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"Es fehlt schlicht und einfach an den Bewerbern"

Die Anzahl neuer Ausbildungsverträge ist laut DGB auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Markus Kiss, Ausbildungsreferent beim DIHK, hält die bessere Balance zwischen Angebot und Nachfrage für eine Zukunftsaufgabe. Durch die hohe Quote von Studienanfängern gehe Betrieben "Potenzial an Leistungsstarken" verloren.

Markus Kiss im Gespräch mit Julian Kuper | 30.10.2013
    Julian Kuper: Heute liegen die neuen Zahlen zum Ausbildungsmarkt auf dem Tisch und die sagen: Bei vielen Unternehmen, da bleibt der Azubi-Spind leer oder sie haben erst gar keinen Spind mehr, weil sie nicht mehr ausbilden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund, der beklagt sogar, dass die Zahl der neuen Ausbildungsverträge auf den niedrigsten Wert seit der deutschen Einheit gefallen ist, trotz gleich bleibender Bewerberzahlen. Gleichzeitig platzen die Hochschulen aus allen Nähten. Darüber spreche ich mit Markus Kiss, er ist Ausbildungsreferent beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag DIHK. Guten Tag, Herr Kiss!

    Markus Kiss: Guten Tag!

    Kuper: Was läuft denn da falsch mit der Ausbildung in Deutschland?

    Kiss: Ich denke, dass der Vorwurf des DGB nicht trägt. Zwar ist es richtig, es gibt in diesem Jahr einen Rückgang an neuen Ausbildungsverträgen, es gibt auch einen Rückgang an gemeldeten betrieblichen Ausbildungsplätzen bei der BA, aber es gibt keinen Rückgang an Ausbildungschancen. Es ist einfach so, dass es den Betrieben leider immer weniger gelingt, geeignete Azubis zu finden. Wenn man sich die Zahlen der BA noch mal genau anschaut: In allen Branchen und Berufen gab es in diesem Ausbildungsjahr noch freie Lehrstellen, insgesamt 35.000 oder 33.500, genauer gesagt. Und das übersteigt die Zahl der Unversorgten doch bei Weitem.

    Kuper: Sie sagten, die Betriebe finden keine Lehrstellen, gleichzeitig ist es aber so, dass in vielen Betrieben ja auch nach wie vor noch gilt, Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Müssen die Betriebe da nicht noch moderner, attraktiver werden, inhaltlich eine vielleicht bessere Ausbildung bieten und einfach auch mehr bezahlen?

    Kiss: Ich denke, dass die Unternehmen notgedrungen schon jede Menge tun, um Azubis zu werben. Das fängt an bei höherer Vergütung, das gilt aber auch für irgendwelche Incentives oder ähnliche Dinge, sogar über Dienstwagen, die im ländlichen Raum schon angeboten werden. Ich glaube nicht, dass es daran liegt. Ich glaube, dass das Problem doch ein bisschen woanders ist. Jahrelang hieß es, dass Deutschland eine viel zu geringe Akademikerquote hat, die ist in den letzten Jahren gestiegen, erheblich gestiegen. Momentan, Sie sagten es ja auch gerade, platzen die Hörsäle aus allen Nähten, während den Betrieben die Azubis ausgehen.

    Kuper: Also klauen die Hochschulen den Betrieben ihre Azubis weg?

    Kiss: Klauen würde ich nicht unbedingt sagen, jeder soll natürlich seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprechend machen, was er für richtig hält. Aber mit Blick auf die Zahlen zeigt schon, dass sich da Gleichgewichte verschoben haben. Mitte der 90er waren es noch 250.000 ungefähr, Studienanfänger, jetzt haben wir fast eine halbe Million. Insofern geht da schon Potenzial an Leistungsstarken verloren, das stimmt.

    Kuper: Aber wenn so ein junger Abiturient jetzt sagt, ja, so ein Studium, das lohnt sich ja auch finanziell, verdient mehr als jemand, der eine Ausbildung gemacht hat, was entgegnen Sie denn dem?

    Kiss: Das stimmt auch nicht immer. Das mag in manchen ingenieurswissenschaftlichen Fächern vielleicht stimmen, das stimmt aber für Geisteswissenschaften und Ähnliches schon nicht mehr. Da ist es auf jeden Fall so, dass da ein Facharbeiter in Süddeutschland beispielsweise wesentlich mehr verdient als ein Akademiker. Und wenn man dann noch eine Weiterbildung anschließt zum Fachwirt, zum Meister oder Ähnlichem, sind die Verdienstaussichten mit Sicherheit nicht schlechter als bei Akademikern.

    Kuper: Ein anderer Aspekt ist ja auch der, dass immer weniger Betriebe ausbilden, im vergangenen Jahr nur noch so rund 20 Prozent. Ist es denn so, dass die Unternehmen nur ans Jetzt denken und sagen, wir binden uns jetzt nicht so einen Azubi ans Bein, der vielleicht noch ein bisschen Unterstützung braucht?

    Kiss: Nein, auch das würde ich ausschließen. Ich denke, dass die vom DGB kritisierte sinkende Zahl der ausbildenden Betriebe keinerlei Rückschlüsse auf die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen zulässt. Es ist einfach so, dass vor allem die Kleinen und Mittleren häufig keine passenden Bewerber mehr finden. Und so fallen sie da einfach notgedrungen über längere Sicht aus dem Kreis der Ausbildungsbetriebe heraus. Wer jahrelang vergeblich gesucht hat, der wirft irgendwann das Handtuch. Und noch eine andere Bemerkung: Um qualitätsgesichert ausbilden zu können, müssen natürlich auch bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Also, die Gesamtheit der Betriebe zu betrachten, führt auch in die Irre. Von den ausbildungsberechtigten Betrieben in Deutschland bilden weit mehr als 50 Prozent aus und von den großen sogar weit über 80 Prozent. Insofern würde ich sagen, die Ausbildungsbereitschaft sinkt auf gar keinen Fall.

    Kuper: Noch mal auf einen Aspekt, den Sie gerade angesprochen haben, dass die Unternehmen keine jungen Leute finden oder keine geeigneten, und dann eben sagen, ja, nein, wir haben das letztes Jahr schon probiert, jetzt probieren wir es gar nicht mehr: Ist es denn nicht so, dass die Unternehmen sich dann ihre Zukunft verbauen, müsste es das nicht genau sein, womit sich dann die Unternehmen ihre Zukunft sichern und das, was quasi das ureigenste Bedürfnis ist eines Unternehmens, Leute einzustellen und auszubilden, um dann später Fachkräfte zu haben für die Zukunft?

    Kiss: Ja, natürlich. Aber wo die Leute denn hernehmen, wenn sie nicht kommen? Wenn keiner mehr an die Türe klopft, was sollen Unternehmen denn dann tun? Wenn man jahrelang sich vergeblich bemüht, Ausbildungsbewerber zu finden, dann kann man irgendwann natürlich nachvollziehen, dass Unternehmen irgendwann sagen, ich gebe es auf, weiter zu suchen. Aber ich sage es ja noch mal, die Unternehmen suchen weiterhin, siehe die Zahl der unbesetzten Plätze. Man mag in unsere Lehrstellenbörse gucken, bei den IHKs, da gibt es noch jede Menge freie Berufe in allen Branchen, in allen Berufen. Insofern, es gibt keine Versorgungsnot, keine Not an Angeboten, sondern es fehlt schlicht und einfach an den Bewerbern.

    Kuper: Braucht es dann ein besseres Marketing, dass die Bewerber auch eine Ausbildung überhaupt als Möglichkeit sehen?

    Kiss: Das ist sicherlich ein wichtiges Stichwort. Es gilt jetzt und in Zukunft noch viel mehr, jungen Menschen bereits frühzeitig klarzumachen, dass eine berufliche Erfüllung auch jenseits des Studiums möglich ist, dass Verdienstmöglichkeiten auch jenseits des Studiums sehr gut sein können. Es gilt, mehr Werbung zu machen für die duale Ausbildung, das auf jeden Fall!

    Kuper: Und das wäre dann doch auch Ihre Aufgabe als DIHK, Unternehmen und Azubis mehr zusammenzubringen?

    Kiss: Das ist sicherlich eine Zukunftsaufgabe, das Matching zwischen Angebot und Nachfrage in der Zukunft noch besser hinzukriegen, sicherlich, ja.

    Kuper: Gibt es denn da Projekte oder wird da aktuell was getan, um die zusammenzubringen?

    Kiss: Es gibt jede Menge Marketingkampagnen, die zum Beispiel die Bundesregierung macht, "Berufliche Bildung – praktisch unschlagbar" ist eine davon. Wir haben als IHK-Organisation seit mittlerweile über einem Jahr eine gemeinsame Lehrstellenbörse aller IHKs, die im Internet zu finden ist, und es wird schon versucht, Lust zu machen auf mehr Ausbildung. Aber ich sage es noch mal: Eine gute Ausbildung fängt schon an der Schule an und fängt mit den Eltern an, und auch die müssen letzten Endes davon überzeugt sein, dass ihre Kinder den richtigen Weg gehen, wenn sie die duale Ausbildung einschlagen.

    Kuper: Das sagt Markus Kiss, er ist Ausbildungsexperte am Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Vielen Dank für das Gespräch!

    Kiss: Ich danke auch!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.