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"Es beginnt mit Tookah, mit Glückseligkeit, und endet mit der anderen Seite"

Neben Björk ist Emiliana Torrinia eine der bekanntesten Künstlerinnen Islands. Sie war Teil der Band GusGus. 2009 stürmte sie als Solokünstlerin mit dem augenzwinkernden Mainstream-Hit "Jungle Drum" die Charts. Nach fünf Jahren hat sie nun "Tookah" veröffentlicht - und das klingt anders.

Mit Thekla Jahn |
    Thekla Jahn:
    Tookah ist ein für meine Ohren ungewöhnliches Wort, ist das Isländisch?

    Emiliana Torrini:
    Nein.

    Jahn:
    Ein Fantasiewort?

    Torrini:
    Ich musste selbst erst mal herausfinden, was es bedeutet. Im Studio beginnen wir normalerweise immer damit vokal zu improvisieren – und während ich singe, sehe ich sehr starke Bilder. Bei diesem Song habe ich am Anfang einfach TOOKAH gesungen, diese Lautfolge fühlte sich gut an. Und dann erst habe ich mich gefragt, warum eigentlich? Dabei kam für mich heraus, dass ich vor langer Zeit eine traumatische Erfahrung durchlebt habe. Es war eine mentale Spaltung, bei der man Dualitäten erlebt. Das war natürlich nur in meinem Kopf – und da sah ich ganz klar ein Bild, wie sich meine beiden Profile anschauen - und dann gab es noch dieses Licht in der Mitte. Und: ja - Du kannst eben nicht in dieser Dualität leben, du kannst aber auch nicht einfach nur ja oder nur nein sein. Du musst es zusammenbringen. Das ist ganz schön kompliziert. Und dieser Song scheint den Kreis zu schließen, ich kann damit wieder in Kontakt kommen, mit dieser sanften Glückseligkeit.

    Jahn:
    Das heißt: Es ist genau das, was sie da fühlen, was sie mit dem Wort Tookah , mit dieser Lautung verbinden. Und genau so kommt ihre CD daher, die ist nicht eindeutig. Es gibt einige Stücke, die sind eher poppig "Speed of Dark", dann gibt es andere, die sind sehr träumerisch, sogar alpträumerisch wie "Blood Red" zum Beispiel. Präsentiert diese CD auch eine Art Selbstfindungstrip der vergangenen Jahre?

    Torrini:
    Vielleicht … Es ist vielleicht mehr eine Reise … Viel ist in den vergangenen fünf Jahren passiert: Zweieinhalb Jahre war ich auf Tour – das war zum Teil mental und körperlich wirklich hart – und das will ich auch auf keinen Fall nicht noch mal machen. Dann habe ich meinen Sohn bekommen – und das heißt, Du musst eine Persönlichkeit annehmen. Das ist ein ganz neues Leben. Dein Spiegelbild springt Dir ins Gesicht. Du kannst Dir selber nicht mehr entkommen. Es gibt kein Versteck mehr – und das ist eine großartige Chance, für einen selber. Das ist fast so, als ob man einen Guru im Haus hat … Als mein Sohn geboren wurde, da habe ich wirklich die glücklichste Zeit meines Lebens erlebt. Ich war nie so verliebt, wie ich das jetzt in diesen kleinen Jungen bin. Das ist eine unglaubliche Naturgewalt. Aber dann gab es aber auch eine andere Seite in mir, die sehr schwach war. Eine verrückte Zeit. Und da war wieder diese Spaltung, dieser Riss, der wieder zusammenwachsen musste. Ein Song wie "Blood Red" ist insofern kein Albtraum, das ist eher eine Unterhaltung zwischen diesen beiden Seiten. Ja – und das ist dann wohl doch eine Art Thema auf diesem Album.

    Jahn:
    "Jungle Drum" das war ihr großer Hit 2009, unglaublich radiotauglich, mainstreamig. Davon sind sie weggekommen. Die neue CD zeigt sie jetzt in einer ganz anderen künstlerischen Weise. Was es für sie auch wichtig wegzukommen vom Mainstream?

    Torrini:
    Nein, so denke ich gar nicht darüber. Der Song schlug ein, wie eine Bombe, eine Liebesbombe, und er begann, auch sofort ein Eigenleben zu führe. Ich musste gar nichts tun. In der Minute, in der der Song zu einem Number-One-Hit wurde, hat er sich sofort von mir abgespalten. Es berührt mich, aber mein Anteil daran spielte keine Rolle. Ich war natürlich ziemlich glücklich, dass es so war, und dann denkt man direkt: Oh, du musst jetzt einen neuen Song schreiben, es muss einen Nachfolger geben, du musst das ausnutzen. Aber ich hab dann gesagt: Warum. Ja, warum sollte ich das machen. Etwas ist passiert, es ist großartig, aber ich sollte an dem Punkt weiterarbeiten, an dem ich bin.

    Jahn:
    Spannend finde ich ihre jazzigen Improvisationen, aber Island verbinde ich nicht mit diesen jazzigen Improvisationen?

    Torrini:
    Island ist das Land, in dem ich den größten Teil meiner Kindheit verbracht habe, genauso wie Italien, Deutschland und England. Eine Sammlung all der Dinge, die Dich berührt haben: weniger die Orte, mehr die Menschen, die kleinen Dinge. Und das ist, wie eine Quelle aus der Deine Inspiration kommt. Ich weiß nicht, ob ich das verständlich machen kann.

    Jahn:
    Emiliana Torrini, das hört sich italienisch an, und sie haben die Einflüsse aus Italien gerade auch angesprochen. Wie groß sind diese?

    Torrini:
    Alte neapolitanische Lieder, zu denen fühle ich mich stark hingezogen. Ich habe sie geliebt. Sie hatten für mich so einen exotischen Klang. Mainstream oder Popmusik haben mich dagegen nicht interessiert. Ich weiß nicht warum. Was mich auf jeden Fall stark beeinflusst hat, ist mit einem italienischen Vater und einer isländischen Mutter aufgewachsen zu sein. Da prallen zwei Kulturen aufeinander. Damals gab es nicht viele Ausländer in Island und ja, die Art, wie er Island gesehen hat als jemand, der aus Italien gekommen ist, und: wie anders er war, und: wie ich mich gefühlt habe. Manchmal war er mir richtig peinlich. Er war irgendwie laut. Island ist eher konservativ. Väter schütteln ihren Söhnen die Hand, wenn sie sich begrüßen. In Italien dagegen küssen sie sich und umarmen sich, und wenn man sich prügelt, dann jetzt und hier! Das war oft ein bisschen peinlich.

    Jahn:
    Die eigenwillige Art des Tonansatzes und die Phrasierungen - ist das jetzt Emiliana Torrini oder Stilmittel?

    Torrini:
    Ich habe alle Musikgenres mitgemacht, ja, aber ich dachte lange, ich könne nur Klassik singen. Seit dem neunten Lebensjahr war ich im Chor und als ich 15 war, habe ich begonnen, Oper zu studieren. Meine erste Oper, die ich sang, war übrigens "Hänsel und Gretel". Später wurde ich Backgroundsängerin in einer Rockband, und das war für mich eine großartige Erfahrung: Zu merken, dass ich einfach jeden Musikstil beherrsche. Nun, und wenn Du dann irgendwann Deine eigene Musik schreibst, dann musst Du eben auch mit Deiner eigenen Stimme singen, nicht irgendjemanden imitieren – und das war ein weiterer großer Entwicklungsschritt für mich.

    Jahn:
    Die neue CD haben sie zusammen mit Dan Carey produziert, mit ihm haben sie auch schon 2004 die Grammy nominierte Kylie Minogue Single "Slow" geschrieben. Was macht das Erfolgskonzept, das Erfolgsrezept aus?

    Torrini:
    Ich habe keine Ahnung. Und mit Dan – ja das klappt in erste Linie deshalb so gut, weil wir beste Freunde sind. Als wir uns das erste Mal begegneten, da haben wir sofort eine unglaublich tiefe Verbundenheit gespürt. Auch unsere Familien verstehen sich, wir machen gemeinsam Urlaub. Eigentlich machen wir immer was zusammen, und gehen neben vielem anderen auch ins Tonstudio, um gemeinsam zu arbeiten. Und dann erreichen wir beim Improvisieren, diesen magischen Zustand – ja und wir haben viel Spaß dabei.

    Jahn:
    Ihre CD, die sie gemeinsam produziert haben, endet mit einem Song, dessen letzte Zeile lauten: I will kill you. Was für eine Ankündigung am Ende einer CD!

    Torrini:
    Das ist nur so eine Phrase, es soll kein "Mord-Song" sein. Da soll keiner umgebracht werden. Es ist eher so eine Art destruktives, erotisches Stück. Ich kam damals von einer wirklich kräftezehrenden Tour, ich war irgendwie wütend, frustriert, destruktiv drauf. Und mir geht es immer gut, wenn ich ins Tonstudio gehe und ich tat es damals auch sofort, und Dan hat mich wieder auf den Boden geholt. Wir haben die ganze Nacht gespielt, diesen Song improvisiert und ihn danach nicht mehr verändert, er ist genau so auf der CD.

    Jahn:
    Mich ließ es ratlos zurück, eine CD, die damit endet, dass mir jemand entgegen singt: I will kill you.

    Torrini:
    Ja, das ist diese Dualität: Es beginnt mit Tookah , mit Glückseligkeit, und endet mit der anderen Seite.