Jürgen Liminski: Das sogenannte Komasaufen Jugendlicher erschreckt immer wieder und wird mittlerweile zum Thema in Ärztekreisen, auf Webseiten von Erziehungsfachleuten behandelt, weil es sich nicht mehr nur um Einzelfälle handelt und weil die Folgen von der Allgemeinheit getragen werden müssen. Einer, der früh auf das Phänomen aufmerksam gemacht hat, ist der Kölner Erziehungswissenschaftler Albert Wunsch, bekannt geworden durch seine Bücher "Die Verwöhnungsfalle" und "Abschied von der Spaßpädagogik", er ist nun am Telefon, guten Morgen, Herr Wunsch!
Albert Wunsch: Guten Morgen, Herr Liminiski!
Liminski: Herr Wunsch, wie sind Sie auf dieses Phänomen der Vollrauschtrinker bis zum Koma aufmerksam geworden – vielleicht durch Ihre Studenten?
Wunsch: Nein, durch die Studenten eigentlich nicht, sondern durch meine frühere Tätigkeit im Bereich der Jugendarbeit. Ich habe ja nun immer auch mit diesem Phänomen zu tun gehabt, habe relativ früh versucht, mich da kundig zu machen, wer eigentlich die Kosten übernimmt. Ich habe Ärzte gefragt, ich habe Krankenhäuser gefragt, und die haben immer gesagt, ja, ich glaube, das zahlt die Kasse. Und vor drei Wochen gab es dann einen entsprechenden Bericht, wo dann die Kassenärztliche Vereinigung bekannt gab, dass Millionenbeträge für dieses Komasaufen auf die Kassen, das heißt auf die öffentlichen Hände, zukommen und wir alle daran beteiligt sind.
Liminski: Es sind also keine Einzelfälle mehr. Haben Sie denn Zahlen, vielleicht auch über die Kosten selber?
Wunsch: Zwei Zahlen, im Land Nordrhein-Westfalen waren es im Jahre 2006 alleine über 5000 Komatrinker. Eine weitere Zahl: In den letzten drei Jahren ist die Zunahme von Jahr zu Jahr über 10 Prozent gewesen, Tendenz steigend, 12, 13, 14 Prozent. Dann die Zahlen pro Fall: Es werden für eine normale Krankenhausbehandlung 500 bis 600 Euro fällig, wenn anschließend noch ein Aufenthalt auf der Intensivstation ansteht, wird es noch teurer. Dazu kommen die Kosten für den Notfalltransport, wenn ein Rettungsdienst eben mit Blaulicht die Leute anliefert, so dass die Fachleute davon ausgehen, dass pro Fall 1000 bis 1500 Euro ausgegeben werden.
Liminski: Wer trägt denn diese Kosten, ich meine, es handelt sich ja um schuldhaftes Verhalten?
Wunsch: Ja, im Augenblick noch die Krankenkassen. Was mich wundert, ist, dass der Staat da nichts unternimmt, die Krankenkassen relativ schweigen, die Krankenkassen versuchen, der alten Dame klarzumachen, dass ihr Hüftgelenk nicht mehr bezahlbar ist und auf der anderen Seite werden im Jahre 2008 circa 20 bis 25 Millionen Euro ausgegeben, weil junge Leute das Großwerden ersaufen.
Liminski: Wo sind denn die Ursachen für dieses Phänomen der Verwahrlosung?
Wunsch: Ich habe den Eindruck, es gibt eine Reihe von Ursachen. Einmal: Eltern scheinen sich ja auch bei der ganzen Geschichte relativ dezent zurückzuhalten, wenn dann der Fall entsteht. Zum Zweiten, in der Kindheit müsste eigentlich Grund gelegt werden, dass man nicht nur zu so was Ja sagen kann, sondern auch Nein sagen kann und in vielen Bereichen muss.
Aber der Staat hat eine große Mitverantwortung, denn solange der Staat nicht die Verursacher zur Kasse bittet, sondern ganz selbstverständlich einsteigt, sagt er im Grunde, das ist nicht so schlimm, das ist so ein Dummer-Jungen-Streich. Aber die Kassen und damit natürlich auch die Bundesgesundheitsministerin müssten da rangehen, das umzuändern, und es gibt einen kleinen Lichtblick. Man hat also irgendwie erkannt, dass zum Beispiel die Kosten für Piercing und Tattoos, also die Folgekosten, die dann oft entstehen, von den einzelnen Verursachern zu zahlen sind, und seit erstem Juni müssen die Ärzte diese Fälle melden, damit die Kasse sich das Geld eben entsprechend wiederholt.
Liminski: Wie kann man denn, oder was meinen Sie, wie könnte man diesem Phänomen politisch gegensteuern?
Wunsch: Politisch könnte man ihm gegensteuern, indem die Medien sagen, die Kosten kommen auf den Verursacher zu, sowie auch ein 14-, 16-Jähriger für seine Sauerei und Sprayerei bezahlen muss, dass man sagt, bevor derjenige aus dem Krankenhaus entlassen wird, hat der erst mal seine Rechnung zu begleichen. Und wenn das Konto des jungen Menschen noch nicht die entsprechende Bonität hätte, könnte ja zum Beispiel der Vater einen Kredit aufs Taschengeld geben. Und wenn sich das in der Szene rumspricht, ich muss 1000, 1200 Euro auf den Tisch des Krankenhauses legen, dann wird der Spaß, der ja nun damit auch verbunden ist – wir haben einfach Spaß am Saufen, wir wollen einfach mal groß sein, mal gucken, wie das ist, wenn man umkippt und so weiter –, dann würde der massiv reduziert. Interessant ist übrigens auch das Phänomen, dass zwei Drittel der jugendlichen Trinker männlich sind.
Liminski: Sie sind Erziehungswissenschaftler. Können Sie denn überforderten Eltern da auch einen Tipp geben? Was sagen Sie Eltern, die mit so einem Problem zu Ihnen kommen?
Wunsch: Zwei Dinge. Einmal wird Komasaufen ja auch im Rahmen von elterlichen Mauern praktiziert, die Fete im Keller, wo dann die jungen Leute den Eltern sagen, wir möchten euch natürlich weder im Keller sehen, am liebsten auch nicht im Hause, dass die Eltern davor mit den Jugendlichen ganz klar, mit ihren eigenen Kindern, Absprachen treffen. Was würdest du denn machen, wenn du siehst, dass einer da eine Flasche mitbringt mit scharfen Alkoholika und dann nicht mehr die Kontrolle über sich hat? Was würdest du machen, wenn zuviel von dem und dem fließt? Einmal für den Bereich, die Elternverantwortung stärker wahrnehmen und die jungen Leute stärker in die Mitverantwortung reinnehmen. Klar auch als Eltern Maßgaben treffen, wenn dann doch was passieren würde – letzte Fete, Eltern kommen auch mal runter. Und zum Zweiten: Wenn Eltern am Frühstückstisch meinetwegen mal so auf dem Hintergrund zum Beispiel dieses Radiointerviews thematisieren würden, dass die Kosten – wenn solche entstehen würden – auf die jungen Leute zukämen, gehe ich davon aus, dass auch dann die Töchter und Söhne etwas bewusster in die Geschichte einsteigen und von daher: Als Eltern da einen starken Maßstab setzen, es anders zu tun.
Liminski: Das Komasaufen, ein Phänomen zieht Kreise. Das war der Bestsellerautor und Erziehungswissenschaftler Albert Wunsch. Besten Dank für das Gespräch, Herr Wunsch!
Wunsch: Okay, ich hoffe, dass vieles dadurch erreicht wird, vielen Dank, Herr Liminski!
Albert Wunsch: Guten Morgen, Herr Liminiski!
Liminski: Herr Wunsch, wie sind Sie auf dieses Phänomen der Vollrauschtrinker bis zum Koma aufmerksam geworden – vielleicht durch Ihre Studenten?
Wunsch: Nein, durch die Studenten eigentlich nicht, sondern durch meine frühere Tätigkeit im Bereich der Jugendarbeit. Ich habe ja nun immer auch mit diesem Phänomen zu tun gehabt, habe relativ früh versucht, mich da kundig zu machen, wer eigentlich die Kosten übernimmt. Ich habe Ärzte gefragt, ich habe Krankenhäuser gefragt, und die haben immer gesagt, ja, ich glaube, das zahlt die Kasse. Und vor drei Wochen gab es dann einen entsprechenden Bericht, wo dann die Kassenärztliche Vereinigung bekannt gab, dass Millionenbeträge für dieses Komasaufen auf die Kassen, das heißt auf die öffentlichen Hände, zukommen und wir alle daran beteiligt sind.
Liminski: Es sind also keine Einzelfälle mehr. Haben Sie denn Zahlen, vielleicht auch über die Kosten selber?
Wunsch: Zwei Zahlen, im Land Nordrhein-Westfalen waren es im Jahre 2006 alleine über 5000 Komatrinker. Eine weitere Zahl: In den letzten drei Jahren ist die Zunahme von Jahr zu Jahr über 10 Prozent gewesen, Tendenz steigend, 12, 13, 14 Prozent. Dann die Zahlen pro Fall: Es werden für eine normale Krankenhausbehandlung 500 bis 600 Euro fällig, wenn anschließend noch ein Aufenthalt auf der Intensivstation ansteht, wird es noch teurer. Dazu kommen die Kosten für den Notfalltransport, wenn ein Rettungsdienst eben mit Blaulicht die Leute anliefert, so dass die Fachleute davon ausgehen, dass pro Fall 1000 bis 1500 Euro ausgegeben werden.
Liminski: Wer trägt denn diese Kosten, ich meine, es handelt sich ja um schuldhaftes Verhalten?
Wunsch: Ja, im Augenblick noch die Krankenkassen. Was mich wundert, ist, dass der Staat da nichts unternimmt, die Krankenkassen relativ schweigen, die Krankenkassen versuchen, der alten Dame klarzumachen, dass ihr Hüftgelenk nicht mehr bezahlbar ist und auf der anderen Seite werden im Jahre 2008 circa 20 bis 25 Millionen Euro ausgegeben, weil junge Leute das Großwerden ersaufen.
Liminski: Wo sind denn die Ursachen für dieses Phänomen der Verwahrlosung?
Wunsch: Ich habe den Eindruck, es gibt eine Reihe von Ursachen. Einmal: Eltern scheinen sich ja auch bei der ganzen Geschichte relativ dezent zurückzuhalten, wenn dann der Fall entsteht. Zum Zweiten, in der Kindheit müsste eigentlich Grund gelegt werden, dass man nicht nur zu so was Ja sagen kann, sondern auch Nein sagen kann und in vielen Bereichen muss.
Aber der Staat hat eine große Mitverantwortung, denn solange der Staat nicht die Verursacher zur Kasse bittet, sondern ganz selbstverständlich einsteigt, sagt er im Grunde, das ist nicht so schlimm, das ist so ein Dummer-Jungen-Streich. Aber die Kassen und damit natürlich auch die Bundesgesundheitsministerin müssten da rangehen, das umzuändern, und es gibt einen kleinen Lichtblick. Man hat also irgendwie erkannt, dass zum Beispiel die Kosten für Piercing und Tattoos, also die Folgekosten, die dann oft entstehen, von den einzelnen Verursachern zu zahlen sind, und seit erstem Juni müssen die Ärzte diese Fälle melden, damit die Kasse sich das Geld eben entsprechend wiederholt.
Liminski: Wie kann man denn, oder was meinen Sie, wie könnte man diesem Phänomen politisch gegensteuern?
Wunsch: Politisch könnte man ihm gegensteuern, indem die Medien sagen, die Kosten kommen auf den Verursacher zu, sowie auch ein 14-, 16-Jähriger für seine Sauerei und Sprayerei bezahlen muss, dass man sagt, bevor derjenige aus dem Krankenhaus entlassen wird, hat der erst mal seine Rechnung zu begleichen. Und wenn das Konto des jungen Menschen noch nicht die entsprechende Bonität hätte, könnte ja zum Beispiel der Vater einen Kredit aufs Taschengeld geben. Und wenn sich das in der Szene rumspricht, ich muss 1000, 1200 Euro auf den Tisch des Krankenhauses legen, dann wird der Spaß, der ja nun damit auch verbunden ist – wir haben einfach Spaß am Saufen, wir wollen einfach mal groß sein, mal gucken, wie das ist, wenn man umkippt und so weiter –, dann würde der massiv reduziert. Interessant ist übrigens auch das Phänomen, dass zwei Drittel der jugendlichen Trinker männlich sind.
Liminski: Sie sind Erziehungswissenschaftler. Können Sie denn überforderten Eltern da auch einen Tipp geben? Was sagen Sie Eltern, die mit so einem Problem zu Ihnen kommen?
Wunsch: Zwei Dinge. Einmal wird Komasaufen ja auch im Rahmen von elterlichen Mauern praktiziert, die Fete im Keller, wo dann die jungen Leute den Eltern sagen, wir möchten euch natürlich weder im Keller sehen, am liebsten auch nicht im Hause, dass die Eltern davor mit den Jugendlichen ganz klar, mit ihren eigenen Kindern, Absprachen treffen. Was würdest du denn machen, wenn du siehst, dass einer da eine Flasche mitbringt mit scharfen Alkoholika und dann nicht mehr die Kontrolle über sich hat? Was würdest du machen, wenn zuviel von dem und dem fließt? Einmal für den Bereich, die Elternverantwortung stärker wahrnehmen und die jungen Leute stärker in die Mitverantwortung reinnehmen. Klar auch als Eltern Maßgaben treffen, wenn dann doch was passieren würde – letzte Fete, Eltern kommen auch mal runter. Und zum Zweiten: Wenn Eltern am Frühstückstisch meinetwegen mal so auf dem Hintergrund zum Beispiel dieses Radiointerviews thematisieren würden, dass die Kosten – wenn solche entstehen würden – auf die jungen Leute zukämen, gehe ich davon aus, dass auch dann die Töchter und Söhne etwas bewusster in die Geschichte einsteigen und von daher: Als Eltern da einen starken Maßstab setzen, es anders zu tun.
Liminski: Das Komasaufen, ein Phänomen zieht Kreise. Das war der Bestsellerautor und Erziehungswissenschaftler Albert Wunsch. Besten Dank für das Gespräch, Herr Wunsch!
Wunsch: Okay, ich hoffe, dass vieles dadurch erreicht wird, vielen Dank, Herr Liminski!