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"Es fehlt eine Lichtgestalt"

Der Schriftsteller und Afrika-Experte Hans Christoph Buch beklagt, dass sich die afrikanischen Intellektuellen heute seltener zu Wort melden. Es fehle in Afrika an "Lichtgestalten wie Ken Saro-Wiwa, wie Nelson Mandela oder Lumumba" - Menschen, die die Interessen ganz Afrikas verträten.

Hans Christoph Buch im Gespräch mit Vincent Neumann | 08.08.2011
    Vincent Neumann: Es war ein Paukenschlag, den allerdings kaum jemand hörte, denn man musste schon sehr lange suchen, um diese aufsehenerregende Meldung vergangene Woche in einer deutschen Zeitung zu finden: Eine Gemeinde aus dem Niger-Delta hatte sich mit dem Ölgiganten Shell angelegt und im April eine Sammelklage vor dem britischen High Court eingereicht. Und anders als bei vielen Hundert Verfahren zuvor, die abgeschmettert oder ewig hinausgezögert wurden, gelang der Gemeinde Bodo ein sensationeller Sieg: Shell will seine Verantwortung für zwei Ölaustritte 2008 und 2009 anerkennen und stimmte sogar einer Kompensationszahlung zu, die sich auf mehrere Hundert Millionen Dollar belaufen dürfte. Ein Sieg gegen einen übermächtigen Gegner also, eine Entscheidung, die möglicherweise Signalwirkung haben könnte, und eine späte Genugtuung für den Schriftsteller Ken Saro-Wiwa, der schon Anfang der 90er-Jahre für die Rechte des Ogoni-Volkes im Niger-Delta gekämpft hat. 1995 wurde Saro-Wiwa vom damaligen Diktator Sani Abacha hingerichtet. Am Vorabend schrieb er in einem Brief, Shell führe einen ökologischen Krieg und würde eines Tages dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Hans Christoph Buch ist Schriftsteller und Afrika-Experte. Ihn habe ich gefragt, ob denn dieser Tag jetzt gekommen ist?

    Hans Christoph Buch: Ja und nein, es ist natürlich ein symbolischer Sieg und hoffentlich wird auch Geld fließen, aber schon da muss man ein Fragezeichen machen, denn Shell in Nigeria ist eine Joint Venture mit der dortigen Regierung, und die hat bisher nicht nur nichts für den Umweltschutz getan, sondern schon eine Menge Geld beiseitegeschafft, und es ist nicht sicher, ob es nicht in dieser Richtung weitergeht. Trotzdem eine wichtige Entscheidung, und man merkt schon auf: Dieses Gerichtsurteil wurde in London gefällt – in Nigeria hätte ein solcher Protest auch vor Gericht keine Chance.

    Neumann: 1995 wurde Ken Saro-Wiwa ja zusammen mit acht weiteren Aktivisten der MOSOP-Bewegung hingerichtet, nachdem er jahrelang den rücksichtslosen Interessenmix von Diktatur und Erdölkonzern angeprangert hat. Hat das Militärregime damit aus der Symbolfigur einen Märtyrer gemacht?

    Buch: Ja, das schon, genauso wie Lumumba zum Märtyrer wurde durch seine Ermordung, oder Nelson Mandela durch die jahrzehntelange Haft. Ken Saro-Wiwa wäre vermutlich im Westen nicht so bekannt, wenn er nicht gehängt worden wäre mit seinen Mitstreitern zusammen auf Befehl des Militärdiktators Sani Abacha. Und überhaupt fehlt es in Afrika an Lichtgestalten wie Ken Saro-Wiwa, wie Nelson Mandela oder Lumumba, die nicht nur die Interessen einer ethnischen Gruppe verkörpern, sondern virtuell die Interessen ganz Afrikas. Das ist leider zurückgetreten zugunsten einer Ethnisierung der Politik aber auch des Protests. Man hört immer nur von Protesten bestimmter Gruppen. Und nun ist allerdings der ökologische Schaden im Niger-Delta so gewaltig, dass man sagen kann: Das steht für eine ökologische Katastrophe, die auch anderswo in Afrika ihre Auswirkungen hat, jetzt zum Beispiel am Horn von Afrika mit der schrecklichen Hungersnot.

    Neumann: Um solche Situationen anzuprangern, bedarf es ja immer großer Lichtgestalten, Sie erwähnten das schon, Nelson Mandela ist zweifellos eine der letzten, wenn nicht die letzte große Lichtgestalt in Afrika. Wie kommt es, dass es so wenige andere gibt, so wenig andere namhafte Intellektuelle, die sich inzwischen dem Kampf gegen die Ungerechtigkeiten in Afrika verschrieben haben? Haben sie schon aufgegeben?

    Buch: Nelson Mandela steht noch für eine pan-afrikanische Vision, also ganz Afrika hatte er im Blick, und Südafrika als am meisten entwickeltes Industrieland konnte mit Fug und Recht für ganz Afrika sprechen, auch wegen der Apartheid, die eine besonders brutale Form der Unterdrückung war. Aber heute melden sich die afrikanischen Intellektuellen seltener zu Wort, da gibt es zum Beispiel den nigerianischen Nobelpreisträger Wole Soyinka, der selbst im Gefängnis saß, jetzt in London lebt und vielleicht seine Rückkehrchancen nicht gefährden möchte, jedenfalls äußert er sich zurückhaltender als früher, und das ist generell zu beobachten. Ich sprach schon von der Ethnisierung des Protests. Die Gruppen, die nicht nur Gruppeninteressen vertreten, sondern die Interessen der Allgemeinheit, um nicht zu sagen, des gesamten Kontinents, der ja in sehr schlechter Verfassung ist, die muss man mit der Lupe suchen, und es fehlt genau eine Lichtgestalt, wie sie etwa Solschenizyn oder Sacharow für die Sowjetunion verkörperten, also ein glaubwürdiger Märtyrer. Und es ist natürlich widersinnig, ja zynisch, zu warten, bis wieder einer hingerichtet wird oder auf Jahrzehnte im Gefängnis verschwindet, um ihn dann zum Märtyrer zu machen. Wichtiger wäre, dass die Intellektuellen ihre Aufgaben wahrnehmen und sich einmischen, so wie sie das früher in Afrika getan haben, eine Generation zuvor.

    Neumann: Hans Christoph Buch über die nachlassende Kampfeslust der afrikanischen Intellektuellen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.