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Erziehungswissenschaft auf dem Prüfstand

Ein Beitrag von Karl Heinz Heinemann

    Weiler ist nicht nur der erste Rektor der Viadrina, der Universität in Frankfurt Oder und Politikwissenschaftler an der renommierten Universität von Stanford, er sitzt auch in vielen Hochschulstrukturkommissionen und Beratungsgremien. Er wiederholte seine Kritik an der deutschen Erziehungswissenschaft und belegte sie an Beispielen.

    Ich hab mich auf zwei bildungspolitische Bereiche konzentriert, in denen ich der Meinung bin, dass sich dort in Deutschland sehr viel bewegt: die Hochschulreform und die Reform der Lehrerbildung. Und meine These ist, dass gerade in diesen Bereichen die deutsche Erziehungswissenschaft herzlich wenig zu bieten hat, dass sie der Politik in ihren Entscheidungen wenig wissenschaftlich begründete Orientierungen vermittelt und dass sich darin auch ein allgemeineres Dilemma der deutschen Erziehungswissenschaft wiederspiegelt. Ein Dilemma, das wohl darin besteht, dass die Erziehungswissenschaft zur Realität von Lehren und Lernen ein zumindest problematisches und vielleicht auch gebrochenes Verhältnis hat.

    Das Verhältnis zwischen Erziehungswissenschaft und Politik sei gestört. Es werde zu wenig empirisch geforscht, und wenn, dann außerhalb der Hochschulen, siehe Pisa oder das CHE und die HIS GmbH für die Hochschulen.

    Es ist klar, dass die Zunft der Erziehungswissenschaft das nicht auf sich sitzen lassen wollte.

    Also erstens ist die Erziehungswissenschaft nicht irrelevant und sie wird auch politisch wirksam. Dafür hat es heute Beispiele gegeben. Darüber hinaus ist es so, dass wieder Untersuchungen an Schulen im Auftrag der Erziehungswissenschaft durchgeführt werden, also viele Ansatzpunkte, mit Politik zu kooperieren.

    Hans Merkens, Professor an der Freien Universität und Vorsitzender der deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, fasst ihre Antwort vorsichtig zusammen: Seit Pisa bekommen eben auch Bildungsforscher Aufträge oder Drittmittel aus der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Außerdem könne man nicht, wie Weiler, die Misere der Lehrerbildung den Erziehungswissenschaftlern anlasten. Denn deren Anteil am Lehrerstudium sei viel zu gering. Pädagogen verwiesen verbittert auf ihre zahlreichen Forschungen und machten die Medien dafür verantwortlich, dass man sie nicht wahrnehme. Und in die Rolle williger Datenknechte, die den Politikern nur noch die gewünschten Dossiers zu liefern haben, wollten sie sich von Weiler nicht abdrängen lassen. Schließlich habe die Wissenschaft auch immer die Aufgabe der Kritik, müsse Zusammenhänge herstellen. Und der Glaube, Wissenschaftler könnten Politiker ernsthaft mit ihren Ergebnissen irritieren, sei schlicht naiv. Das hat sich ja wieder einmal daran gezeigt, wie jeder sich aus Pisa das heraus lese, was seine Grundauffassung bestärkt.

    Es geht nicht nur um eine rein akademische Debatte, wie am Rande der öffentlichen Diskussion zu hören war. Weiler arbeite selbst kräftig daran, die Erziehungswissenschaft aufs Abstellgleis zu schieben. Zum Beispiel in Wuppertal oder in Dresden, wo er empfohlen habe, die Lehrerbildung einzustellen und die Erziehungswissenschaft abzubauen. Oder, jüngstes Beispiel, als Mitglied der Hamburger Hochschulstrukturkommission. Dort hat er vorgeschlagen, nach amerikanischem Muster eine "School of Education" zu gründen, in der die Erziehungswissenschaftler nur eine unter 14 Disziplinen wären - von der Rechtswissenschaft bis zur Neurophysiologie - die mit Erziehung zu tun haben.

    Weiler blieb gelassen: Die Erziehungswissenschaftler täten gut daran, die Chance zur interdisziplinären Zusammenarbeit zu nutzen, die eine solche Einrichtung bieten würde, anstatt sie wieder nur als Angriff auf ihre Zunft zu interpretieren.

    Links zum Thema:

    Homepage von Hans N. Weiler