – schévet im Hebräischen – bezeichnet das zum einen den Hirtenstab. Der ist nie dazu da, um Schafe zu verprügeln. Er bedeutet das Zepter des Königs, was Autorität zeigt, aber was nicht die Legitimation zur Gewalt gegenüber anderen hat."
"Nehmt die Bücher aus dem Sortiment"
Mit einzelnen Zitaten, die absolut gesetzt würden, lasse sich alles rechtfertigen. Die Kernbotschaft der Bibel – die Würde des Menschen – schließe jedoch Gewalt aus, so Pastor Winkler. Sein amerikanischer Kollege lege die Bibel einseitig aus. Es ist eine Auslegung mit Schlagseite.
"Er missbraucht mit Sicherheit seine Position, dass Menschen in besonderer Weise auf ihn hören. Wenn das verbunden ist mit einer Haltung, in der man diese Aussagen einfach übernimmt, dann wird’s sehr gefährlich. Von daher sollten Leute selber fragen: Ist das in der Deckung mit dem, was andere denken? Ist das deckungsgleich mit dem, was ich selber in der Bibel lese? Und da darf keiner aufgrund von seiner Position oder von Ämtern Menschen entmündigen und ihnen Dinge vorgeben, die sie selber nicht nachvollziehen können."
Tripps Ratgeber ist die Neuausgabe seines Buches mit dem Titel 'Eltern – Hirten der Herzen'. Eben jenes Werk setzte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien vor vier Jahren auf den Index. Sein Inhalt gefährde die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, so die Behörde. Indizierte Bücher dürfen online nicht angeboten werden. Mit dem Nachfolger hat sich die Bundesprüfstelle nach eigenen Angaben inhaltlich nicht befasst, da ihr das Buch nicht vorliege. Verkauft wird der evangelikale Erziehungsratgeber von kleineren christlichen Versand-Buchhändlern. Branchenkenner vermuten, die Auflage könnte bei 2.000 bis 5.000 Exemplaren liegen und auch an Büchertischen in Gemeinden angeboten werden.
Dazu Siegfried Winkler: "Ich kann es keinem vorgeben. Meine Bitte wäre: Nehmt die Bücher aus dem Sortiment. Ich kann nicht Dinge vertreiben, die im Widerspruch zur Bibel stehen."
Bleibt die Frage: Wie sehr ist das, was in Familien geschieht, Privatsache, in die sich Außenstehende nicht einmischen dürfen? Familienforscherin Sabine Andresen spricht von einer Gratwanderung. Allerdings lasse sich aus der Aufarbeitung von Missbrauch und Misshandlung in der Vergangenheit lernen.
"Wenn ich den Verdacht habe, diesem Kind wird Unrecht getan, dann hab ich die Möglichkeit, mich beraten zu lassen. Damit eines nicht passiert: Dass man denkt, das geht mich nichts an, wohlwissend, dass das in unserer Gesellschaft nicht länger akzeptiert wird."